Infrastruktur und Armut
Strom ohne Netz
[ Von Georg Philipp Caspary ]
Ländliche Elektrifizierung ist für viele Länder ein wichtiges Entwicklungsziel. Die Versorgungslücke zwischen Stadt und Land entspricht häufig dem Gefälle in der menschlichen Entwicklung. In Brasilien zum Beispiel weisen die Gegenden mit der schlechtesten Stromversorgung auch die schlechteste menschliche Entwicklung auf. Das zeigt, dass die Lebensqualität eng mit der Verfügbarkeit von Strom zusammenhängt.
Ein weiterer wichtiger Grund für ländliche Elektrifizierung ist, dass Lücken in der Stromversorgung oft entlang bestimmter Bruch- oder Konfliktlinien verlaufen, insbesondere ethnischer Art. So müssen in Lateinamerika vor allem Ureinwohner oft ohne Strom auskommen. Das gilt für entlegene Gebiete in den Anden ebenso wie für die südmexikanischen Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas. Das benachteiligt die Betroffenen natürlich zusätzlich.
Viele Kommunen ohne Stromversorgung sind klein und liegen weit verstreut. Ein Anschluss ans Stromnetz kann deshalb schnell sehr teuer werden. Sowohl die Kosten für neue Leitungen als auch für Betrieb und Instandhaltung wären einfach zu hoch. Deshalb ist die netzunabhängige Elektrifizierung – also Stromerzeugung für jedes Dorf oder sogar jeden Haushalt einzeln – oft der einzig gangbare Weg. Einige multilaterale Institutionen, darunter die Weltbank, aber auch bilaterale Organisationen fördern diesen Ansatz.
Früher wurden netzunabhängige Anlagen meist mit Dieselkraftstoff betrieben. Inzwischen ändert sich das – angesichts zunehmender Bedenken wegen der Abgasbelastung auf lokaler und globaler Ebene. Geberinstitutionen wie die Globale Umweltfazilität stellen finanzielle Unterstützung für sauberere Energiequellen zur Verfügung. Dadurch werden für die netzunabhängige Elektrifizierung immer häufiger erneuerbare Energiequellen genutzt (Sonne, Wind und in geringerem Umfang auch Wasser).
Ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, das Stromnetz auszubauen oder auf netzunabhängige Lösungen zu setzen, hängt von mehreren Faktoren ab. Laut Weltbank (2006) zählen dazu
- die Gesamtanzahl der zu versorgenden Haushalte,
- der erwartete Stromverbrauch pro Haushalt,
- Brennstoffkosten (insbesondere für traditionelle Brennstoffe),
- Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen (wo immer diese Möglichkeit besteht) und
- langfristige Ausbaupläne der Energieversorger.
Häufige Stolpersteine
Die Vorteile netzunabhängiger Lösungen für entlegene Gebiete liegen auf der Hand. Dennoch ist die bisherige mittel- bis langfristige Bilanz gemischt. Allzu oft halten die Anlagen nicht so lange wie geplant. Häufig werden sie beschädigt oder nicht richtig gewartet und deshalb aufgegeben.
Aber ebenso kommt es vor, dass sich solche Systeme mittel- bis langfristig selbst tragen. Dabei können sich kleine lokale Märkte natürlich besser entwickeln, wenn die Nachfrage nach Ersatzteilen hinreichend hoch ist. Auch die Arbeit als Techniker lohnt sich vor allem dann, wenn Reparaturarbeiten wirklich nachgefragt werden. Damit sowohl Ersatzteile als auch Wartungspersonal verfügbar werden, müssen Elektrifizierungsprogramme geeignete technische Richtlinien und Spezifikationen aufweisen. Dafür ist staatliche Regulierung wichtig.
Oft lässt das Projektdesign zu wünschen übrig. Weil die Kapazitäten der Nutzer meistens begrenzt sind, sollte die eingesetzte Technologie eher einfach sein. Innovative Lösungen bringen große Herausforderungen mit sich. NetzunaInsbhängige Elektrifizierungsversuche auf Basis erneuerbarer Energien scheitern häufig deshalb, weil es selbst den damit betrauten Firmen an Erfahrung mangelt und sie sich mit den Anlagen nicht auskennen. Entwicklungsorganisationen müssen deshalb sicherstellen, dass in der Zielregion entsprechende Kompetenzen aufgebaut werden.
Elektrifizierungsprogramme in ländlichen Gebieten, netzgebunden oder netzunabhängig, müssen dem lokalen Bedarf entsprechen. Wenn die lokale Bevölkerung kein Interesse an den Anlagen zeigt, wird sie sich weder die notwendigen Fähigkeiten aneignen noch für die Finanzierung aufkommen wollen. Die Kosten müssen gründlich geprüft werden, da von der armen Bevölkerung keine hohen Investitionen erwartet werden können. Netzunabhängige Anlagen werden dann in Schuss gehalten, wenn die Dorfbewohner verstehen, dass sie dadurch die Kosten reduzieren können. Entwicklungsorganisationen sollten zudem bedenken, dass sowohl die technische Kompetenz als auch die Zahlungsbereitschaft steigen dürften, sobald die Gemeinden verstehen, dass eine zuverlässige Stromversorgung mehr Lebensqualität für Menschen und höhere Produktivität für Kleinunternehmer bedeutet.
Die Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit der Zielgruppe und der Aufwand für den Aufbau lokaler Kompetenzen müssen genau bedacht werden. Um die eigene Datenbasis zu verbessern, ist es sinnvoll, den Menschen vor Ort einschätzen zu helfen, wie viel sie durch die neue Infrastruktur einsparen oder gewinnen können. Dadurch können zudem die Behörden den Bedarf an staatlichen Subventionen leichter ermitteln.
Nicht die zweite Wahl
Energien oder andere innovative Technologien geht, mit denen die Leute nicht vertraut sind.
Um die Menschen davon zu überzeugen, dass netzunabhängige Lösungen keine zweite Wahl sind, müssen die Vorteile klar benannt werden. Das ist besonders wichtig, wenn erneuerbare Ressourcen vor Ort verfügbar sind. Entwicklungsorganisationen sollten zudem alle Optionen offenhalten. Um erfolgreich zu sein, muss eine weitverbreitete Angst beseitigt werden: dass eine netzunabhängige Lösung den Anschluss an das Stromnetz für alle Zeiten ausschließen könnte.
Manchmal muss den Bewohnern entlegener und verstreuter Siedlungen allerdings klar gesagt werden, dass ein Anschluss an die öffentliche Versorgung nicht machbar ist. In solchen Fällen lautet die Wahl nicht netzunabhängiger Strom oder Netzstrom, sondern netzunabhängiger oder gar kein Strom. Politiker schrecken aus Sorge um ihre Wahlchancen manchmal davor zurück, diese Wahrheit auszusprechen. Es wäre aber unverantwortlich, in die Erweiterung des Stromnetzes zu investieren, wenn die Kosten zu hoch sind. Will man das Vertrauen einer Gemeinde gewinnen, müssen solche Tatsachen offen zur Sprache kommen.
Finanzierungsfragen
Ein weiterer Fallstrick für netzunabhängige erneuerbare Energien ist die verspätete oder schlecht geplante Bereitstellung von Finanzen. Halbfertige Anlagen oder minderwertige Bauteile gehen leicht kaputt, was wiederum Vertrauen zerstört. Ein Grund für finanzielle Engpässe ist, dass in Entwicklungsländern netzunabhängige Anlagen meist von kleinen Firmen installiert werden. Diese arbeiten in armen und entlegenen Märkten und müssen folglich hohe Risiken eingehen. Und je kleiner eine Firma ist, desto schneller geht ihr das Geld aus. Oft fehlt es auch an günstigen Krediten. Es ist deshalb wichtig, dass der Finanzierungsrahmen stimmt und Hilfsgelder rechtzeitig ausgezahlt werden.
Andererseits werden auch mit nachträglichen Subventionen manchmal gute Ergebnisse erzielt. Sie werden nur bewilligt, wenn ein Projekt gut läuft. Die von der Weltbank verwaltete Global Partnership on Output-Based Aid (GPOBA) entwickelt und unterstützt solche Projekte. Erste Erfahrungen zeigen, dass der Nachweis bestimmter Ergebnisse als Bedingung für Subventionen leistungsfördernd und kostensenkend wirken kann (GPOBA 2005). In gut durchdachten Ansätzen geht es nicht nur um Zuschüsse für tatsächlich installierte Anlagen oder um Kundenzufriedenheit. Die Bewilligung von Geldern kann darüber hinaus beispielsweise von lokalen Marktindikatoren abhängig gemacht werden, die zeigen, dass die Versorgung mit Ersatzteilen gewährleistet ist.
Natürlich hängt der langfristige Erfolg jedes ländlichen Elektrifizierungsprojektes von passenden Betriebsmodellen ab. Gutes Management sowohl auf zentralstaatlicher als auch auf regionaler und lokaler Ebene sind unerlässlich. Betreiber und Techniker müssen sich um Implementierung, Überwachung und Unterstützung kümmern. Eine solide wirtschaftliche Basis ist eine weitere Voraussetzung dafür, dass Elektrifizierungsprogramme langfristig erfolgreich sind.
Monitoring und Evaluierung sind ebenfalls wichtig. Entwicklungsagenturen müssen während der Installation der Anlagen und der ersten Zeit des Betriebs ein Auge auf das Projekt haben. Sonst können Programme nicht an die Umstände vor Ort angepasst und Fehler nicht frühzeitig korrigiert werden. Ex-Post-Evaluierungen bieten die Möglichkeit, aus Erfahrungen zu lernen und die Leistungen zu verbessern.
Leider gibt es Entwicklungsexperten, die Monitoring und Evaluierung für Verschwendung halten, weil das investierte Geld nicht direkt dem Projektziel, der Stromversorgung einer ländlichen Gemeinde, dient. Es ist aber wichtig, bisherige Erfahrungen auszuwerten und sicherzustellen, dass neue Projekte besser laufen als vergangene. Eine längere Lebensdauer von Anlagen zur Elektrifizierung ist zweifellos wünschenswert.
Wann immer möglich, sollten ländliche Elektrifizierungsprogramme auch den Privatsektor einbinden. Das bringt zusätzliche Mittel und technische Expertise. Die Beteiligung der Privatwirtschaft ist aber kein Allheilmittel – vor allem dann nicht, wenn ländliche Elektrifizierung keine Gewinne abwirft und deshalb für Investoren uninteressant ist. Genau das aber ist in entlegenen ländlichen Gebieten meistens der Fall. Die öffentliche Hand darf sich also nicht zurückziehen.
Mehr als nur ein Stromanschluss
Oft ist es auch sinnvoll, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten. Dabei geht es weniger um wirtschaftliche oder technische Aspekte. Vielmehr sind diese Organisationen in der Lage, andere wichtige Fragen anzugehen. Oft sind sie in den betreffenden Gemeinden gut verankert und können Misstrauen und Zweifel aus dem Weg räumen. Oder sie haben kreative Ideen, wie Strom sinnvoll genutzt werden kann.
Ein Stromanschluss allein ist zunächst einmal nicht sehr nützlich. Entwicklungsorganisationen muss klar sein, dass niemand einen Zugang zu Strom per se wertschätzt. Es sind die Anwendungen und Dienstleistungen, die Strom ermöglicht, an denen die Leute interessiert sind.
Das sollten die Programmverantwortlichen von Anfang an betonen. Sie müssen für die Nutzungsmöglichkeiten von Elektrizität werben. Privatunternehmen und NGOs können dabei wichtige Partner sein. Die Gemeinden brauchen nicht nur Finanzmittel und technische Expertise. Es muss ihnen auch der Sinn und Zweck des Projekts verdeutlicht werden. Wenn klar ist, wie Strom beispielsweise die Bereiche Gesundheit und Bildung verbessern kann, haben Elektrifizierungspläne mehr Aussicht auf Erfolg.
Schlussfolgerung
Elektrizität kann die Lebensqualität in Entwicklungsländern erheblich steigern. Dennoch sind die Ergebnisse von Elektrifizierungsprogrammen oft eher unbefriedigend. Um die Bilanz zu verbessern, müssen unter anderem
- die betroffenen Gemeinschaften technisch geschult,
- erforderliche Kompetenzen von Firmen aufgebaut und bei Bedarf finanzielle Unterstützung geleistet,
- die Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit vor Ort sowie der Umfang der erforderlichen Subventionen ermittelt,
- die lokale ownership gefördert,
- zuverlässige Mechanismen zur Kostendeckung eingeführt,
- stimmige technische Richtlinien vorgegeben,
- private Firmen und NGOs einbezogen sowie
- der Projektverlauf überwacht werden (eventuell verbunden mit leistungsbasierten Fördermitteln).