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In den USA kämpfen Antirassisten an zwei Fronten

Dass Rassismus in den USA weiterhin ein wichtiges Thema ist, haben Medienberichte in jüngster Zeit immer wieder belegt. Zum einen ändern konservative Regierungen mehrerer Bundesstaaten das Wahlrecht so, dass die Stimmabgabe für Minderheiten schwieriger wird. Zum anderen gibt es immer wieder Polizeigewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe. Die Geschichte rassistischen Denkens, über die der schwarze Historiker Imbram X. Kendi ein Buch geschrieben hat, hilft, solche Nachrichten einzuordnen.
Demonstration in einem Vorort von Minneapolis, nachdem eine Polizistin am 11. April 2021 dort einen jungen schwarzen Mann erschossen hatte. Chris Tuite/picture-alliance/Capital Pictures/IS/MPI Demonstration in einem Vorort von Minneapolis, nachdem eine Polizistin am 11. April 2021 dort einen jungen schwarzen Mann erschossen hatte.

Kendi räumt in seinem Vorwort zu dem 2016 erschienen Werk ein, dass die Arbeit von Geschichtswissenschaftlern immer von der Zeit geprägt wird, in der sie selbst leben. Er selbst schreibe in der Black-Lives-Matter-Ära. Erst 2020 sorgte dann der Tod von George Floyd durch Polizeigewalt in Minneapolis weltweite für Black-Lives-Matter-Demonstrationen. Leider töteten auch danach Polizisten immer wieder Schwarze.

Kendi unterscheidet zwischen individuellem und institutionellem Rassismus. Er betont, es gehe um viel mehr als um Hassgefühle. Institutioneller Rassismus bedeute, dass Angehörige einer bestimmten Gruppe gesellschaftlich benachteiligt würden – zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder im Bildungswesen.

Kendi zitiert amtliche Statistiken, die zeigen, dass institutioneller Rassismus in der Tat die USA prägt. So war von 2010 bis 2012 die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger schwarzer Mann von der Polizei getötet wurde, 21-mal höher als für einen gleichaltrigen weißen Mann. Das Median-Vermögen weißer Haushalte lag um den Faktor 13 über dem schwarzer Haushalte. Der Anteil der Inhaftierten unter der schwarzen Bevölkerung war fünfmal größer als unter der weißen Bevölkerung.

Professor Kendi leitet an der Boston University das Center for Antiracist Research. Ihm zufolge kämpfen Antirassisten an zwei Fronten. Klar rassistisch agiere, wer Rassentrennung fordere. Weniger eindeutig, aber ebenfalls problematisch sei die Haltung derer, die das Zusammenleben von Schwarz und Weiß für möglich halten, sofern sich Schwarze besser in die Gesellschaft integrierten. Damit werde den Schwarzen die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg gegeben, obwohl sie die Leidtragenden in einer unfairen Gesellschaft seien, deren grausame Sklaverei-Vergangenheit fortwirke.

Erschwerend kommt hinzu, wie Kendi ausführt, dass die geforderte Anpassung unmöglich ist. Wenn Schwarzen der Aufstieg gelinge, werde ihnen abgesprochen, dass sie ihre Bevölkerungsgruppe repräsentierten. Der Autor nennt Barack Obama als Beispiel dafür, wie erfolgreiche Schwarze seit langem als besondere Ausnahmen gewertet würden. Zugleich reagierten aber auch viele Weiße mit Aversionen auf erfolgreiche Schwarze. Niemand sei fehlerfrei, schreibt Kendi, weshalb auch niemand von Weißen Perfektion erwarte. Dagegen werde aber jede Schwäche eines schwarzen Individuums als Beleg mangelnder Integration ausgelegt, während Erfolge als untypisch abgetan würden. Diese Zwickmühle mache Integration unmöglich.

Ähnliche Erfahrungen machen ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen weltweit:

  • In allen westlichen Ländern gibt es die Tendenz, alle Muslime für islamistischen Terrorismus verantwortlich zu machen. Rechtsradikale Gewalttäter gelten dagegen als Einzeltäter, deren geistige Gesundheit infrage steht.
  • Systemische Ausgrenzung führt zu schlechteren Chancen in Bezug auf Beruf, Gesundheit und Wohnraum. Indigene in Lateinamerika oder Adivasis und Dalits in Indien erleben ebenso wie Schwarze in den USA, dass ihnen beispielsweise geringere Schulerfolge als persönliches Versagen vorgehalten werden, obwohl im Bildungswesen offensichtlich keine Chancengleichheit besteht.
  • Konservative Bürger weigern sich oft, über institutionellen Rassismus überhaupt zu sprechen, verweisen aber als Beleg dafür, dass sie selbst nicht rassistisch ticken, auf freundschaftliche Kontakte zu Angehörigen von Minderheiten.

Rassistisches Denken ist Kendi zufolge in der amerikanischen Geschichte immer den Interessen der reichen weißen Elite zugutegekommen. Heute lenke es beispielsweise von gesellschaftspolitisch wichtigen Themen wie dem allgemeinen Zugang zum Gesundheitswesen oder erschwinglicher Hochschulbildung ab. Antirassistische Politik könne auf diesen Feldern Fortschritte erreichen, die dann auch den Interessen der Mehrheit der weißen US-Bürger dienen würden.

Indessen warnt der Historiker vor allen Bestrebungen, die Debatte über Rassismus zu beenden. So sei die Vorstellung falsch gewesen, die USA hätten sich mit der Wahl eines schwarzen Präsidenten 2008 zu einer postrassistischen Gesellschaft gemausert. Dass Obama ins Weiße Haus einzog, habe schließlich nichts an den Statistiken geändert, die institutionellen Rassismus belegen.


Freiheitsforderung von Sklavenhaltern

Kendis Studie ist umfassend. Sie führt aus, was heutiges rassistisches Denken in den USA mit den portugiesischen und spanischen Seefahrern zu tun hat, die im 15. Jahrhundert begannen, sich in fremde Kulturen einzumischen. Sie geht auf den Sklavenhandel im Kolonialzeitalter ein und hält fest, wie bizarr es ist, dass ausgerechnet Sklavenhalter die Freiheit Amerikas von der britischen Krone forderten. Thomas Jefferson, der Autor der Unabhängigkeitserklärung und einflussreiche dritte Präsident der USA, sprach sich sowohl gegen die Sklaverei als auch gegen ihre Abschaffung aus. Er besaß selber Sklaven – und eine von ihnen gebar seine Kinder.

Kendi erklärt, wie in den Südstaaten auch nach dem Bürgerkrieg Rassentrennung fortbestand. Die Sklaverei war zwar abgeschafft, aber die weiße Bevölkerung setzte ihre Vorherrschaft rücksichtslos durch. Verfassungszusätze, welche die Rechte der Schwarzen schützen sollten, wurden mittels bundesstaatlicher Gesetze umgangen. Lynchmorde waren gang und gäbe, wobei die Täter behaupteten, sie bestraften Verbrecher. Häufig warfen sie schwarzen Männern die Vergewaltigung weißer Frauen vor.  

Kendi erläutert auch, warum sich schwarze Intellektuelle wie W.E.B. Du Bois häufig für Anpassung aussprachen und manche auch dabei blieben. Tatsächlich sei Rassentrennung selbst unter Wissenschaftlern erst inakzeptabel geworden, nachdem der Völkermord der Nazis gezeigt hatte, wohin die genetische Hierarchisierung von Menschen führen kann.  

Aus Kendis Sicht war der Voting Rights Act der 1960er Jahre die fortschrittlichste antirassistische Reform. Im Gegensatz zur übrigen Bürgerrechts-Gesetzgebung erzwang sie Ergebnisse, statt nur Intentionen zu benennen. Unter anderem brauchten die Südstaaten fortan für Wahlrechtsänderungen die Zustimmung der Bundesregierung. Allerdings entschied der Supreme Court 2013, das sei nicht mehr nötig – so dass mittlerweile Wahlgesetze wieder mit dem Ziel geändert werden, die Beteiligung der Schwarzen zu begrenzen.

2016 wurde Kendi’s „Stamped from the beginning“ mit dem National Book Award für Sachbücher ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann Donald Trump die Präsidentschaftswahl. Kendi schreibt, er rechne nicht mit der baldigen Überwindung des Rassismus – aber langfristig werde es geschehen. Nötig seien Reformen, die Chancengleichheit für Schwarze schaffen.

 

Quelle
Kendi, I. X., 2016: Stamped from the beginning – The definitive history of racist ideas in America. New York, Nation Books.


Hans Dembowski ist chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu