Dürre
Nothilfe mit Entwicklung und Friedensförderung verknüpfen
Die große Hungersnot in Äthiopien in den 1980er Jahren war eine der schlimmsten humanitären Krisen des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1983 und 1985 verhungerten schätzungsweise eine Million Menschen. Am schlimmsten betroffen war der Norden des Landes. Dort bildeten die Dürre, Grenzkonflikte und ethnische Spannungen eine tödliche Mischung. Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder solche Verquickungen aus menschengemachten und natürlichen Katastrophen – wie aktuell in Ostafrika.
Laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA – Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) erlebt das Horn von Afrika derzeit eine der schlimmsten Dürren der letzten Jahre. Mehr als 13 Millionen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia leiden unter schwerer Ernährungsunsicherheit.
Früher gab es in dieser Region alle fünf bis zehn Jahre Dürreperioden, dann alle drei bis fünf Jahre. Jetzt scheinen sie zum Dauerzustand zu werden. 2022 wird wohl das dritte Jahr in Folge sein, in dem es in der kenianisch-äthiopischen Grenzregion und in weiten Teilen Somalias in der früher „feuchten“ Jahreszeit kaum regnen wird.
Nicht nur Naturkatastrophen prägten das vergangene Jahrzehnt, sondern auch menschengemachte Krisen. Somalia ist seit 1991 ein fragiler und krisengebeutelter Staat. Im Südsudan brach 2013 ein Bürgerkrieg aus, der die Menschen zur Flucht nach Kenia, Uganda und Äthiopien zwang. Ende 2020 löste ein Aufstand in der Region Tigray einen Bürgerkrieg in Äthiopien aus, der noch andauert.
Solche Formen von Gewalt werden durch Wetterextreme wahrscheinlicher. Unruhen wiederum verschärfen Ressourcenprobleme. Insofern verstärken Naturkatastrophen und menschengemachte Krisen einander. Hilfsorganisationen müssen auf beide reagieren. Die vielen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen verschärfen die Lage: Wo Ressourcen knapp sind, sehen Bedürftige in Neuankömmlingen oft eine Konkurrenz.
Klimabedingte Notsituation
Was am Horn von Afrika geschieht, ist weithin bekannt. Internationale Organisationen wie OCHA, das UN-Kinderhilfswerk UNICEF sowie Rotes Kreuz und Roter Halbmond berichteten ausführlich über die Katastrophe. Laut OCHA entwickelt sie sich zu „einer der schlimmsten klimabedingten Notlagen in der jüngeren Geschichte am Horn von Afrika“. Vielerorts sind die Lebensgrundlagen erschöpft, die Menschen werden immer schwächer. Sie verkraften keine weitere Nahrungsmittelkrise mehr. OCHA geht davon aus, dass:
- in Äthiopien, Kenia und Somalia täglich bis zu 14,1 Millionen Menschen unter akuter Ernährungsunsicherheit und Wassermangel leiden,
- etwa 5,7 Millionen Kinder unterernährt sind,
- die letzte Getreideernte in Teilen Kenias und Somalias 60 bis 70 Prozent unter Durchschnitt lag und
- mehr als 3 Millionen Nutztiere in den drei von der Dürre betroffenen Ländern verendet sind.
Viele Menschen können nicht mehr von der Landwirtschaft leben – derweil steigen die Lebensmittelpreise. Internationale Entwicklungen wie der Angriff Russlands auf die Ukraine verschärfen die Inflation und reduzieren die Verfügbarkeit von Weizen und Gerste auf den Weltmärkten drastisch (siehe Claudia Isabel Rittel auf www.dandc.eu). Auch die Klimakrise richtet immer mehr Schaden an. So könnte die jüngste Hitzewelle in Indien die dortige Weizenernte stark beeinträchtigen und Lebensmittel auf dem Weltmarkt noch teurer machen.
Wie OCHA im März berichtete, greifen Familien am Horn von Afrika zu verzweifelten Mitteln, um zu überleben. Tausende verlassen demnach ihr Zuhause auf der Suche nach Nahrung, Wasser und Weideland. In der Region ist die traditionelle Weidewirtschaft weit verbreitet, sie wird allerdings immer weniger nachhaltig (siehe Kasten). OCHA ruft deshalb zu schnellem Handeln auf, um Leben zu retten und die Menschen resilienter zu machen.
Ländergrenzen ohne Bedeutung
Wie die anhaltende Dürre zeigt, kennen Naturkatastrophen keine Ländergrenzen. Das gilt auch für die Heuschreckenschwärme, die 2020 und 2021 ganze Landstriche von der arabischen Halbinsel bis Ostafrika heimsuchten (siehe Mahwish Gul auf www.dandc.eu). Sie wüteten auch in südasiatischen Ländern wie Nepal und Pakistan.
Grundsätzlich richtet die Klimakrise weltweit schon jetzt enormen Schaden an, und am gefährdetsten sind immer die Armen. Hilfs- und Entwicklungsorganisationen fordert das enorm. Laut OCHA haben Hilfsorganisationen um mehr als 4,4 Milliarden Dollar Hilfsgelder gebeten, um damit in diesem Jahr gut 29 Millionen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia zu versorgen. Wie viel Geld letztlich zur Verfügung stehen wird, bleibt abzuwarten.
Als die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze vor Kurzem den Sitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba besuchte, sprach sie auch über die Budgets für Entwicklungshilfe der reichen Länder. Sie betonte, diese trügen zu mehr Sicherheit bei und dürften trotz der gegenwärtigen internationalen Krise nicht gekürzt werden. Kurz zuvor hatte Schulze auf der Frühjahrstagung der Weltbank in Washington eine globale Allianz für Ernährungssicherheit angeregt.
Doppelziele
Brot für die Welt, die evangelische Entwicklungsorganisation, für die ich arbeite, und unsere Zwillingsorganisation Diakonie Katastrophenhilfe helfen in dürregeplagten Gegenden zweifach: bei der Bewältigung von Wasser- und Nahrungsmittelknappheit sowie bei der Stärkung der Resilienz. Unsere Maßnahmen zielen darauf ab, Soforthilfe zu verknüpfen mit Wiederaufbau und Entwicklung (LRRD – Linking Relief with Rehabilitation and Development). Diese Verbindung heißt in der Fachsprache „Nexus“ (siehe Fabian Böckler auf www.dandc.eu).
Zu den kurzfristigen Maßnahmen zählt die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln – besonders für stillende Mütter und Kinder – sowie Futter für das Vieh. Zu den längerfristigen Ansätzen gehört es, verbessertes Saatgut bereitzustellen, kommunale Wasserstellen instand zu halten und degradiertes Land wieder fruchtbar zu machen. Es gilt außerdem, Gesundheitszentren und andere soziale Einrichtungen dort aufzubauen, wo sie benötigt werden. Andernorts sind bestehende Einrichtungen schon in guten Zeiten ständig überlastet und benötigen Verstärkung.
In Fachkreisen wird inzwischen ein „dreifacher Nexus“ oder auch „Humanitarian–Development–Peace Nexus (HDP-Nexus)“ diskutiert. Er soll humanitäre und entwicklungspolitische Maßnahmen mit Friedenssicherung verbinden verbinden (siehe Maren Suchta-Platzmann und Amédé Schmitz auf www.dandc.eu). Zwei wesentliche Erkenntnisse bestimmen diese Debatte:
- Die zugrundeliegenden Probleme hängen zusammen und sollten daher ganzheitlich angegangen werden.
- Der weltweit steigende Bedarf beansprucht die Ressourcen der beteiligten Organisationen zunehmend. Diese müssen daher so effizient wie möglich genutzt werden.
Meiner Meinung nach sollte die internationale Gemeinschaft noch weiter gehen und einen „Nexus der nachhaltigen Gesellschaften“ erwägen. Letztlich sollten wir alle 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) konsequent verfolgen. Das würde die Zyklen der wiederkehrenden Katastrophen verlangsamen und uns manche sogar ganz vom Hals halten.
Bereits in meinem Kommentar zur Hungersnot in Ostafrika auf www.dandc.eu habe ich betont, dass Naturkatastrophen und menschengemachte Krisen zusammenhängen. Seither hat sich wenig getan – bis auf einige Zahlen gilt alles nach wie vor. Wir müssen besser darin werden, aus unseren Erfahrungen zu lernen, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu bewältigen. Und nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass die wiederkehrenden Katastrophen nicht weite Teile der Fortschritte in der internationalen Entwicklung zunichtemachen.
Link
UN OCHA, März 2022: Horn of Africa drought: humanitarian key messages.
https://reliefweb.int/report/ethiopia/horn-africa-drought-humanitarian-key-messages-23-march-2022
Christoph Schneider-Yattara leitet bei Brot für die Welt das Regionalbüro Horn von Afrika.
csyattara@padd-africa.org