Technologische Wettbewerbsfähigkeit
„Ich nehme Wissen und Kontakte mit“
Von J. César, L. M. Andrekowisk Fioravanti, F. Vásquez Miranda und K. M. Rivas Saca
Was für Innovationen braucht Ihr Land?
Lívia Maria Andrekowisk Fioravanti: Brasilien führt bisher vor allem Rohstoffe aus. Das muss sich ändern, wir müssen in der gesamten Wertschöpfungskette stärker werden. Für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes kommt es auch darauf an, in zukunftsträchtige Sektoren wie die Nano- und Biotechnologie zu investieren.
Fabiola Nayaret Vásquez Miranda: Die größten Defizite, was internationale Wettbewerbsfähigkeit angeht, herrschen in Chile in den Provinzen, wo Investitionen in basale Infrastrukturen oder auch in die Qualifikation von Mitarbeitern nötig sind. Wir brauchen bessere Finanzierungsmodelle, müssen uns aber auch um die Umsetzung und Evaluierung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben kümmern. Wissenschaftlich stark sind wir unter anderem in der Bio-Energie und Bio-Medizin. Wir haben viele technisch versierte, kreative junge Leute, und wir müssen den Unternehmergeist ermutigen.
Karen Milena Rivas Saca: Die meisten Firmen in El Salvador – wie in Zentralamerika überhaupt – sind kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben nur Agrarrohstoffe und kaum Industrie. Leider ist unsere Produktion oft noch sehr traditionell. Es ist nötig, Wege zu finden, die Bildung und den Wissenstransfer in die Wirtschaft zu beschleunigen und die Wertschöpfung zu steigern. Innovationsbedarf gibt es auf vielen Feldern – vom Firmenmanagement über Aus- und Fortbildung bis hin zur Produktdiversifikation und der Exportorientierung.
Janaína César: Brasilien ist akademisch ein aufstrebendes Land. 2009 haben 11 400 Menschen promoviert. Dennoch machen bei uns jedes Jahr nur fünf von 100 000 Menschen diesen Abschluss. In Deutschland kommen auf 100 000 Menschen 31 Doktoranden. Unser Land investiert auch noch zu wenig in Forschung und Entwicklung, und das, was geschieht, konzentriert sich vor allem auf den Südosten des Landes. Seit 2005 sind die Universitäten allerdings verpflichtet, Technologietransferstellen einzurichten, und der Staat fördert junge Unternehmen mit Zuschüssen und Steuererleichterung. Aber trotz vieler guter Forscher und vernünftiger Politik bleiben Interaktion und Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Unternehmen noch schwach. Die Unternehmen müssten mehr tun, um durch Innovationen stärker zu werden.
Was hat Sie bezüglich der Innovationsförderung in Deutschland besonders beeindruckt?
Lívia Fioravanti: Das anwendungsorientierte Forschungsmodell der Fraunhofer-Institute funktioniert sehr gut. Mich beeindruckt, dass der Staat als Grundfinanzierung nur ein Drittel der Mittel bereitstellt, die restlichen Gelder kommen durch Forschungsaufträge von Firmen und Institutionen herein.
Fabiola Vásquez: Zunächst einmal finde ich toll, wie moderne Architektur und Infrastruktur in deutschen Städten mit mittelalterlichen Strukturen verknüpft werden. Dadurch entsteht eine einladende Atmosphäre. Was betriebliche Innovationen angeht, möchte ich mehrere Aspekte betonen:
– das große, staatlich geförderte Netzwerk von innovativen Akteuren,
– die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen von mehr als 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung,
– die wissensintensiven Produkte und Dienstleistungen in diversen Branchen,
– den Innovationswettbewerb zwischen den verschiedenen Bundesländern,
– das rege Interesse von kleinen und mittleren Unternehmen an Innovationen sowie ganz allgemein
– das soziokulturelle Bewusstsein für unternehmerische Dinge.
Karen Rivas: Die deutsche Gesellschaft denkt zukunftsorientiert. Institutionen, die für so unterschiedliche Dinge wie Infrastruktur, Bildung, Forschung, öffentliche Verwaltung und Privatwirtschaft zuständig sind, kooperieren miteinander. Das fällt ihnen nicht immer leicht, aber alle Beteiligten verstehen, dass es nötig ist.
Janaína César: Mich beeindruckt die konstruktive Beziehung von Wissensproduzenten in der Forschung mit der Privatwirtschaft. Beide Seiten verbindet eine regelrechte Innovationskultur.
Welche Neuerungen planen Sie bei Ihrer Rückkehr zuhause einzuführen?
Lívia Fioravanti: An meinem Arbeitsplatz bei Inventta, einer lateinamerikaweit aktiven Beratungsfirma, werde ich die Methode der Zukunftsszenarien einführen. Man überlegt sich, wie können die Dinge in ein paar Jahren aussehen, und entwirft mehre Szenarien. Das hat mehrere Vorteile, es stimuliert zum Beispiel die Innovationsbereitschaft und hilft, sowohl kurz- wie auch langfristig zu denken. Zukunftsszenarien sind ein wichtiges Managementinstrument.
Fabiola Vásquez: Ich nehme Wissen und Kontakte mit, wenn ich meine Arbeit als Koordinatorin für Techologietransfer an der Universität La Frontera wiederaufnehme. Zudem bereite ich Maßnahmen vor, um moderne Informations- und Kommunikationstechnik im Innovationsprozess besser zu nutzen. Das betrifft etwa Informationen über geistiges Eigentum und neue Forschungsergebnisse, die für Innovationen in Unternehmen relevant sein können. Wir sind in Chile auf dem richtigen Weg und kommen schneller voran, wenn wir deutsche Erfahrungen nutzen. Es fällt Forschern nicht leicht, ihre Erkenntnisse auf den Markt zu bringen, deshalb suchen wir Allianzen mit Unternehmen im In- und Ausland, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen.
Karen Rivas: Ich arbeite zuhause für ein GIZ-Programm, das die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen in El Salvador, Honduras und Guatemala fördert. Ich habe hier in Deutschland neue Ideen bekommen, wie Universitäten, Unternehmen, aber auch andere Institutionen miteinander in Kontakt gebracht werden können, und will sie in der Praxis umsetzen. Außerdem will ich den Erfahrungsaustausch zwischen deutschen und zentralamerikanischen Universitäten voranbringen.
Janaína César: Ich beschäftige mich mit der Kosten-Nutzen-Analyse von Erfindungen. Das ist wichtig, um den Wert von Erfindungen abzuschätzen, bevor Patente angemeldet werden. Ich will mich vor allem um Technologien mit hohem Wertschöpfungspotenzial kümmern, wenn ich zu INOVA UNICAMP, dem Büro für Technologietransfer an der staatlichen Universität von Campinas, zurückkehre. Wir arbeiten mit ähnlichen Methoden wie Steinbeis hier, und das persönlich vergleichen zu können war wertvoll. INOVA prüft jährlich rund 70 Erfindungen vor allem nach technischen Kriterien und meldet rund 50 Patente an. Die große Herausforderung ist, Lizenznehmer zu finden. Bis 2009 haben wir nur 39 Lizenzen vergeben. Wenn wir Innovationen auch nach kommerziellen Kriterien untersuchen, werden diese Zahlen hoffentlich steigen.