Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Berufliche Bildung

Neue Perspektiven

In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern verändert sich der Arbeitsmarkt so schnell, dass sich auch die Ausbildung anpassen muss. Doch wie kann man Lehrinhalte stetig erneuern? Durch Capacity Development statt Wissensvermittlung, meint Rolf Arnold von der Universität Kaiserslautern. Zusammen mit InWEnt und dem Netzwerk „systhemia“ unterstützt er kolumbianische Ausbilder und Ausbildungsleiter, ihre Rolle neu zu definieren.

[ Interview mit Rolf Arnold ]

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Berufsschulen in Kolumbien?
Das Mannheimer Büro von InWEnt arbeitet schon lange mit dem Servicio Nacional de Aprendizaje (SENA) zusammen, der zentralen Ausbildungsbehörde Kolumbiens. Der Projektvorschlag kam von SENA selbst. Da die kolumbianische Wirtschaft zurzeit so rasant wächst, möchte SENA seine Einrichtungen besser vernetzen und verhindern, dass die Lehrkräfte in Routine verfallen. Sie sollen flexibel auf neue Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren. InWEnt unterstützt SENA mit einem integrierten Capacity-Building-Konzept an Berufsschulen in Barran­quilla, Bogotá und Medellín.

Wie bereiten Sie Ausbilder auf stän­dige Veränderung vor?
Wir orientieren uns stark an Erkenntnissen der Veränderungsforschung. Demzufolge sollen Führungskräfte ihre gewachsenen Einstellungen immer wieder in Frage stellen und unter neuem Blickwinkel betrachten: Veränderung beginnt mit Selbstveränderung. Wir wollen die Ausbilder unterstützen, ihre Rolle neu zu definieren. Wenn sie immer dieselben Inhalte referieren, dann entfernen sie sich schnell von der Arbeitswirklichkeit der Jugendlichen. Stattdessen sollten die Ausbilder selber stetig dazulernen – und zwar anhand der Erfahrungen ihrer Schüler. Im Unterricht wird dann nicht einseitig Wissen vermittelt, sondern gemeinsam neues Know-how entwickelt. Das ist Capacity Development mit einem systemischen Ansatz.

Was bedeutet ein systemischer Ansatz in diesem Zusammenhang?
Systemische Didaktik geht davon aus, dass man Menschen nicht belehren kann. Man kann nur eine Umgebung schaffen, in der sie möglichst gut aus ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten heraus die Kompetenzen entwickeln, die sie brauchen.

Sie arbeiten nicht mit den Auszubildenden zusammen, sondern mit den Ausbildern. Wie vermitteln Sie ihnen diese Methode?
Wir behandeln sie in unseren Schulungen genauso, wie sie dem systemischen Ansatz zufolge mit den Jugendlichen arbeiten sollten. So lernen sie die neue Methode nicht nur kennen, sondern erleben sie an sich selbst – was sehr gut ankommt.

Wie sieht eine solche Schulung aus?
Wir arbeiten mit den Teilnehmern in ihrem Arbeitsumfeld in Kolumbien und begleiten sie in einem zweijährigen Lernprozess. In dieser Zeit sind wir sechs Mal für Workshops vor Ort, in der Zwischenzeit bieten wir E-Learning an. Unseren eigenen Anteil an der Lehre reduzieren wir möglichst stark und halten selber kaum Vorträge. Die Teilnehmer erarbeiten die Inhalte in der E-Learning-Phase, so dass wir im Unterricht direkt auf ihre Fragen eingehen können. Diese werden in Arbeitsgruppen behandelt, in die die Teilnehmer ihre Erfahrungen einbringen. Dadurch entsteht kollegiales Lernen. Unsere Rolle als Lehrende ist die eines Beraters, der das gemeinsame Wissen bündelt.

Können Sie an einem Beispiel erklären, wie neues Wissen entsteht?
Bei einem Methodenworkshop hatten die Teilnehmer so viele unterschiedliche Ideen, dass wir allein durch die Vernetzung ihrer Erfahrungen enormes Wissen sammeln konnten. Wir haben geholfen, dieses Wissen zu ordnen, und daraus ein Handbuch für Ausbildungsmethoden entwickelt, das nun online für jeden zugänglich ist.

Das kollegiale Lernen soll auch in der Berufsbildung angewendet werden. Bringen die Jugendlichen dafür genug eigene Erfahrungen mit?
Das ist ein wichtiger Bestandteil des sys­temischen Denkens: Wir müssen unseren Blick auf den Jugendlichen verändern. Statt ihn mit einem Defizit-Blick als jemanden anzusehen, dem wir etwas geben müssen, sollten wir in ihm jemanden erkennen, der schon viel weiß. Seine Kenntnisse als Auszubildender in einem Betrieb zum Beispiel. Die Jugendlichen sind bereits Träger von Kompetenzen.

Wie können ­Ausbilder ihren Blick auf die ­Jugendlichen ­dahingehend ­ändern?
Es gibt Ansätze aus der Familientherapie und der Pädagogik zum konstruktivistischen Blick. In unseren Trainings haben wir beispielsweise ein Gespräch zwischen einem Jugendlichen und seinem Betreuer simuliert. Die Gruppe sollte dieses Gespräch unter verschiedenen Gesichtspunkten beobachten. Am Ende gab es für dieselbe Situation eine Fülle von Deutungen. Auch das Verhalten von Jugendlichen kann man unterschiedlich deuten. Häufig vergessen wir das und übersehen Kompetenzen. Ein vermeintlich „fauler“ Jugendlicher – der nachmittags keine Hausaufgaben macht – ent­wick­elt in derselben Zeit andere Fähigkeiten, weil er im Familienbetrieb aushilft. Die Ausbilder haben in unseren Trainings erkannt, dass wir Lehrkräfte es uns häufig zu leicht machen, wenn wir schon zu wissen meinen, warum sich Jugendliche in einer bestimmten Weise verhalten.

Was können die Ausbilder mit dieser Erkenntnis verändern?
Die Haltung des Ausbilders zum Jugendlichen kann zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung werden: So würde beispielsweise der Jugendliche, der wegen seiner fehlenden Hausaufgaben als unzuverlässig angesehen wird, mit der Zeit wirklich faul werden. Hält sich der Lehrende jedoch die Potenziale des Schülers vor Augen, so reicht diese neue Einstellung oft aus, damit sich der Jugendliche verändert. Erkenntnisse aus der Veränderungsforschung kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Die Einstellung von Führungskräften gegenüber der Zukunft kann die wirkliche Entwicklung beeinflussen. Man kann demzufolge von der Zukunft her führen.

Das ist eine Erkenntnis, die weit über die Pädagogik hinausgeht.
Ja, und gerade für die Entwicklungszusammenarbeit ist das wesentlich. Mein Eindruck ist, dass auf der Welt millionenfach Potenziale in Erscheinung treten möchten, aber nicht können. Wir sollten beizeiten unsere Perspektive hinterfragen.

Der neue Ansatz in der Berufsbildung soll auch zur Stärkung der Demokratie beitragen.
Ja, das ist ein ganz alter Gedanke in der Pädagogik. Der Pädagoge John Dewey hat das Buch „Education and Democracy” geschrieben. Ihm zufolge tragen wir zur Demokratie bei, wenn wir Jugendliche in Lernprozessen nicht von oben herab behandeln, sondern ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. Denn Demokratie lebt von unterschiedlichen Perspektiven. Im systemischen Konzept gehen wir davon aus, dass es verschiedene Perspektiven gibt, die alle richtig sein können, wenn auch nicht alle zielführend. Aber natürlich ist dies nur ein kleiner Beitrag zum demokratischen Prozess und keine Lösung sämtlicher Probleme.

Die Fragen stellte Eva-Maria Verfürth.

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