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Menderes Candan untersucht den Einfluss der irakischen Diaspora in Deutschland auf den Wiederaufbau des Irak. Im Interview erklärt er, warum es Migranten­organisationen oft gelingt, zum Fortschritt dort beizutragen.

Interview mit Menderes Candan

Welchen Einfluss haben irakische Migranten auf ihr Heimatland?
Seit dem Regimewechsel im Irak 2003 haben Migranten politischen Einfluss auf den Wiederaufbau des Landes genommen. Rückkehrer übernehmen verschiedene politische Funktionen auf Ministerial- oder Beamtenebene, in Parteien und zivilgesellschaftlichen Vereinen und betreiben in Deutschland Aufklärungs- und Lobbyarbeit für den Irak. Auch ökonomisch nehmen sie Einfluss – durch offizielle und inoffizielle Überweisungen in ihre Heimat. Außerdem tätigen vor allem Rückkehrer Investitionen und gründen neue Unternehmen. Wichtig sind besonders die Wirtschaftsverbindungen, die durch die Migranten entstehen. Es gibt Vereine in Deutschland, die dabei als Vermittler dienen: sie überzeugen deutsche Unternehmen, im Irak zu investieren. Zudem nehmen Migranten in der Wissenschaft Einfluss – durch Tätigkeiten an den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Schließlich versuchen Rückkehrer – und über das Internet auch Migranten in Deutschland –, zur gesellschaftlichen Versöhnung beizutragen. Die Migranten, die zumeist jahrzehntelang in Deutschland gewesen sind, sind zudem mit demokratischen Werten vertraut.

Sehen Sie auch negative Auswirkungen der Migration aus dem Irak nach Deutschland?
Als negative Auswirkung auf die Herkunftsländer wird oft der „Braindrain“ genannt. Seit etwa zwei Jahrzehnten beobachtet die Forschung allerdings einen „Braingain“, wenn ehemals ausgewanderte Migranten gut ausgebildet in die Herkunftsländer zurückkehren. Man darf aber nicht alles schönreden. Studien zeigen auf, dass vereinzelte Diasporagemeinschaften durch die Unterstützung von Konfliktparteien negativen Einfluss auf ihr Herkunftsland nehmen. Im Irak gab es von den 60er bis in die 90er Jahre Braindrain. Seit 2003 ist eher die gegenläufige Bewegung zu beobachten. Gut ausgebildete Migranten, die jahrzehntelang in westlichen Ländern gelebt haben, kehren temporär oder permanent in den Irak zurück oder unterstützen vom Auswanderungsland aus den Fortschritt im Irak.

Welche Rolle spielt das Motiv der Migration?
Das Beispiel Irak zeigt, dass Menschen, die wegen ihrer politischen Ansichten aus ihrem Land vertrieben wurden, tatsächlich politisch aktiver sind. Im Falle des Irak haben wir es hauptsächlich mit gut ausgebildeten Flüchtlingen zu tun. Da sie selbst Regimeopfer sind, liegt ihnen der Aufbau eines demokratischen Systems besonders am Herzen.

Welche Rolle spielen formale Organisationen?
Ich denke, dass Organisationen enorm wichtig sind, da sie das Engagement, die Aktivitäten und die Ideen der Individuen zusammenbringen. Dadurch entstehen Ressourcen und Netzwerke. Durch den Zusammenschluss zu Vereinen werden die Iraker für zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaft, Politik und die Wirtschaft erst zu Ansprechpartnern. Sie haben aber noch keinen Dachverband, der die Interessen aller irakischen Vereine in Deutschland bündelt. Solch ein Dachverband wäre nützlich.

Welchen Einfluss hat der Zusammenschluss zu Vereinen auf die Migranten selbst?
Einerseits leisten die Vereine Identitätsbildung. Sie wollen ihre Kultur, Geschichte und die unterschied­lichen Muttersprachen bewahren. Dazu werden Sprachkurse und kulturelle Veranstaltungen angeboten und irakische Festtage gemeinsam gefeiert. Andererseits fördern sie die soziale Integra­tion. 2008 nahm Deutschland im Rahmen eines Beschlusses der EU etwa 2500 irakische Flüchtlinge auf – viele Vereine halfen den neu Angekommenen als Dolmetscher bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und boten Deutschkurse an.

Unter welchen Bedingungen ist solch positive Einflussnahme der Migranten möglich?
Im Irak hat das politische System 2003 einen kompletten Wechsel erfahren – von einer Diktatur zur Demokratie. Wiederaufbau und Demokratisierung sind weiterhin schwierig. Es bestehen aber demokratisch-föderale Strukturen, die es den Menschen erlauben, regional tätig zu werden. Das war entscheidend für die Einflussnahme der Diaspora im Irak. So haben beispielsweise viele Iraker nach dem offiziellen Ende des Krieges angefangen, insbesondere in die im Vergleich zum Zentral- und Südirak sichere Auto­nomieregion Irakisch-Kurdistan im Norden des Landes zurückzukehren oder sich dort vielfältig zu engagieren und zu investieren.

Wer kann die positive Einflussnahme von Migranten auf die Entwicklung ihres Herkunftslandes fördern?
Das außen- und entwicklungspolitische Engagement von Diasporagemeinschaften ist recht neu. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich damit hinterher, dieses Engagement für die eigene Politik zu nutzen. Dabei sind Diasporaorganisationen oft Akteure der Außenpolitik und wollen auch als solche wahrgenommen werden. Will man die Vereine in die Politik einbinden – auf ihre Netzwerke, Ressourcen und ihr Wissen zurückgreifen –, muss geklärt werden, was die jeweiligen Interessen sind. Je nachdem, ob ein Verein entwicklungs- oder außenpolitische Ziele verfolgt, ist entsprechend entweder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder das Auswärtige Amt zuständig. Auch finanzielle Unterstützung ist wichtig. Oft halten die Beamten die Diasporavereine für unprofessionell. Es gibt noch viel zu tun.

Wie ist das denn im Fall des Irak?
Es handelt sich meist um hochqualifizierte Migranten, die über wichtige transnationale Netzwerke verfügen und sich mit der Bürokratie und den Gegebenheiten in Deutschland und im Irak gut auskennen. Es besteht also bereits ein recht hoher Grad an Professionalisierung. Zudem ist die Mehrheit der Diasporaorganisationen demokratisch strukturiert und verfolgt auch im Irak demokratische Ziele. Bei den wirklich engagierten Vereinen mangelt es weniger an der Professionalisierung als vielmehr an Unterstützung für die Durchführung einzelner Projekte. Es gibt zum Beispiel Ärztever­eine, die irakische Ärzte zur Hospitation nach Deutschland holen. Einige Ärzte fliegen selbst in den Irak, führen Gesundheits- und Aufklärungskampagnen durch und schulen Personal in den Gesundheitszentren und Krankenhäusern. Diese Vereine sind an einer Kooperation mit entwicklungspolitischen Institutionen interessiert, finden aber keine Ansprechpartner. Bei derart professionellen Projekten frage ich mich, warum die Entwicklungspolitik sie nicht aufgreift.

Dass Migranten sowohl ökonomisch, politisch als auch soziokulturell den Fortschritt ihres Heimatlandes fördern, wünschen sich Fachleute für viele Entwicklungsländer. Warum funktioniert es im Irak, in anderen Ländern nicht?
Ich glaube, dass erstens der sozioökonomische Hintergrund wichtig ist. Denn gut ausgebildete Migranten, die beruflich und sozial in Deutschland integriert sind und über einen sicheren Aufenthaltsstatus verfügen, finden sich in Deutschland besser zurecht und können leichter Einfluss auf ihre Herkunftsländer nehmen. Zweitens sind demokratische Rahmenbedingungen nötig, sowohl im Herkunfts- als auch im Aufnahmeland, die zivilgesellschaftliches Engagement ermöglichen. Drittens ist insbesondere für ein politisches Engagement der Auswanderungsgrund wichtig – handelt es sich um Flüchtlinge, ist laut Forschungen der Wille nach einem Engagement im Herkunftsland insgesamt höher als beispielsweise bei Gastarbeitern. Alle drei Faktoren treffen seit dem Regimewechsel auf den Irak zu.

Das Interview führte Laura Hinze.

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