Kriegsverbrechen
Die Strippenzieher
„Die FDLR ist eine Organisation, die straff organisiert ist – vom Präsidenten bis zu den unteren Ebenen. Ich betreue die Organisation. Ich bin der Präsident dieser Organisation. Ich weiß ganz genau, was passiert.“ Das sagte Ignace Murwanashyaka schon vor mehr als einem Jahr dem Nachrichtenmagazin Fakt in einem Interview. Zu der Zeit lebte er noch unbehelligt in Deutschland, obwohl er da schon von Interpol mit Haftbefehl gesucht wurde.
Seit 2001 war Murwanashyaka der oberste Befehlshaber der „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“ (FDLR), einer der größten Guerilla-Organisationen im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Entstanden ist die FDLR aus der Interahamwe, die maßgeblich am Völkermord an den Tutsi in Ruanda beteiligt war. Nach dem Gemetzel in Ruanda gingen viele ihrer Mitglieder ins Ausland – ein großer Teil in die benachbarte Demokratische Republik Kongo.
Als Murwanashyaka die Führung der Rebellengruppe übernahm, lebte der Ruander schon seit zwölf Jahren in Deutschland. Hergekommen war er zum Studium der Wirtschaftswissenschaften, 2002 bekam er hier Asyl. Obwohl er seine politischen Aktivitäten nicht verheimlichte und international bekannt war, hatte er erst seit 2005 mit der deutschen Justiz zu tun. Ein erstes Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen wurde 2006 eingestellt – es fehlten die Beweise. Ilona Auer-Frege vom ökumenischen Netz Zentralafrika meint, die Ermittler seien damals nicht hartnäckig genug vorgegangen. Das habe sich erst vor einem Jahr geändert, als der oberste deutsche Staatsanwalt und das Bundeskriminalamt eine Spezialeinheit für Kriegsverbrechen ins Leben riefen.
Ende November 2009 hat die deutsche Justiz ihn und seinen Stellverteter Straton Musoni in Deutschland festgenommen und nach dem Völkerstrafgesetzbuch angeklagt. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Von Deutschland aus sollen die zwei Männer über Jahre hinweg die Rebellenorganisation geleitet haben. Und die hat, wie andere Rebellengruppen in den vergangenen Jahren, Angst und Schrecken im Ostkongo verbreitet. Ihre Soldaten haben Menschen aus ihren Dörfern vertrieben, Frauen vergewaltigt und Kinder zum Töten gezwungen.
Nichts sei passiert ohne Murwanashyakas Einverständnis. Per Satellitentelefon hat er regelmäßig mit den Befehlshabern vor Ort gesprochen, er war der strategische Kopf der Organisation und hat sich um deren Finanzen gekümmert. Außerdem soll er sie mit Waffen und Munition versorgt haben. Die Unterstützung aus der Diaspora ist nach dem Bericht der UN-Untersuchungsgruppe sehr wichtig für die Milizen im Kongo. Mehrere Hundert Sympathisanten helfen von Europa, Nordamerika oder Afrika aus. Sie sammeln Geld, kümmern sich um Propaganda und waschen Geld, das die Miliz mit ihren Rohstoffgeschäften macht. Ohne diese externe Unterstützung, so der UN-Bericht, wären die Operationen vor Ort weitaus schwieriger.
Die UN-Experten gehen davon aus, dass die FDLR einen Großteil der Minen in Südkivu kontrolliert. Sie und andere bewaffnete Gruppen verdienen am Rohstoffhandel. Dabei geht es vor allem um Gold und das Mineral Kassiterit. Offiziell werden zwar nur ein paar Kilogramm Gold im Jahr exportiert. Der kongolesische Senat schätzt aber, dass jährlich etwa 40 Tonnen des Edelmetalls im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar außer Landes geschafft werden. Mehrere Millionen davon landen laut UN-Schätzungen jedes Jahr bei den Rebellen. Und weitere Zehntausende Dollar verdienen sie jedes Jahr am Handel mit Kassiterit, einem Zinnerz. Vielleicht sind es aber auch ein paar Millionen, da tappen selbst die UN-Ermittler im Dunklen.
Möglich ist das, weil der Rohstoffhandel mit Gold und Mineralien im Kongo völlig unkontrolliert ist. Das ließe sich ändern. Denn solange die Metalle nicht verhüttet sind, ist ermittelbar, wo sie herkommen. Bisher aber gibt es keine effektiven Mechanismen. Der Handel läuft allein über mündliche Zusicherungen. Nach Recherchen der Nichtregierungsorganisation Enough, die sich für ein Ende des Krieges in Zentralafrika einsetzt, gibt es aber keinen Exporteur, der je eine Ladung Mineralien zurückgewiesen hätte, weil sie aus einem Konfliktgebiet stammt. Enough-Chef Prendergast meint, es sei schlicht zu einfach, so genannte Konfliktmineralien auf den Markt zu bringen. Solange sich daran nichts ändere, werde auch der Krieg um die Minen weitergehen.
Wirkungsvolle Initiativen für mehr Transparenz gibt es bisher aber noch nicht. Auch deswegen hat der UN-Sicherheitsrat die Expertengruppe beauftragt, Richtlinien zu entwerfen. Für die Geschäfte, die die beiden Angeklagten wohl auch gemacht haben, stehen sie bisher nicht vor Gericht. Wohl aber für die Gräuel, die sie angeordnet haben sollen, um eben diese Geschäfte möglich zu machen. Derzeit sitzen sie in Untersuchungshaft. Auer-Frege meint, dass allein das die Rebellenorganisation schwächen wird: „Ihnen fehlt jetzt der strategische Hardliner“. Das, so meint sie, wird sich auch auf die Moral der Truppe im Kongo auswirken.
Wann der Prozess gegen die beiden beginnen wird, ist noch unklar. Derzeit wird noch ermittelt, bis zur Anklage werden wohl noch einige Monate vergehen, so der Sprecher der Bundesanwaltschaft.
Aber Murwanashyaka und Musoni sind nicht die Ersten, die sich für Verbrechen im Konflikt im Ostkongo verantworten müssen. Unter anderem stehen bereits die Chefs von zwei weiteren Rebellengruppen vor Gericht: Thomas Lubanga muss seit Anfang 2009 dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Rechenschaft ablegen (vgl. E+Z 2/2009), das Verfahren gegen Mathieu Ngudjolo Chui wurde Ende November eröffnet. Claudia Isabel Rittel