Staatsfinanzen
Wachsende Schulden
Die Autoren betonen, dass Schuldenkrisen großen Schaden anrichten und sich lange hinschleppen. In seinem Vorwort schreibt der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beispielsweise über Griechenland: „Heute ist das Verhältnis von Schulden zu Wirtschaftsleistung rund 50 Prozent höher als zu Beginn der Krise im Jahr 2010. Griechenland hat dafür einen hohen Preis bezahlt: ein Viertel der Griechen ist arbeitslos, das Bruttoinlandsprodukt fiel um 25 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt gar bei 60 Prozent und gefährdet die Zukunft des Landes.“
Argentinien dient als weiteres Beispiel für ein schier unendliches Schuldendrama. Zwar haben die meisten Gläubiger einer Umschuldung zugestimmt, eine kleine Minderheit hat sich aber verweigert. Richter in den USA haben entschieden, dass die Gläubiger komplett ausbezahlt werden müssen, obwohl sie die Schuldscheine zu Schleuderpreisen erworben haben. Deshalb wird Argentinien sein Schuldenproblem nicht los. Wie Stiglitz erläutert, bedeutet die Aussicht, dass in Zukunft Geierfonds und andere kompromisslose Gläubiger Umstrukturierungen unterlaufen können, dass solche Abkommen kaum zustande kommen können.
Dem Schuldenreport zufolge werden Schuldenkrisen aber wieder wahrscheinlicher. Er verwendet verschiedene Indikatoren, wie etwa das Verhältnis
- von Staatsverschuldung zu Wirtschaftsleistung,
- von Staatsverschuldung zu Staatseinnahmen,
- vom Volumen der Außenverschuldung zu den jährlichen Exporteinnahmen und
- von Schuldendienst zu Exporteinnahmen.
Solche Indikatoren zeigen, dass nur 45 von 102 untersuchten Ländern keine Probleme haben. In 83 Fällen beunruhigt ein Indikator und in 16 stehen alle vier auf rot. Drei Länder gelten als zahlungsunfähig: Simbabwe, Sudan und Grenada.
Die Situation hat sich 2014 zugespitzt, denn die Zahl der Länder mit Problemen stieg von 62 auf 83. Besonders betroffen sind laut Schuldenreport kleine Inselstaaten, Länder in Ost- und Mitteleuropa sowie Staaten, die in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten multilateralen Schuldenerlass brauchten.
Die meisten Schuldenreport-Autoren gehören zum ökumenischen Netzwerk erlassjahr.de. Dafür, dass die Schuldenprobleme wieder wachsen, nennen sie verschiedene Gründe.
Relevant ist zum Beispiel die Politik des billigen Geldes, mit der Zentralbanken reicher Volkswirtschaften die Konjunktur beleben wollen. Ein Nebeneffekt ist dabei, dass manche Privatanleger sich nach profitträchtigeren Investitionsmöglichkeiten im Ausland umsehen. Die erlassjahr-Experten weisen darauf hin, dass derzeit viele Regierungen und Unternehmen aus Entwicklungsländern Darlehen bekommen, obwohl sie unter normalen Umständen nicht kreditwürdig wären. Dabei scherten sich die Geldgeber kaum noch um die langfristige Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer. Betont wird zudem, dass Schulden im Privatsektor zum Risiko für die Staatsfinanzen werden können. Das ist der Fall, wenn – wie in Irland und Spanien im Zuge der Eurokrise der Fall – Behörden für private Schuldner einspringen müssen.
Die Probleme werden eskalieren, wenn die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt sinken, lautet eine Warnung des Schuldenreports. Private wie staatliche Kreditnehmer brauchen nämlich Exporteinnahmen, um ihre Schulden zu bedienen. Der jüngste Sturz des Ölpreises gilt als Warnsignal. Ein weiteres Krisenszenario ist, dass die Leitzinsen in reichen Ländern irgendwann wieder steigen, und Schuldner in Entwicklungs- und Schwellenländer dann Probleme mit der Refinanzierung ihrer Kredite bekommen.
Angesichts der wachsenden Risiken urteilen die zivilgesellschaftlichen Fachleute, es sei „höchste Zeit für die Lösung der Schuldenkrise“. Sie hoffen, dass die UN ein Rechtsinstrument für Staatsinsolvenzen schafft. Ihrer Meinung nach müssen die Entwicklungs- und Schwellenländer das weiterhin von Industrieländern, die sich – einschließlich Deutschland – noch dagegen sträuben, fordern. Sie selbst wollen dafür auch Druck machen.
Hans Dembowski
Link:
Schuldenreport 2015:
http://www.erlassjahr.de/material-und-publikationen/schuldenreport