Wahlen
Verfassung zählt nicht
Nach den düsteren Erfahrungen der Militärdiktaturen gab sich Honduras 1982 eine Verfassung, die die Wiederwahl des Präsidenten unabänderlich verbot. Die übrige Verfassung wurde jedoch nicht an die neuen Gegebenheiten angepasst. Dementsprechend gibt es viel Reformbedarf.
Als der linke Präsident Manuel Zelaya eine Volksbefragung machen wollte, ob bei der Präsidentschaftswahl 2009 gleichzeitig über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung abgestimmt werden sollte, läuteten bei den Eliten die Alarmglocken. Sie unterstellten ihm, eine Wiederwahl anzustreben, und das diente dann als Vorwand für einen Putsch.
Seitdem regiert die Nationale Partei mit harter Hand und leistete sich 2012 einen weiteren Verfassungsbruch: Der Kongress setzte vier der fünf Verfassungsrichter ab, weil diese ein Urteil gegen eine Kongressentscheidung gefällt hatten. Die Verfassung zählt also wenig, und so verwundert es nicht, dass Hernández das Tabu der Wiederwahl ganz offensiv angeht. Mit juristischen Spitzfindigkeiten hebelt die Regierungspartei den entsprechenden Verfassungsartikel 239 aus.
Darf über Wiederwahl gesprochen werden? Macht sich ein Präsident strafbar, wenn er für die Wiederwahl eintritt? Und ist ein Verbot der Wiederwahl überhaupt verfassungskonform? Mit diesen Fragen mussten sich die Verfassungsrichter auseinandersetzen. Das Gericht urteilte im April 2015 ganz im Sinne der Machthaber, dass Artikel 239 die internationalen Menschenrechtsnormen verletze. Dieses Urteil ist paradox und unterhöhlt die Demokratie auf schlimmste Weise.
Die Verfassung ist das oberste Gesetz eines demokratischen Staates, und ihre Einhaltung unterliegt dem Verfassungsgericht. Das Verfassungsgericht stufte in dem Urteil einen Artikel der Verfassung als verfassungswidrig ein. Wenn die Instanz, die für die Einhaltung der Verfassung verantwortlich ist, diese selbst anzweifelt, auf wessen Urteil ist dann Verlass? Zudem geht es um die wichtigste Säule der Demokratie: die Unabhängigkeit von Judikative, Legislative und Exekutive. In Hernández’ Amtszeit zeigte sich deutlicher denn je, dass Gewaltenteilung in Honduras nicht existiert. Gewinnt er die nächsten Wahlen, ist der Weg frei für eine Autokratie.
Das Drama um die Wiederwahl wirkt vor dem Hintergrund des Putsches von 2009 geradezu lächerlich. Dieser wurde damit gerechtfertigt, dass eine Wiederwahl Zelayas verfassungswidrig sei. Nun zeigt sich, dass es nicht um die Wiederwahl per se geht, sondern darum, wer sie anstrebt. Im Gegensatz zu Zelaya hat Hernández die wahren Machthaber hinter sich. In seiner Zeit als Kongresspräsident hat er das Militär gestärkt und Gesetze verabschiedet, die die Oligarchie weiterhin bevorteilen.
Ausgerechnet Hernández argumentiert nun, er brauche mehr Zeit, um nötige Veränderungen im Land voranzutreiben. Dabei fällt die Bilanz seiner Regierung verheerend aus. In einem Korruptionsskandal von bisher ungekanntem Ausmaß entzog seine Partei dem Sozialversicherungsinstitut für ihren Wahlkampf 350 Millionen Dollar. Das führte zu einer enormen Krise in staatlichen Krankenhäusern und verursachte durch Medikamentennotstand den Tod von mehr als 3000 Menschen.
Auch die Menschenrechtslage ist verheerend. Nirgends auf der Welt werden so viele Umweltaktivisten ermordet wie in Honduras. Auch Anwälte leben höchst gefährlich, und bei der Pressefreiheit liegt das Land auf Platz 137 von 180. Gewalt, fehlende Sicherheit und zunehmende Militarisierung behindern die demokratische Entwicklung. Der Kampf gegen Drogen wird auf Druck der USA geführt – fördert aber enge Verbindungen von Regierung, Polizei und Militär mit dem Drogenhandel zutage.
Die Rechtsmittel, um eine Wiederwahl Hernández zu verhindern, sind ausgeschöpft. Einzig ein breiter Widerstand der Bevölkerung oder die USA könnten ihn noch stoppen, doch Präsdient Donald Trump scheint kein Interesse daran zu haben. Honduras braucht einen verbindlichen Rechtsstaat, Gewaltenteilung und ein funktionierendes Mehrparteiensystem. Damit könnte das Land nicht nur Demokratie erreichen, sondern auch Armut, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen überwinden.
Rita Trautmann ist Ethnologin. Sie war als Fachkraft für den Deutschen Entwicklungsdienst in Honduras tätig und ist seit 2011 in der Menschenrechtsarbeit zu Honduras aktiv.
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