Covid-19

Pandemie-Apartheid

Indiens Hindu-Chauvinisten machen Moslems zu Coronavirus-Sündenböcken.
Yodi Adityanath trotz Lockdown bei einem hinduistischen Ritual am 25. März. Amar Kumar/picture-alliance/AP Photo Yodi Adityanath trotz Lockdown bei einem hinduistischen Ritual am 25. März.

„Covid-Dschihad“ ist als Schlagwort unter indischen Rechtspopulisten beliebt geworden. Sie machen die muslimische Minderheit für die Epidemie verantwortlich – sowohl im Privatfernsehen als auch auf Social-Media-Plattformen.

Im heutigen Indien müssen Moslems ständig als Sündenböcke herhalten (siehe meinen Beitrag in der Tribüne von E+Z/D+C e-Paper 2020/03). Der neuesten Hassrhetorik zufolge, verbreiten die Anhänger des Islam absichtlich die Krankheit. Deshalb wurden bereits muslimische Gemüsehändler und Taxifahrer angegriffen. Nach dem blutigen Pogrom in Delhi von Ende Februar (siehe hierzu Blogbeitrag von Hans Dembowski auf unserer E+Z/D+C-Website) fürchten viele Moslems Gewalt. Da sie meist zu den ärmsten Bevölkerungsschichten gehören, fühlen sich wehrlos.

Das grausame Narrativ entstand im März, weil die sunnitische Missionsorganisation Tablighi Jamat an ihrem Hauptsitz in Delhi ein Treffen mit mehreren 1000 Teilnehmern veranstaltete. Die Organisation ist orthodox, aber nicht extremistisch. Sie ist in über 100 Ländern weltweit präsent. Tatsächlich lassen sich viele Coronavirus-Infektionen in Indien auf dieses Treffen zurückführen, das vor der Ausgangssperre, die Premierminister am 25. März in Kraft setzte, stattfand. Die Tablighi Jamat argumentiert, sie habe keine religiösen Zeremonien veranstaltet, aber in ihrer Zentrale seien ständig viele Mitglieder aus dem In- und Ausland. Die Organisation hätte sicherlich mehr Verantwortung zeigen müssen. Der Vorwurf, sie habe Anwesende gezielt infiziert, um die Krankheit zu verbreiten, ist allerdings offensichtlich absurd. Was in Wirklichkeit eine Tragödie war, stellen die Hindu-Chauvinisten als bösartige Verschwörung dar.

Pikant ist, dass diverse Feierlichkeiten von Hindus weitergingen und in vielen Fällen sogar Politiker der Regierungspartei BJP dabei waren. Die Partei schaut weg, wenn ihre Mitglieder Regeln verletzen, aber ihre Fürsprecher im Fernsehen und ihre Social-Media-Trolls halten jeden Moslem für jedwedes Fehlverhalten von jedwedem Mitglied unserer Glaubensgemeinschaft für persönlich verantwortlich. Das muss schnell aufhören, sonst erleben wir nichts weniger als Pandemie-Apartheid, zumindest in einigen Teilen der indischen Gesellschaft.

Seit Modi im vergangenen Mai wiedergewählt wurde, hat sich der Trend verstärkt, dass alle angegriffen werden, die sich dem Hindu-Chauvinismus entgegenstellen. Ein Beispiel ist Siddharth Varadarajan, der Mitgründer und Chefredakteur von The Wire, der Website, für die ich arbeite. Er veröffentlichte einen auf Fakten beruhenden Bericht über eine Hindufeierlichkeit, an der der BJP- Spitzenpolitiker Yogi Adityanath unter Missachtung der Ausgangssperre teilnahm. Varadarajan korrigierte öffentlich einen vergleichsweise unwichtigen Faktenfehler im Manuskript, steht nun dennoch wegen diesem Fehler unter juristischem Druck.

Adityanath ist der Ministerpräsident von Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens. Die Polizei dieses Bundesstaates hat wegen des Artikels zwei Anzeigen gegen Varadarajan erstattet. Außerdem forderte sie ihn auf, trotz Ausgangssperre 690 km zu einem Verhör zu reisen. Das löste öffentliche Empörung aus, und daraufhin wurde dem Journalisten erlaubt, per E-Mail Auskunft zu erteilen. Dennoch bleibt das Vorgehen gegen ihn ein Angriff auf die Pressefreiheit. Nicht nur alle Medienschaffende sollen so eingeschüchtert werden, sondern alle, die es wagen könnten, Hindu-Chauvinisten zu widersprechen.

 

Link
“Editors Guild criticises U.P. govt.”, Bericht aus der Qualitätszeitung The Hindu:
https://www.thehindu.com/news/national/editors-guild-criticises-up-govt/article31322888.ece

Arfa Khanum Sherwani ist leitende Redakteurin der unabhängigen indischen Website TheWire.
Twitter: @khanumarfa
TheWire: https://thewire.in/

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