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Fachliteratur

Was Aufsteiger schnell wachsen ließ

Betriebswirtschaftler loben die Managementmethoden multinationaler Unternehmen aus Schwellenländern. Andere Autoren betonen dagegen politische Faktoren und sprechen von “Staatskapitalismus 3.0”.
Gefrierschrankfertigung bei Haier. picture-alliance/dpa Gefrierschrankfertigung bei Haier.

Mauro Guillén und Esteban García-Canal (2013) beobachten eigenen Angaben zufolge seit zwei Jahrzehnten die wachsende internationale Geschäftstätigkeit großer Unternehmen aus benachteiligten Weltgegenden. Ihr Buch enthält viele interessante Geschichten aus Lateinamerika, Nordafrika und Asien. Es beschäftigt sich unter anderem mit dem mexikanischen Brot-Giganten Bimbo, dem brasilianischen Flugzeughersteller Embraer, dem ägyptischen Telekom-Dienstleister Orascome, den indischen IKT-Riesen Wipro, Infosys und Tata Communications, dem chinesischen Haushaltsgerätehersteller Haier und dem taiwanesichen Computerbauer Acer. Echte Fallstudien müssten aber besser belegt werden und sich nicht nur auf Anekdoten beschränken.

Guillén und García-Canal leiten aus ihren Schilderungen plakative Lehren wie “Nischen nutzen”, “auf Chaos einlassen” oder “mit Begeisterung wachsen” ab. Das ist aber vermutlich zu allgemein, um systematisch anwendbar zu sein. Die Firmengeschichten sind dennoch interessant. Sie zeigen, dass die Aufsteiger meist schon aus ihren Heimatmärkten, die weniger organisiert und berechenbar sind als G7-Volkswirtschaften, großes Improvisationsgeschick mitbringen. Schnell und pragmatisch ergreifen sie Chancen, die Wettbewerber aus der reichen Welt nicht erkennen. Es hilft, dass sie langfristig denken und meist nicht im Vierteljahrestakt ihre Geschäftszahlen für Börsianer optimieren.  

Leider neigen Guillén und García-Canal zu überzogenen Sprüchen. Sie starten ihr Buch beispielsweise mit der These, künftige Historiker würden, wenn sie das wichtigste Wirtschaftsereignis der vergangenen beiden Jahrzehnte benennen wollen, weder das Platzen der Internetblase wählen, noch die globale Finanzkrise, noch den Trend zum Staatskapitalismus in China, noch das Fast-Auseinanderbrechen der Eurozone. Wirklich wichtig ist nämlich aus Sicht des Autorenpaares „das spektakuläre Wachstum global agierender Unternehmen in den Entwicklungsländern“. Sie übersehen, dass die fünf Phänomene miteinander verbunden sind, und dass Liberalisierung auch eine Rolle gespielt hat. Künftige Historiker werden sicherlich erklären müssen, wie eins zum anderen geführt oder zumindest beigetragen hat. Welches für sich genommen am wichtigsten war, wird nachrangig sein. Vermutlich wird das Buch von Guillén und Garcías bis dahin vergessen sein.

John A. Mathews (2002) hat ein ganzes Jahrzehnt früher einen deutlich stärkeren Vorreiter geschrieben. Drei der fünf Unternehmen, die er als neuartige Akteure in der Weltwirtschaft vorstellte – Acer, der mexikanische Zementhersteller Cemex (siehe Virginia Mercado) und der Stahlkonzern Ispat, der einem Inder gehört und mittlerweile Arcolor Mittal heißt – sind seither noch größer und einflussreicher geworden. Mathews untersucht die Anfangsjahre dieser Konzerne gründlich. Es sei ihnen gelungen, in den Nischen hart umkämpfter Märkte Fuß zu fassen und mit intelligentem Management flexibel auf neue Entwicklungen und veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren.

Laut Mathews integrierten sich die Aufsteiger zuerst in bestehende Lieferketten, und expandierten dann mit neuen Partnerschaften. Acer stellte zunächst nur Bauteile für andere Computermarken her. Die eigene Marke wurde später eingeführt – und zunächst nur in Taiwan. Als der Name dort fest etabliert war, wurde er auch in anderen Ländern verwendet, wobei sich Partner als hilfreich erwiesen. Um in Indien Fuß zu fassen, verbündete sich Acer beispielsweise mit Wipro. Ein Jahrzehnt vor Guillén und García stellte Mathews fest, dass die neuen Multis Chancen nutzten, die etablierte Konzerne gar nicht bemerkten. Zudem hätten sie klug Verlust-machende Betriebe im Ausland übernommen und mit Methoden aus anderen Weltgegenden wieder in die Gewinnzone geführt.

Mathews lobt das Organisationstalent der aufstrebenden Riesen. Sie hätten nicht alles von der Konzernzentrale aus gesteuert, sondern ihren Vertretern in den jeweiligen Ländern Entscheidungsverantwortung übertragen. Die internen Hierarchien seien effektiv, aber nicht streng formalisiert gewesen. Die grenzüberschreitende Koordination habe schnell und flexibel funktioniert, wobei das Internet innovativ genutzt und die jeweiligen Standortvorteile verschiedener Länder geschickt miteinander verbunden wurden.

Politische Interventionen    

Kluges Management ist sicherlich wichtig, aber nicht alles. Eine Aufsatzsammlung, die Andreas Nölke (2014) herausgab, untersucht politische und institutionelle Zusammenhänge. Die Autoren zeigen, dass die Heimatmärkte für aufstrebende Multis aus Schwellenländern weiterhin sehr wichtig bleiben.

Dieses Buch zeigt tatsächlich und überzeugend historische Perspektiven auf. Nölke verwendet den Begriff “Staatskapitalismus 3.0”, den er von den früheren Versionen 1.0 (Protektionismus) und 2.0 (staatliche Koordination) unterscheidet. Ihm zufolge bilden die Schwellenländer heute die dritte Generation von Volkswirtschaften, die zu den etablierten Ökonomien aufschließt. Die Strategien der früheren Generationen greifen dabei nicht mehr, weil die Welt sich verändert hat – beispielsweise wegen diverser Handelsverträge auf globaler und regionaler Ebene. Es ist nicht mehr möglich, die heimische Industrie mit Zöllen und Quoten zu schützen, und die Art staatlich geplante internationale Expansion, wie sie beispielsweise Japan nach dem Zweiten Weltkrieg praktiziert hat, ist auch keine Option mehr. Das heißt aber nicht, dass Regierungen heute keine Mittel mehr hätten, um Unternehmensinteressen zu unterstützen. Da multinationale Unternehmen ihrerseits Einfluss und Macht nationaler Regierungen stärken,  gibt es auch Motive, das zu tun.   

Nölke nennt viele Fördermöglichkeiten im nationalstaatlichen Rahmen. Dazu gehören Subventionen, Staatsbeteiligungen, staatliche Eigentümerschaft, Sicherstellung niedriger Lohnkosten, den selektiven Schutz geistigen Eigentums, branchenspezifische Gesetzgebung und die Erleichterung von Auslandsinvestitionen, etwa durch vergünstigte Darlehen. Auf internationaler Ebene handeln Regierungen Handelsverträge aus und vertreten Firmeninteressen in bi- wie multilateralen Kontexten. Sie können heimischen Unternehmen auch helfen, indem sie globale Normen nicht stringent implementieren. Zudem haben, wie Nölke ausführt, China und andere Länder mit Geschick ausländische Direktinvestitionen angelockt und so die Industrieentwicklung auf der Basis moderner Technik vorangebracht.

Aus Nölkes Sicht ist es nicht in jedem Fall sinnvoll, zwischen privaten und staatseigenen Unternehmen zu unterscheiden. Informelle Kontakte zwischen Managern und hochrangigen Beamten seien wichtig. Außerdem seien manche Unternehmen formal privat, gehörten aber staatlichen Investoren oder würden von staatlichen Anteilseignern dominiert (siehe Interview mit Doris Fischer). Nölke führt diese Dinge in einem separaten Kapitel am Beispiel Chinas aus.

Transparency International (2013) hat untersucht, wie gut Multis aus Schwellenländern Anleger und Öffentlichkeit informieren. Die Methodik entsprach dabei einer Studie über Multis aus Industrieländern aus dem Jahr davor. Die Autoren prüften, wie Unternehmen über Anti-Korruptionsprogramme berichteten, wie sie ihre eigene Organisationsstruktur darstellten und in welchem Maß sie ihre Geschäftszahlen nach Ländern aufschlüsselten.

Insgesamt schnitten die Multis aus Schwellenländern schlechter als die aus den Industrieländern ab. Im Schnitt kamen sie in Bezug auf Anti-Korruptions-Informationen auf 46 Prozent (wobei 100 Prozent perfekte Berichterstattung bedeutetet hätte). Die etablierten Wettbewerber aus den reichen Ländern kamen auf 68 Prozent. Was transparente Hierarchien angeht, kamen die Aufsteiger auf 54 Prozent und die Platzhirsche auf 72 Prozent.

Mit Blick auf Länder-spezifische Geschäftszahlen lagen aber die Multis aus Schwellenländern mit neun Prozent vorn, während Industrieländer es nur auf vier Prozent brachten. Die Transparency-Autoren erklären das damit, dass indisches Recht Unternehmen zu präzisen Angaben zwingt. Die indischen Multis kamen denn auch im Schnitt auf 29 Prozent.  

Transparency rät allen Konzernen, freiwillig hohe Berichterstattungsstandards zu erfüllen. Die höchsten Werte erreichten übrigens Unternehmen der Tata-Gruppe, was sowohl auf Gesetzgebung und eigenem Engagement beruht (siehe Aditi Roy Ghatak). Die Autoren halten darüber hinaus fest, dass staatliche Auflagen und zivilgesellschaftlicher Druck zu mehr Transparenz im Geschäftsleben führten.  

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de


Quellen:
Guillén, M., and García-Canal, E., 2013: Emerging markets rule – Growth strategies of the new global giants. New York: McGraw Hill.
Mathews, J. A., 2002: Dragon multinational – A new model for global growth. Oxford: University Press.
Nölke, A., 2014: Multinational corporations from emerging markets – State capitalism 3.0. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan.
Transparency International, 2013: Transparency in corporate reporting – Assessing emerging market multinationals, Berlin: TI.
http://www.transparency.org/whatwedo/publication/transparency_in_corporate_reporting_assessing_emerging_market_multinational

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