Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Medizin

Besinnung auf traditionelles Wissen

Im Hochland von Ecuador verbessern Gesundheitspromotoren die Basisversorgung in indigenen Gemeinden. Sie nutzen Heilpflanzen und überlieferte Methoden.


[ Von Barbara Kühlen ]

Mühsam ruckelt der Jeep die Bergstraße hoch, durch Schlaglöcher hindurch an einer Schafherde vorbei. Über lange Zeit kein Auto weit und breit. Auf fast 4000 Meter Höhe wird die Luft dünn. Dicker Nebel liegt auf den Feldern. Viel wächst hier oben nicht. Zwei Stunden dauert die Fahrt von Riobamba, der Hauptstadt der Provinz Chimborazo, nach Totoras Llulín. Hier oben leben Manuel, Delfina und María Elena, Gesundheitspromotoren, die mit Unterstützung von action medeor ausgebildet wurden. Sie kümmern sich um Notfälle, aber auch um Vorsorge und medizinische Grundversorgung von rund 85 Familien.

„Früher mussten wir viele Stunden laufen, wenn einer krank wurde“, sagt Manuel. „Im staatlichen Gesundheitszentrum wurden wir oft schlecht behandelt.“ Nun gibt es direkt im Dorf Beratung und Medizin. Ein Familienvater erzählt von seiner Erleichterung darüber, dass Hilfe schnell zu erreichen ist und die teure – und im Notfall zu lange – Fahrt in die Stadt nicht mehr nötig ist, wenn beispielsweise ein Kind krank wird.

In Chimborazo gibt es viele Orte wie Totoras Llulín: klein, von der Welt abgeschnitten und unterversorgt. Die Menschen leben meist von Subsistenzlandwirtschaft – un­terhalb der Armutsgrenze. Die Kinder sind unter- und fehlernährt, von vermeidbaren Krankheiten bedroht. Die neue Regierung unter Präsident Rafael Correa setzt auf bessere Versorgung und baut Sozialleistungen für besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen aus. Die Projektpartner bezweifeln dennoch, dass sich die medizinische Lage der abgelegenen Ortschaften dadurch dauerhaft bessert. Zu groß ist der Bedarf im ganzen Land, zu gering die Mittel.

Die wenigen staatlichen Einrichtungen sind weit weg oder aus Geldmangel kaum erreichbar. Oft fehlen selbst dort Ausstattung und Personal – insbesondere junge Ärzte bevorzugen urbane Zentren. Diskriminierung der indigenen Bevölkerung ist Alltag, Sprachbarrieren und Kulturunterschiede erschweren die Kommunikation. „Wenn sie unseren Poncho sehen, wollen sie uns schon gar nicht behandeln“, erzählt ein Gesundheitspromotor.

Die Promotoren richten in ihren Gemeinden Gesundheitsposten ein. Etwa 100 kleine und sieben größere Posten gibt es bereits, rund 50 weitere sind geplant. Land, Baumaterial und Arbeitskräfte dafür stellt jeweils die Dorfgemeinschaft. Die dreijährige Ausbildung der Gesundheitspromotoren verknüpft traditionelle und schulmedizinische Methoden. Ärzte und Naturheiler vermitteln Grundlagen in Schul-, Natur-, und Zahnmedizin sowie in sexueller und reproduktiver Gesundheit. Aber es gehört mehr dazu: „Ein guter Gesundheitspromotor muss die Menschen ernst nehmen, sie motivieren und überzeugen“, sagt Gerardo Chacón, Projektleiter der Organisation Yachachic, dem Partner von action medeor. Mehr als 160 Gesundheitspromotoren wurden in den vergangenen fünf Jahren bereits ausgebildet.

Wer Naturmedizin selbst herstellt und anwendet, bekommt Unterstützung vom Alternativen Andinen Krankenhaus in Riobamba und dem renommierten Instituo Misael Acosta, das sehr früh das Potential der alternativen Medizin erkannt hat. In einem „Handbuch des Gesundheitspromotors“ werden Krankheitsbilder, Diagnosen und Therapien aufgeführt sowie die korrekte Anwendung von Heilpflanzen. Gesundheitspromotoren leisten Gemeinde-Sozialarbeit – aus Solidarität, nur selten gegen Geld, Eier, etwas Mehl oder ein Huhn. „Es führt uns zu dem zurück, was wir sind“, glaubt Manuel. Zentral sind Prävention und Information. Regelmäßige ärztliche Kampa­g­nen sensibilisieren die Patienten in den Dörfern für Gesundheitsgefahren. Promotoren sprechen in Schulen über Vorsorge und Ernährung. Radiospots auf Spanisch und Quechua, Interviews und Poster informieren über das Projekt, über Krankheitssymptome, Präventions- und Heilungsmög­lichkeiten. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam­men­arbeit und Entwicklung (BMZ) finanziell gefördert.

Andine Medizin gewinnt nicht nur wegen der Versorgungsprobleme in abgelegenen Regionen immer mehr Beachtung. Ecuadors Gesundheitsministerium hat eine eigene Abteilung für indigene Methoden. Heilpflanzen, Naturmedizin und natürliche Hygieneartikel sind gefragt, Konzepte für Vermarktung und Export werden entwickelt. Die lokale Gesundheitsbehörde erkannt die Promotorenausbildung an. Mit einem Ausweis dürfen Absolventen Heilpflanzen und Naturheilmittel verkaufen. Die Medizin stellen sie aus Pflanzen her, die sie in Gärten anbauen. Diese Medikamente sind günstig, die nachhaltige Versorgung ist kein Problem. Die Reaktivierung traditioneller Heilmethoden stärkt zudem kulturelle Identität und Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung. Auch das ist ein Grund für den Erfolg des Projektes.

Und der ist spürbar. Viele Familien ernähren sich gesünder, die hygienische Lage ist besser geworden. Vorsorge wird ernst genommen, Krankheiten werden früher erkannt und behandelt. Und als jüngst der Vulkan Tungurahua nahe der Provinzhauptstadt Riobamba ausbrach, fanden Dorfbewohner im Gesundheitsposten von La Palestina Schutz – dem einzigen Gebäude mit Betondach. Grenzen setzen zuweilen die auseinanderdriftenden Weltanschauungen. Wie Gerardo Chacón, Projektleiter von Yachachic, schildert, waren viele der Angesprochenen verwundert, als man sie aufforderte, sich nach der Feldarbeit vor dem Essen die Erde von den Händen zu waschen: „Wie soll Mutter Erde, ‚dreckig‘ oder gar schädlich sein, wenn wir doch Teil von ihr sind, aus ihr entstehen und zu ihr zurückgehen?“ Pachamama, die Erde, ist die Fruchtbarkeitsgöttin der Quechua.

Die Muttersprache der Promotoren hat keine schriftliche Tradition, daher ist es schwierig, Patientenkarteien zu führen. Außerdem sind die Patienten misstrauisch und geben ungern Auskunft über sich. Das rührt aus der Kolonialzeit: Die Spanier fragten die Menschen aus und verpflichteten sie dann zu Steuerzahlungen.

Ein etwas zweischneidiges Zeichen des Erfolges ist, dass andere Organisationen gut ausgebildete Gesundheitspromotoren abwerben. In ihren Heimatdörfern stehen sie dann nicht mehr zur Verfügung, aber sie erreichen anderswo als Multiplikatoren vermutlich sogar mehr Menschen. Und da pro Gemeinde in Chimborazo zwei Promotoren ausgebildet werden, ist durch diesen „Brain Drain“ bislang keine Versorgungslücke entstanden.