Klimawandel
Neue Konfliktszenarien
[ Von Nina V. Michaelis ]
Der Klimawandel äußert sich in höheren Temperaturen, veränderten Niederschlägen und steigendem Meeresspiegel. Er verstärkt Effekte, die zu gesellschaftlicher Unsicherheit und Gewalt führen können. Zu nennen sind politische Instabilität, schwache Governance oder auch geringe Wirtschaftsleistung. Aus Sicht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU, 2008) werden vor allem fragile Staaten mit schwachen Institutionen überfordert sein und sich ohne Unterstützung nicht an die neuen Umweltbedingungen anpassen können.
Grundsätzlich sind in den unterschiedlichen Regionen der Welt ähnliche Trends zu erwarten. Der WBGU unterscheidet vier klimabedingte Konfliktkonstellationen, die zu gesellschaftlicher Destabilisierung und Gewalt führen können. Dabei geht es um
– veränderte Verfügbarkeit von Süßwasser,
– sinkende Nahrungsmittelproduktion,
– die Zunahme von Stürmen und Überschwemmungen sowie
– umweltbedingte Migration.
Wechselwirkungen sind zu erwarten, lassen sich aber nur schwer präzise vorhersagen (siehe Karte).
Süßwasser: Heute haben 1,1 Mrd. Menschen keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser. Da der Klimawandel Niederschlagsmuster verändert, wird er die verfügbare Wassermengen beeinträchtigen (IPCC, 2007a). Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Wasser, weil die Weltbevölkerung wächst und ihre Ansprüche steigen – etwa durch veränderte Ernährungs- und Freizeitgewohnheiten sowie den Tourismus. Verteilungskonflikte werden sich verschärfen – und das Wassermanagement der betroffenen Länder vor zusätzlichen Herausforderungen stehen.
Das Beispiel Limas macht deutlich, wie Knappheit eine Gesellschaft unter Druck setzt. Die Wasserversorgung der Stadt ist zu mehr als zwei Dritteln auf den Río Rímac angewiesen, der sich aus Gletscherschmelzwasser speist. Mittlerweile haben diese Gletscher aber wegen des Klimawandels schon mehr als ein Drittel ihres Volumens verloren – mit der Folge temporärer Engpässe in der Süßwasserversorgung. Die Einwohnerzahl Limas wächst. Derzeit sind es 7 Millionen, voraussichtlich werden es aber 12 Millionen werden.
Also wird die Wassernachfrage steigen. Ohnehin prägen soziale Ungleichheit, Armut und Unterbeschäftigung den Ballungsraum. Krisenverschärfend kommt hinzu, das Perus Stromgewinnung zu rund 80 Prozent von Wasserkraftwerken abhängt. Eine ausreichende Stromversorgung ist Grundlage für Entwicklung, die wiederum Grundlage für sozialen Frieden ist.
Die Regierung steht also vor gewaltigen Herausforderungen, und es ist offen, ob sie ihnen gewachsen sein wird. Die öffentlichen Institutionen gelten als leistungsschwach und korruptionsanfällig. Es ist absehbar, dass Destabilisierungs- und Gewalttendenzen zunehmen werden, wenn nicht heute schon durch geeignete Schritte den sich abzeichnenden Wasserproblemen entgegengesteuert wird.
Aus Sicht des WBGU sind in Ländern wie Peru Veränderungen auf verschiedenen Ebenen nötig. Die betroffenen Staaten müssen das vorhandene Wasser effizienter nutzen, um alle Bürger ausreichend versorgen zu können. Dafür müssen sie die Ressourcen in einem integrierten Konzept managen und die zuständigen Institutionen stärken. Sie müssen aber auch international besser kooperieren, weil Wasservorkommen sich nicht an nationale Grenzen halten. Gebraucht werden deshalb regionale Konzepte auf der Basis besserer als bislang zur Verfügung stehender Daten. Es ist offensichtlich, dass arme und fragile Staaten Unterstützung brauchen werden.
Nahrungsmittel: Derzeit sind weltweit über 850 Millionen Menschen unterernährt. Die Ernährungsunsicherheit wird in vielen Entwicklungsländern bereits bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius im Vergleich zu 1990 zunehmen (IPCC, 2007b), weil Wüstenbildung, Bodenversalzung und Wasserverknappung landwirtschaftlich nutzbare Flächen zerstören. Dadurch wird die vielfach bereits angespannte Wirtschaftslage im ländlichen Raum weiter verschärft – besonders dort wo, wie in Südasien oder Nordafrika der Fall, bereits fast alle landwirtschaftlich nutzbaren Flächen bewirtschaftet werden.
Um drohenden Konflikten vorzubeugen, müssen der Treibhauseffekt und seine Folgen in den globalen Szenarien zur Entwicklung der Landwirtschaft stärker berücksichtigt werden. Bisherige Prognosen (etwa von der FAO) führen in die Irre. Die Entwicklungspolitik muss dem ländlichen Raum wieder mehr Aufmerksamkeit widmen und dabei den Klimawandel berücksichtigen.
Außerdem muss die internationale Gemeinschaft – allen voran die USA, die EU und die großen Schwellenländer – die stockenden Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde endlich zu einer Reform der Weltagrarmärkte führen, damit Entwicklungsländer einen besseren Marktzugang und Produktionsanreize erhalten. Allerdings müssen die Länder, die schon jetzt von Lebensmittelimporten abhängen und zusätzlich stark vom Klimawandel betroffen sind, besonders unterstützt werden.
Stürme und Fluten: Stürme und Überschwemmungen machen bereits heute fast 60 Prozent aller Naturkatastrophen aus – bei steigender Tendenz. Außerdem wird der Meeresspiegel weiter steigen. Insgesamt ergeben sich daraus für viele Städte und Industrieregionen in Küstennähe Risiken. Entwaldung an Oberläufen von Flüssen, Landabsenkung im Großraum urbaner Zentren und zunehmende räumliche Konzentration von Bevölkerungen und Vermögenswerten spitzen die Problematik zu.
Einige von Stürmen und Fluten besonders bedrohte Regionen wie Zentralamerika oder das südliche Afrika zeichnen sich durch schwache ökonomische und politische Kapazitäten auf. Das erschwert das Krisenmanagement erheblich – und macht Gewalt wahrscheinlicher.
Zu den gefährdeten Gebieten gehören aber auch die dicht besiedelten Ostküsten Indiens und Chinas. Katastrophen könnten große Schäden anrichten und kaum steuerbare Migrationsprozesse auslösen. Es ist bekannt, dass in Phasen innenpolitischer Spannungen Sturm- und Flutkatastrophen leicht Konflikte auslösen können.
Beide Szenarien sind nur durch Vorsorgemaßnahmen wie etwa die Verringerung urbaner Landabsenkung und die Stärkung nachhaltiger Konsummuster zum Schutz von Wäldern in betroffenen Staaten abzuwenden. Arme Länder müssen dafür bi- und multilaterale Hilfe erhalten. Außerdem sind mehr Frühwarnsysteme notwendig. Dazu sollten nationale und internationale Akteure sollten verstärkt zusammen arbeiten. Die jeweiligen Regierungen und die internationale Gemeinschaft sind außerdem gefordert, nach Naturkatastrophen in konfliktträchtigen Regionen, schnell und effektiv humanitäre Hilfe zu leisten und Unmut in der Bevölkerung zu begrenzen.
Umweltbedingte Migration: Die geschilderten Probleme werden in Verbindung mit hohem Bevölkerungswachstum, instabilen Institutionen und Armut viele Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Dadurch steigt die Konfliktwahrscheinlichkeit in Transit- und Zielregionen.
Umweltmigration wird zunächst hauptsächlich regional auftreten – zunächst innerhalb von Staatsgrenzen, dann grenzüberschreitend vor allem als Süd-Süd-Migration. Diese Länder sind aufgrund unzureichender Infrastruktur, mangelnder politischer und ökonomischer Stabilität und Leistungsfähigkeit besonders konfliktanfällig. Deshalb müssen internationale Geber diese Aufgaben koordinieren und finanzieren. Als Diskussionsplattform könnte hierzu der durch die Internationale Organisation für Migration gegründete internationale Dialog über Migration dienen. Hier könnten auch Länder, die von Umweltmigration betroffen sind, und die, die nicht davon betroffen sind, einen Lastenausgleich aushandeln. Außerdem sollte die internationale Staatengemeinschaft eine Regelung der Rechtsstellung von Umweltmigranten durch die Entwicklung einer gesonderten multilateralen Konvention anstreben.
Sicherlich werden auch Europa und Nordamerika zu Zielregionen. Streit wird darüber herrschen, welche Staaten zukünftig für die Kosten von Umweltmigration aufkommen müssen. Schließlich haben bisher hauptsächlich die Industrieländer den Klimawandel verursacht.
Abwanderung lässt sich durch die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen reduzieren. Da Migration nicht zu vermeiden sein wird, sollten Strategien zur Steuerung dazu beitragen, Konflikte zu reduzieren. Sinnvoll ist Nothilfe bei extremen Wetterereignissen. Wichtig sind aber auch Integration in den Zielregionen, multilaterale Vereinbarungen und Rückkehrvereinbarungen.
Fazit
Durch den Klimawandel und seine Folgen wird das Risiko von Destabilisierung und Gewalt in vielen Regionen erheblich steigen. Zudem bestehen zwischen den vier Konfliktkonstellation zahlreiche wechselseitige Abhängigkeiten, so dass es zu schwer prognostizierbaren Wechselwirkungen kommen dürfte. Problematisch ist ohnehin schon, dass Staatlichkeit und Institutionen typischerweise dort schwach sind, wo die Wirtschaftsleistung gering, aber das Bevölkerungswachstum hoch ist.
Zur Vorbeugung sollte die internationale Staatengemeinschaft an erster Stelle Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu begrenzen. Da er sich aber nicht mehr vollständig vermeiden lässt, sind parallel dazu regionale und nationale Strategien notwendig, um die Verletzbarkeit der Bevölkerung zu mindern.