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Dazugehörigkeit zwischen den Welten

In „The Namesake“ (Deutsch: „Der Namensvetter“) erzählt Jhumpa Lahiri die Geschichte einer indisch-amerikanischen Familie, die sich die Frage stellt: Wo gehören wir dazu? Dieser Beitrag ist der sechste unseres diesjährigen Kultur-Spezialprogramms mit Rezensionen künstlerischer Werke mit entwicklungspolitischer Relevanz.
Jhumpa Lahiri 2022 in Rom. picture-alliance/Pacific Press/Matteo Nardone Jhumpa Lahiri 2022 in Rom.

Die meisten Menschen möchten irgendwo dazugehören. Zwar ist das Bedürfnis bei weitem nicht so unmittelbar wie das nach Nahrung, doch ist Zugehörigkeit entscheidend für Zufriedenheit und Lebensqualität. Zugehörigkeit in einer globalisierten Welt ist das Motiv im Roman „The Namesake“ der Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Jhumpa Lahiri, als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und in den USA aufgewachsen. Wie Chitra Banerjee Divakaruni, Amitav Ghosh und Salman Rushdie gehört sie zu der kleinen Gruppe indischstämmiger internationaler Bestsellerautor*innen, die auf Englisch schreiben.

Wechselbad der Gefühle 

Die Geschichte erzählt das Leben der Gangulis an der Ostküste der USA und auf ihren Reisen in die Heimat nach Kalkutta. Für alle Beteiligten ist das ein Leben zwischen den Welten: Die Eltern Ashima und Ashoke sind aus dem indischen Bundesstaat Westbengalen und mit dem Herzen zum Großteil im Vaterland, aber die Kinder Sonia und Gogol in den USA geboren.

Alle vier ringen im Lauf der Jahrzehnte von den späten 1960ern bis zum Jahr 2000 mit ihren Zugehörigkeitsgefühlen und den Eigenheiten, die ein Leben zwischen den Welten mit sich bringt. Dabei entstehen Außenseiter-Gefühle nicht immer nur in den USA: Selbst auf einer Reise in einen anderen Bundesstaat Indiens fühlt sich die Familie plötzlich fremd. Zwar blickt die Erzählung allen über die Schulter, konzentriert sich aber vor allem auf Gogol, der nach dem russischen Schriftsteller Nikolai Gogol benannt ist.

Gogols Gefühl, Außenseiter zu sein, beginnt schon früh bei seinem Namen, den er zwar später gegen einen anderen tauscht, von dem er aber doch nie ganz loskommt. Gerade zu Beginn distanziert sich Gogol stark von seinen indischen Wurzeln, seine Schwester Sonia und er wünschen sich zu Hause Hotdogs. Die Eltern feiern ihnen zuliebe sogar Weihnachten. Auf den Reisen nach Kalkutta fühlen sich beide Kinder fehl am Platz, und Gogols amerikanischen Freunde fragen ihn nie nach seinen Erfahrungen dort. Die Welten bleiben getrennt. Gogol hat das Gefühl, zwar akzeptiert, gemocht und geliebt zu werden, aber weder völlig verstanden noch wirklich gekannt zu werden.

Eine Wendung bringt die Wurzeln näher

Seine ersten Beziehungen hat Gogol mit Amerikanerinnen, deren Eltern nicht aus dem Ausland kommen. Er studiert Architektur und scheint entschlossen, nicht wie seine Eltern eine arrangierte Ehe mit einer Inderin einzugehen. Seine Freundinnen interessieren sich für seine Wurzeln und Erfahrungen, dennoch scheint eine unüberbrückbare Distanz zu bleiben. Ein einschneidendes tragisches Ereignis ändert dann aber die Vorzeichen der Geschichte: Plötzlich fühlt er sich seinen indischen Wurzeln verbunden, sucht ihre Nähe, trennt sich von seiner Freundin, die wiederum eifersüchtig ist auf seine Familie, der er jetzt so viel Zeit widmet.

Letztlich heiratet er kurz entschlossen eine Amerikanerin mit indischen Wurzeln, die wie er zwischen den Welten aufgewachsen ist. Das entspricht dem Vorschlag – und Wunsch – seiner Mutter. Die Frage nach der Zugehörigkeit lässt ihn und seine Frau trotzdem nicht los: Kann man sich einander verbunden fühlen durch geteilte Erfahrungen des Außenseitertums, des Nicht-ganz-Dazugehörens, weder in der einen noch der anderen Welt? Haben sie sich wirklich füreinander entschieden oder doch nur kapituliert?

Der Plot lässt bis zum Ende keinen Stein auf dem anderen. Die Charaktere gehen durch ein Wechselbad der Gefühle und alles präsentiert sich einem in Grautönen und in der Rätselhaftigkeit, die das Leben an sich hat, in dem man manchmal nicht nur die Motive der anderen nicht kennt, sondern noch nicht einmal die eigenen. Nur ganz zum Schluss scheint ein gewisser innerer Frieden einzukehren, aber vielleicht auch wieder nur, bis das Leben den Charakteren die nächsten Gründe zum Zweifel bringt.

Der Roman ist sehr lesenswert, weil er das Leben in seinen Nuancen und seiner ständigen Vorläufigkeit sehr gelungen einfängt. Auch das Gefühl, nicht dazuzugehören, das vermutlich jeder und jede aus dem eigenen Leben in irgendeiner Form kennt, wird so treffend beschrieben, dass man sich verstanden fühlt und auf emotionaler Ebene mit den Charakteren verbunden. Neben dem universell Menschlichen ist der Roman aber auch eine schöne Möglichkeit, in den kulturellen Kosmos einer indoamerikanischen Familie einzutauchen und ein wenig über bengalische Traditionen und Kultur zu lernen.

Buch
Lahiri, J., 2003: The namesake. Boston, Houghton Mifflin. (Auf Deutsch: 2003: Der Namensvetter. München, Blessing.)

Maren van Treel ist die Social-Media-Redakteurin von E+Z/D+C.
maren.van-treel@fazit.de

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