Entwicklungsforschung
Glücklich uninformiert?
Entwicklungsforschung ist dann am wertvollsten, wenn Entscheidungsträger und ihre Agencies sie nutzen. Damit das geschieht, sind zwei Dinge notwendig:
- Wissenschaftler müssen relevante Antworten auf relevante Fragen geben, und
- die Praktiker müssen diese beachten.
PEGNet ist das Poverty Reduction, Equity and Growth Network, dessen Sekretariat am am Kieler Institut für Weltwirtschaft angesiedelt ist. Es soll Forschungsinstitutionen und Durchführungsorganisationen vernetzen. PEGNet-Wissenschaftler haben erhoben, in welchem Ausmaß deutsche Entwicklungsprofis Forschungserkenntnisse nutzen und was ihre Auseinandersetzung mit Wissenschaftlern behindert. 105 Experten beantworteten den PEGNet-Fragebogen. Zuvor hatten die Weltbank und das Overseas Development Institute in London im Auftrag des britischen Ministeriums für internationale Entwicklung ähnliche Befragungen durchgeführt.
Die Befragten sollten die Wichtigkeit von Forschung für ihre tägliche Arbeit auf einer Skala von 1 (irrelevant) bis 10 (höchst relevant) einordnen. Die durchschnittliche Bewertung lag bei 6,3. Sechs von zehn befragten Personen meinten, die Bedeutung werde zunehmen. Etwa 43 Prozent gaben an, regelmäßig wissenschaftliche Aufsätze zu lesen.
Auf der Basis dieser zwei Variablen lassen sich in Anlehnung an Ravallion (2011) die Befragten danach einstufen, wie intensiv sie Forschungsergebnisse nutzen und wie sie deren Bedeutung beurteilen. Die Matrix (Abbildung 1) zeigt, dass nur drei von zehn Befragten in dem Sinne funktional gut informiert sind, dass sie Forschung sowohl schätzen als auch nutzen. Weitere zehn Prozent rezipieren Ergebnisse häufig, halten sie jedoch nicht für wichtig.
Spannender sind allerdings die Uninformierten. Die größte Gruppe in der Matrix bilden „glücklich Uninformierte“ (40 Prozent). Weder schätzen sie Forschung, noch greifen sie auf deren Ergebnisse zurück. Dieser Anteil ist angesichts der Tatsache, dass Entwicklungsorganisationen sich in der Regel als wissensbasierte Organisationen verstehen, erstaunlich groß.
Die PEGNet-Befragung beleuchtet auch Faktoren, die den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis behindern. Sie identifiziert drei Hauptkategorien:
- Relevanz und Zugang: Grundsätzlich fällt es den Befragten leicht, Forschungsergebnisse zu finden, aber sie äußern sich enttäuscht über deren Relevanz. Außer den „frustriert Uninformierten“ schätzen sie die Nützlichkeit von Forschung eher gering ein. Die Befragung zeigt, dass Entwicklungsagenturen sinnvollerweise Wissensvermittler mit Forschungserfahrung beschäftigen sollten. Mittelspersonen können zudem dabei helfen, Forschungsergebnisse praxisnah zu formulieren.
- Kontakt: Den Befragten zufolge sind die Motive und Zeithorizonte von Wissenschaftlern und Entwicklungsorganisationen recht unterschiedlich. Forscher müssten besser und früher darüber informiert werden, was Entwicklungsorganisationen interessiert, um ihre Arbeit darauf auszurichten. Auch hier könnten Mittelspersonen helfen. Zudem sollten Entwicklungsorganisationen auch kleine Forschungsaufträge transparenter vergeben. Die bestehenden Verfahren sind für beide Seiten zu bürokratisch und schwerfällig, um den Wissenschaftlern das Erkenntnisinteresse der Praktiker bewusst zu machen.
- Koordination: Zwei von drei Befragten nannten Zeitknappheit als Hauptproblem. Agency-Mitarbeiter können wegen ihrer hohen Arbeitsbelastung nicht ausgiebig lesen. Sicherlich wäre es gut, wenn sie mehr Zeit bekämen, um sich so fortzubilden, dass sie künftig vielleicht besser arbeiten können. Andererseits könnten Wissenschaftler und Wissensvermittler die Situation verbessern, indem sie Publikationen mit praktischer Relevanz knapp und allgemeinverständlich auf einer Seite zusammenfassen. Linda Kleemann und Marcus Böhme (PEGNet)
Link: http://www.pegnet.ifw-kiel.de/research/pegnet-survey-on-the-demand-for-research/
Literatur: Ravallion, Martin (2011) Knowledgeable Bankers? The Demand for Research in the World Bank Operations. The World Bank. Policy Research Working Paper, WPS5892.