Global Governance
Aus Utopie muss Wirklichkeit werden
Die UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel gibt es seit fast 30 Jahren, aber die Klimakrise eskaliert weiter. Da Versuche, strengere Regeln zu beschließen, scheiterten, stützt sich das Paris-Abkommen von 2015 wieder auf freiwillige Maßnahmen, um den weltweiten Temperaturanstieg auf höchstens zwei und möglichst 1,5 Grad zu beschränken. Gute Absichten sind lobenswert, und dass US-Präsident Joe Biden kein Klimaleugner wie sein Vorgänger ist, wird helfen. Ob das ausreicht, steht jedoch nicht fest.
Auch in anderen Politikfeldern wäre globale Abstimmung nötig. Die Corona-Pandemie löst gesundheitlich und ökonomisch schweres Leid aus. In Rekordzeit wurden innovative Impfstoffe entwickelt, dank derer die wohlhabenden Nationen wahrscheinlich noch in diesem Jahr Herdenimmunität erreichen werden. Dagegen ist das Ziel der multilateralen Initiative Covax nur, in den Partnerländern 20 Prozent der Bevölkerung zu impfen, was für Herdenimmunität nicht reicht. Um nicht missverstanden zu werden: Covax verdient Lob. Dass Länder sich zusammentun, um allen Partnern Zugang zu Impfstoffen zu geben, ist wichtig.
Es reicht aber nicht. Ein belastbarer Plan, weltweite Herdenimmunität in wenigen Monaten zu erreichen, ist vielleicht unmöglich. Aber wie wäre es mit 15 oder 18 Monaten? Derart eindeutig artikulierter Ehrgeiz würde überall Zuversicht wecken. Er sollte zudem auf fairer Lastenteilung beruhen. Bisher tragen Regierungen reicher Nationen aber nur so viel Geld bei, wie ihnen selbst jeweils angemessen scheint.
Auch die Regulierung des Internets ist grenzüberschreitend nötig. Anfang Januar schlossen Twitter, Facebook und andere Plattformen US-Präsident Donald Trump aus, weil er einen Aufruhr in Washington angestachelt hatte. Die dominanten Internetriesen Amazon, Apple und Google haben zudem Parler, eine unter rechtspopulistischen Amerikanern beliebte Plattform, de facto ausgeschaltet, indem sie ihr die Nutzung digitaler Infrastruktur verweigerten. Solche Entscheidungen haben große öffentliche Bedeutung, werden aber von Managern getroffen, die nur den Anteilseignern Rechenschaft schulden. Ihr Ziel ist Profitmaximierung und Steuerminimierung, aber sie kontrollieren digitale Systeme von erheblicher öffentlicher Relevanz. Bisher tun sie viel zu wenig, um Propagandalügen und Hassrhetorik zu verhindern. Das Gemeinwohl obliegt dem Gutdünken dieser Großunternehmen. Als autokratischen Herrschern die Bedeutung des Internets noch nicht klar war, boten Internetplattformen Freiräume. Heute stellen sich die Unternehmenslenker dagegen nach Möglichkeit mit den Machthabern gut. Dass Trump schon abgewählt war, war wichtig.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der komplette Ausschluss Trumps von den sozialen Medien dessen Redefreiheit einschränkt. Deutsche Regeln verbieten Hasspropaganda und zwingen die Online-Plattformen, diese nach Benachrichtigung zu löschen. Täter behalten so Zugang, aber Missbrauch wird begrenzt. Allerdings herrscht in den USA ein etwas anderes Verständnis von Redefreiheit als in Deutschland. Die US-Verfassung verbietet dem Staat, die Redefreiheit zu begrenzen, gewährt aber keinesfalls allen Menschen Zugang zu jeder Dimension des öffentlichen Raums. Wo Privatfirmen solche Dimensionen kontrollieren, entscheiden sie alleine. Dass sich das Verständnis von Redefreiheit nuancenweise von Land zu Land unterscheidet, ist kein großes Problem. Es ist aber verheerend, dass die Menschenrechte nicht international einklagbar sind, sondern nationaler Rechtsprechung unterliegen. Die Universelle Erklärung der Menschenrechte ist nicht bindendes Recht. Für globale politische Meinungsbildung brauchen wir stimmige Regeln über Redefreiheit im Internet – aber darüber bestimmen vielfach Konzerne und Potentaten.
Heute sind Umweltschutz, Gesundheit und digitaler Austausch globale Themen. Unser aller Wohlergehen hängt von kompetenter Zusammenarbeit und klugen Regeln ab. Unverbindliche Prinzipien reichen nicht. Besser wäre konsequentere Global Governance. Das ist utopisch – aber wenn die Forderung oft wiederholt und gründlich debattiert wird, wird sie irgendwann selbstverständlich.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
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