Katastrophenhilfe und Entwicklung

Nach dem Tsunami

In der indonesischen Provinz Aceh läuft der Wiederaufbau zügig – und das ist auch ein entwicklungspolitischer Erfolg. Fortschritt ist möglich, wo die örtliche Regierung kompetent für Orientierung sorgt. Um den Friedensprozess zu stabilisieren, ist internationale Aufmerksamkeit aber weiterhin sinnvoll.

[ Von Franz-B. Marré ]

Nie zuvor hat eine Naturkatastrophe derart globale Betroffenheit und Solidarität ausgelöst wie der Tsunami vom zweiten Weihnachtstag 2004 im Indischen Ozean. Ursache war ein Seebeben nahe der Nordspitze von Sumatra. Dort – in der indonesischen Provinz Aceh sowie auf der südlicher gelegenen Insel Nias – waren auch die schwersten Schäden und höchsten Opferzahlen zu verzeichnen. Mehr als 160.000 Menschen kamen hier ums Leben, eine halbe Million wurde obdachlos. Die Weltbank schätzte die wirtschaftlichen Schäden in der Region auf bis zu fünf Milliarden Dollar. Doch Tote und Schäden waren auch anderswo – bis hin zum Horn von Afrika – zu beklagen.

Heute ist die Lage in den betroffenen Ländern sehr unterschiedlich. In Thailand und Indien ist der Wiederaufbau im Wesentlichen abgeschlossen. Beide Länder hatten auf internationale Hilfe verzichtet, waren aber auch nur mit relativ kleinen Gebieten ihres Territoriums betroffen. In Indonesien und Sri Lanka ist der Weg zur Normalität dagegen noch weit. Ihre wirtschaftliche Leistungskraft ist geringer, und sie stehen vor größeren Herausforderungen.

In beiden Fällen hatte zudem über Jahrzehnte Gewalt die Innenpolitik beherrscht. Offensichtlich kann ohne Frieden kein Wiederaufbau gelingen. Der Schock nach dem unvorstellbaren Unglück ließ in Aceh die Waffen ruhen. Unter Vermittlung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari traf man sich am Verhandlungstisch – mit Erfolg.

In Sri Lanka erwiesen sich dagegen nach der Naturkatasrophe frühere Friedensbemühungen unter norwegischer Vermittlung als brüchig. Nur wenige Monate nach dem Tsunami erschütterten wieder schwere Attentate die Insel. Mittlerweile musste das internationale Hilfspersonal aus dem Norden des Landes weitgehend abgezogen werden.

Nötige Kompromisse

In Aceh waren die verfeindeten Seiten indessen zu Kompromissen bereit. Die „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) verzichtete auf ihre frühere Forderung nach völliger Souveränität, während die indonesische Regierung eine gewisse regionale Autonomie zugestand. Am 15. August 2005 wurde ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet, das die Entwaffnung der GAM, den weitgehenden Rückzug der indonesischen Sicherheitskräfte aus der Provinz, die Reintegration politischer Häftlinge und freie Wahlen des Provinzgouverneurs und der Distriktchefs (Bupatis) vorsah. Ein weiteres Zugeständnis der Zentralregierung ermöglichte die Einsetzung einer von EU und ASEAN paritätisch gestellten „Aceh Monitoring Mission“, um die Einhaltung des Abkommens zu überwachen.

Die weitere Entwicklung verlief erfreulich reibungslos. Nach mehrmaliger Verschiebung wurden am 11. Dezember 2006 Wahlen abgehalten, die internationale Beobachter als frei, fair und rechtmäßig beurteilten. Sieger war Irwandi Yussuf, der wegen seines GAM-Engagements in Haft gesessen und die Katastrophe wie durch ein Wunder überlebt hatte.

Vor 2005 war Aceh für Ausländer praktisch nicht zugänglich. Folglich gab es dort auch keine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Das BMZ richtete indessen schnell in Ergänzung anderer Maßnahmen in Indonesien einen auf maximal fünf Jahre befristeten regionalen Schwerpunkt Aceh/Nordsumatra ein. Grundlage dafür war ein von Präsident Yudhoyono Ende April 2005 vorgelegter nationaler Wiederaufbauplan mit einer eigens geschaffenen Wiederaufbaubehörde BRR (Badan Rehabilitasi dan Rekonstruksi). Auch zivilgesellschaftliche Akteure sind schnell aktiv geworden und sind heute vor Ort präsent.

Deutschland ist größter bilateraler Geber des Wiederaufbauprogramms in Indonesien. Bislang wurden für Maßnahmen staatlicher EZ-Träger mehr als 186 Millionen Euro zugesagt, wovon bis Ende 2006 rund die Hälfte für konkrete Projekte und Programme ausgezahlt war. In Abstimmung mit den indonesischen Stellen konzentriert sich der deutsche Beitrag auf die Bereiche Gesundheit (54 Millionen Euro), Bildung (40 Millionen), Wohnungsbau (36 Millionen), Verwaltung/gute Amtsführung (22 Millionen) und Wirtschaftsförderung (elf Millionen).

In Sachen Gesundheit wurde zunächst in Kooperation mit Australien das Zainoel-Abidin-Krankenhaus in Banda Aceh wieder funktionsfähig gemacht. Danach wurde ein Neubau an einem hochwassersicherem Standort begonnen. Zusätzlich wird die Gesundheitsversorgung an der Ostküste und in ehemaligen Rebellengebieten im Inland wiederhergestellt und verbessert. Was die Berufsbildung angeht, erstreckt sich das deutsche Engagement auf die gesamte Provinz und die Insel Nias. Ziel ist, die Qualifikation lokaler Arbeitskräfte möglichst rasch zu verbessern. Bislang wurden Schuleinrichtungen für mehr als 12 000 Schüler bereitgestellt.

Ende 2006 waren zudem rund 3100 Wohnhäuser bezugsfertig, 2007 dürften weitere 2400 hinzukommen. Bewohner und Behörden werden zudem bei der umweltgerechten und katastrophensicheren Planung der neuen Siedlungen und beim Bau der Infrastruktur unterstützt. Deutsche Hilfe diente auch dazu, Gebietskörperschaften zu stärken und zivilgesellschaftlichen Organisationen bessere Partizipation zu ermöglichen, damit Städte und Dörfer weniger anfällig gegenüber Naturkatas-trophen werden. Eine Besonderheit ist die Unterstützung der Einwohnermelde- und Personenstandsbehörden in den von Tsunami-Flüchtlingsbewegungen am meisten betroffenen Distrikten. Mit Finanzierung durch das Auswärtige Amt wurden zudem provinzweit Wählerinnen und Wähler registriert – eine wichtige Basis für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen.

Zusätzlich zur bilateralen Unterstützung hat sich das BMZ mit elf Millionen Euro an einem von der Weltbank treuhänderisch verwalteten Multi-Donor-Fund beteiligt. Hinzu kommen Leistungen aus Mitteln anderer Bundesministerien – etwa der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Nothilfe oder die Arbeit an einem Tsunami-Frühwarnsystem unter Federführung des Geo-Forschungszentrums Potsdam im Auftrag des Forschungsministeriums.

Erheblichen Raum nehmen zudem die – überwiegend aus eigenen Mitteln finanzierten, teils aber auch vom BMZ geförderten – Maßnahmen nichtstaatlicher Träger ein. Die Bundesregierung unterstützt das Engagement deutscher Nichtregierungsorganisationen, der Kirchen und der politischen Stiftungen mit bisher rund 28 Millionen Euro. Erwähnenswert sind zudem rund 70 Einzelprojekte auf kommunaler Ebene, die dank der Partnerschaftsinitiative des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zustande kamen.

Zwischenbilanz nach zwei Jahren

Kurz vor dem zweiten Jahrestag der Katastrophe besuchte Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul Banda Aceh, um sich ein Bild von den erzielten Fortschritten zu machen. Dabei zog sie folgendes Fazit:
Der Wiederaufbau in Aceh verläuft insgesamt sehr erfolgreich, es bleibt aber noch viel zu tun. Besonders im Vergleich mit Sri Lanka ist das Errreichte eindrucksvoll.
Die Leistungen von Frauen sind hervorzuheben. Sie haben unter dem Tsunami besonders gelitten und sind jetzt eine treibende Kraft beim Wiederaufbau.
Der Friedensprozess dürfte mittlerweile unumkehrbar sein, die demokratische Wahl eines Provinzgouverneurs war ein Meilenstein.

Präsident Yudhoyono hat als Ziel „rebuilding Aceh better“ proklamiert. Das kann tatsächlich gelingen, womit der Wiederaufbau eine entwicklungspolitische Erfolgsstory würde. Allerdings sind weiterhin Sorgfalt und Geduld gefragt, zumal einige wichtige Themen noch nicht angegangen wurden. Dabei geht es geht etwa um die Entschädigung für im Wortsinn weggespültes Land sowie um die Situation der vielen – meist sehr armen – Menschen, die zur Miete gewohnt hatten. Bisher ist es gelungen, Korruption im Wiederaufbau weitgehend auszuschließen. Das muss auch in Zukunft so bleiben.

Bei der Bewertung der bisherigen Ergebnisse drängt sich der Vergleich zu Sri Lanka auf. Zweifellos kann die Stagnation in Sri Lanka nicht auf einen Faktor reduziert werden. Gleichwohl wird offenkundig, wie wichtig Führung und Orientierung durch die betroffene Regierung sind. Keine noch so gut gemeinte und partizipativ angelegte Maßnahme kann dauerhaft gelingen, wenn die politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht stimmen. In Aceh ist das dagegen heute geradezu vorbildlich der Fall.

Nun kommt es darauf an, dass der neue Gouverneur der Verantwortung gerecht wird, die ihm einerseits die Wähler übertragen haben, die ihm andererseits aber auch das Friedensabkommen zuschreibt. Hierbei bedürfen er und sein Team der loyalen Unterstützung durch die Verwaltung sowie der fortgesetzten Kompromissbereitschaft seitens der nationalen Regierung. Internationale Aufmerksamkeit kann das zwar nicht garantieren, sie hat aber sicherlich ihre Wirkung. Auch zwei Jahre nach der Katastrophe bleiben deutsches Interesse und Engagement deshalb relevant.

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