Informelle Institutionen und Entwicklung

Johannes Jütting, Denis Drechsler,
Sebastian Bartsch, Indra de Soysa (Hg.):
Informal Institutions – How Social Norms Help or Hinder Development.
Development Centre Studies, OECD, Paris 2007, 174 S.,
ISBN 978-92-64-03906-3

Sind informelle Institutionen, das heißt Traditionen und soziale Normen, förderlich oder hinderlich für Entwicklung? Mit dieser Frage hat sich das Development Centre der OECD in den Jahren 2003 bis 2006 befasst. Im Dezember 2006 organisierte es mit dem OECD/DAC Network on Governance eine Tagung zum Thema. Der Sammelband präsentiert die Beiträge und die wichtigsten Ergebnisse.

Die Beiträge behandeln vor allem die Bereiche Gleichberechtigung der Geschlechter, Governance und Privatsektorentwicklung. Außerdem enthält der Band Einführungen in die Thematik durch Susan van der Merwe, Vize-Außenministerin von Südafrika, sowie die Herausgeber und Schlussfolgerungen für die Entwick­lungspolitik von Richard Manning, dem damaligen Vorsitzenden des OECD-Entwicklungshilfeausschusses, und Eduard West­reicher vom Bundes­ministerium für wirtschaftliche Zu­sammenarbeit und Entwicklung.

Es überrascht nicht, dass alle Beiträge die Bedeutung informeller Regeln und sozialer Beziehungen betonen – übrigens auch in reichen Gesellschaften und nicht nur in Ent­wick­­lungsländern. Dass traditionelle, nicht formal kodifizierte Regeln keineswegs Entwicklung nur hemmen, macht der Beitrag von Stephen Nicholas und Elizabeth Maitland über Privatwirtschaft in China und Indien deutlich. Traditionen können im Geschäftsverkehr durchaus effektiv sein und das Entstehen geeigneter formalerStrukturen fördern, zum Beispiel im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit.

Der Beitrag von Nils Boesen zum Thema Regierungsführung zeigt anhand von Bolivien, Indien, Indonesien und Uganda, wie traditionelle Autoritäten und formale Governance-Mechanismen sich wechselseitig unterstützen, aber auch behindern können. Dagegen wirken traditionelle Normen und Verhaltensweisen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter oft hemmend. Die Reform formalen Rechts kann in diesem Bereich zu Verbesserungen führen. Gita Sen diskutiert das anhand von Beispielen aus Ägypten, Indien und Pakistan.

Die Autoren sind sich einig, dass Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nur gelingen können, wenn informelle Institutionen und soziale Normen berücksichtigt werden. Das Überstülpen idealtypischer Modelle von außen hat wenig Aussicht auf Erfolg. Wichtig ist die Stärkung der inneren Reformdynamik, die Integration unproblematischer oder gar nützlicher gewohnheitsrechtlicher Regeln in kodifizierte Rechtssysteme sowie eine behutsame Korrektur von traditionellen Verhaltensweisen durch formale Normen, um entwicklungshemmende Effekte zu reduzieren.

Alles in allem ist dies ein gelungener Sammelband mit vielen Anregungen für die Entwicklungs­zusammenarbeit – ohne den Versuch, die komplexe Thematik im Sinne von einfachen Lösungskonzepten vorschnell zu operationalisieren.

Andreas Proksch / Georg Schäfer