Entwicklungsfinanzierung
„Es liegt ein Marathon vor uns“
Laut Schätzungen gibt es eine Finanzierungslücke von jährlich 2,6 Billionen Dollar für die Sustainable Development Goals (SDGs – Ziele für nachhaltige Entwicklung). Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaftsleistung beträgt knapp 3,5 Billionen Dollar. Wie kann solch eine riesige Lücke geschlossen werden?
Sicher ist: Entwicklungsbanken und Regierungen können diese gigantischen Summen nicht alleine aufbringen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir privates Kapital mobilisieren. Alle Länder haben ein Interesse daran, dass globale öffentliche Güter – wie Klimaschutz – gewährleistet werden. Indien ist dafür ein gutes Beispiel. Es steht bereits auf Platz drei der Treibhausgas-Emittenten, und die Wirtschaft wächst weiter. Wenn wir schnell expandierende Ökonomien nicht begleiten, entstehen Probleme für uns alle. Es ist eine globale Aufgabe, den Wachstumsprozess dieser Länder nachhaltig zu gestalten. Wir müssen dazu beitragen, dass 1,4 Milliarden Inder nicht den gleichen C02-Ausstoß pro Kopf wie wir erreichen. Das würde direkt in die Klimakatastrophe führen. Natürlich müssen wir Industrieländer zusätzlich unsere eigenen Beiträge zu Hause leisten.
Wie garantieren Sie Nachhaltigkeit?
Wichtig ist zunächst zu definieren, was Nachhaltigkeit bedeutet – für uns und für andere. Es geht um viel mehr als nur Klimaschutz. Bislang ist mein Eindruck, dass wir teils noch mit unterschiedlicher Sprache darüber sprechen. Wir müssen uns zum einen auf EU-Ebene auf gemeinsame Definitionen verständigen. Wir in der KfW haben natürlich auch eigene Vorstellungen, welche Vorgaben wir an „Sustainable Finance“ stellen. Und wir wollen Nachhaltigkeit messbar machen. Die DEG hat bereits ein Konzept, das die Entwicklungseffekte der von ihr finanzierten Unternehmen misst (siehe dazu Tribüne im E+Z/D+C e-Paper 2017/10). Das deckt vielleicht noch nicht alle SDGs ab, aber es ist ein erster, wichtiger Schritt, um deutlich zu machen, was wir erreichen. Wir arbeiten daran, für die gesamte KfW Bankengruppe solche Indikatoren zu bestimmen.
Beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen 2009 versprachen die Industrieländer, von 2020 an jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimafinanzierung in Entwicklungs- und Schwellenländern bereitzustellen. Lange schien es, das werde nicht gelingen, aber 2018 sind tatsächlich schon etwa 80 Prozent geflossen. Wie ist das gelungen?
Der Privatsektor hatte einen hohen Anteil daran, aber meine Eindrücke sind noch ziemlich gemischt. Viele Unternehmen haben erkannt, dass Afrika oder der asiatische Raum erhebliche Wachstumschancen bieten, also bestehen wirtschaftliche Interessen – etwa in Bezug auf erneuerbare Energien. Ich finde aber, da könnte noch mehr passieren. Wir sind noch weit davon entfernt zu sagen, dass das jetzt eine positive Entwicklung ist und wir damit zufrieden sein können. Mein Eindruck ist aber auch, dass Menschen in den Schwellenländern zunehmend verstehen, dass etwas geschehen muss. Sie möchten auch in einer sauberen Umgebung leben. Nehmen Sie zum Bespiel China. Dort tut sich seit einigen Jahren viel in Bezug auf Klimaschutz. Aber es ist noch lange nicht genug.
Wie wollen Sie mehr Privatunternehmen mobilisieren?
Eine gute Initiative ist sicher die von der Bundesregierung unter deutscher G20-Präsidentschaft 2017 ins Leben gerufene Initiative „Compact with Africa“. Das Ziel sind Partnerschaften auf Augenhöhe und bessere Bedingungen für Handel und Investitionen. Man muss den Privatinvestoren die Angst nehmen, sich in diesen Ländern zu engagieren. Denn dort herrschen natürlich ganz andere Rahmenbedingungen, als sie es von Industrieländern gewöhnt sind. Man muss vor Ort Hilfestellung leisten: Wie kann ich Marktzugang finden, welche Kunden gibt es? Dann muss man aber auch intensiv mit den Staaten reden, dass sie verlässlichere Investitionsbedingungen schaffen als bislang. Das ist ihre Aufgabe. Es funktioniert nicht so, dass wir Deutschen den Ländern erklären könnten, was sie wie besser machen sollen. Ich finde es gut, dass die Partnerregierungen jetzt selbstbewusster sagen, wo und wie wir sie unterstützen können – und dann kommen auch die Privatinvestoren. Aber Entwicklung ist kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Marathon. Es ist ein langer Prozess und wir müssen dran bleiben.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change warnt, dass wir die Weltwirtschaft bis 2050 dekarbonisieren müssen, und das bedeute Halbierung der Emissionen in den nächsten zwölf Jahren …
Ja, aber das ist schon mal ein Zeithorizont. Wir müssen uns anstrengen und alle Instrumente einsetzen, die wir haben, um die zwölf Jahre sinnvoll zu nutzen. Das Schlimmste wäre, wenn wir kapitulieren würden. Nein, wir haben den Kampf noch nicht verloren, und ich glaube auch, dass wir die Aufgabe bewältigen können.
Welche Rolle spielt die DEG dabei, die Privatunternehmen fördert?
Sie ist wichtig, aber wenn Sie sich die Größenordnung anschauen, relativiert sich ihre Rolle etwas. Von rund 24 Milliarden Euro Auslandsinvestitionen unserer Bankengruppe finanziert die DEG lediglich 1,6 Milliarden Euro. Es ist auch oft schwierig, förderungswürdige Unternehmen zu finden. Meine Botschaft an unsere Partner ist, dass sie sich noch mehr anstrengen sollten, um Raum für „bankable projects“ zu bieten. Wir müssen aber auch unsere eigenen Arbeitsweisen prüfen. Für die Länder ist die Kooperation nicht immer leicht – es gibt viele verschiedene Finanzinstitute: die KfW, die Weltbank, die anderen multilateralen Entwicklungsbanken, die französische AFD und so weiter. Jede macht ihre eigenen Vorgaben. Wir versuchen, mit den anderen Finanzierern gemeinsame Standards zu definieren, um diese administrative Komplexität zu reduzieren.
Und dann kommt noch die Volksrepublik China mit Kreditangeboten hinzu, und sie beteiligt sich bislang kaum an Harmonisierungsbemühungen. Wir schätzen Sie die Rolle der neuen Geber ein?
Ich sehe das gar nicht so kritisch. Wir haben über die Zahlen gesprochen, die uns zur Finanzierung der SDGs fehlen. Für mich sind die neuen Geber Unterstützer und nicht Konkurrenten. Unsere Partnerländer können souverän entscheiden, ob sie mit China eine Finanzierung eingehen möchten. Wir haben andere Vorgaben und Vorstellungen zur Umsetzung von Projekten als Peking. Wir können auch zeigen, dass unser Ansatz deutliche Vorteile hat …
… etwa im Blick auf Nachhaltigkeit. Kritiker sagen, viele von China finanzierte Vorhaben in anderen asiatischen Ländern, Afrika und Lateinamerika seien ökologisch und ökonomisch problematisch. Müssen die Chinesen gründlicher prüfen, was sie fördern?
Ich finde, die Länder selbst müssen prüfen, ob Projekte ökonomisch und ökologisch nachhaltig sind. Sie sind dafür verantwortlich, und Fehleinschätzungen tun ihnen besonders weh. Wir sollten aber Überzeugungsarbeit leisten und Partner darauf hinweisen, welche langfristigen Folgen Darlehen haben können.
Welche neuen Schwerpunkte wollen Sie in der KfW setzen?
Wir denken gerade intensiv darüber nach, welche Entwicklungstendenzen wir bis zum Jahr 2025 sehen und wohin wir uns verändern müssen. Wir wollen dabei in unseren Prozessen schneller werden und denken, dass uns dabei die Digitalisierung helfen kann. Als Beispiel kann ich unser erstes Blockchain-Projekt in Burkina Faso nennen, womit wir unter anderem die Prozesssteuerung optimieren wollen. Auch die SDGs spielen für uns eine wichtige Rolle, die ganze KfW Bankengruppe wird ihre Arbeit noch stärker auf das Thema Nachhaltigkeit ausrichten. Außerdem wird der Bereich der Auslandsfinanzierung innerhalb der KfW wachsen. Mein Ziel ist es auch, die Entwicklungszusammenarbeit öffentlicher zu machen, mehr darüber zu reden und das Thema ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Wir wollen transparenter, schneller und schlagkräftiger werden. Außerdem wollen wir einen ganzheitlicheren Ansatz in unseren Projekten verfolgen. In den meisten Ländern ist es mit einem Sektor wie Infrastruktur oder Gesundheit nicht getan. Projekte müssen mehrere Sektoren berücksichtigen und darin wirken.
Joachim Nagel ist KfW-Vorstand für internationale Finanzierung.
https://www.kfw.de/KfW-Konzern/Über-die-KfW/Organe-und-Gremien/Vorstand/Dr.-Joachim-Nagel/
Korrektur, 25.2.2019:
In diesem Interview war die fünfte Frage ursprünglich zu salopp formuliert: „Wir haben aber nur noch zwölf Jahre für die Dekarbonisierung...“. Wir entschuldigen uns für die Ungenauigkeit. Nagels Antwort bezog sich auf den Handlungsbedarf und bleibt korrekt.