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Lücken im Management
[ Von Oliver Schmidt ]
MFIs unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht voneinander. 2009 meldeten mehr als 1000 MFIs ihre Daten an die internationale Mikrofinanz-Infobörse und Dachorganisation MixMarket: Sie hatten zusammen rund 80 Millionen Kunden (Kreditnehmer und Sparer) und beschäftigten im Durchschnitt 391 Leute. Die durchschnittliche Personalstärke großer MFIs belief sich auf 1280, bei den kleinen MFIs waren es 47. Grob geschätzt gibt das Mikrofinanzwesen heute 500 000 Menschen weltweit Arbeit.
Einige MFIs sind exponentiell gewachsen. Tatsächlich stützt sich das Mikrofinanzwachstum vor allem auf eine Handvoll Organisationen – genau die MFIs, die bei der Armutsbekämpfung am erfolgreichsten sind (siehe Kasten). Wenn MFIs ihr Geschäft ausweiten (mehr Kunden) und ihre Leistungen vertiefen (mehr Dienstleistungen), brauchen sie mehr und besser ausgebildetes Personal. Große Organisationen benötigen zudem spezifische Managementfähigkeiten, um ihre vielen Mitarbeiter zu beaufsichtigen und größere Geschäftsvolumina zu verkraften.
Außerdem führen staatliche Vorschriften zu zusätzlichem Personalbedarf. Dafür gibt es viele Gründe. Es kommt zum Beispiel immer wieder vor, – dass MFIs so groß werden, dass sie unter die Aufsicht der Zentralbank fallen,
– dass Regierungen Verbraucherschutzgesetze erlassen, um etwa Überschuldung oder auch übertriebene Kreditvergabe zu verhindern, oder
– dass MFIs ihre Tätigkeit in regulierte Bereiche wie Sparguthaben, Geldtransfer und Versicherung ausdehnen.
Anforderungen auf allen Ebenen
In der Mikrofinanz gibt es typischerweise drei Beschäftigungsebenen:
– Der Außendienst wickelt das Alltagsgeschäft ab. Er ist die Verbindung der MFI zum Kunden. Kreditsachbearbeiter organisieren Gruppen, erhalten Kreditanträge, geben Darlehen und verwalten Tilgungszahlungen. Sie besuchen auch Kunden, um den Kreditzweck zu überprüfen und Zahlungsrückständen nachzuspüren. Bei einem breiten Produktportfolio sammelt der Außendienst auch Ersparnisse ein, bietet Bratungsdienstleistungen zur Geschäftstätigkeit oder der Landwirtschaft an und betreut Führungskräfte in basis-organisierten oder genossenschaftlichen MFIs. Zuweilen betreut der Außendienst auch Geldüberweisungen oder Versicherungspolicen.
– Der Innendienst bearbeitet Dokumente und Entscheidungen, die vom Außendienst kommen. Zu den Aufgaben gehören die Archivierung, der Umgang mit Bargeld und Buchhaltung, die Produktivitätsüberwachung, die Darlehensvorbereitung, das Planen von Außendienst und Rechnungsprüfung, interne Rechnungsprüfung und dergleichen mehr. Beim Wachstum von MFIs muss der Innendienst die Liquidität, das Vermögen und die Verbindlichkeiten verwalten. Bei einem diversifizierten MFI-Portfolio benötigt der Innendienst darüber hinaus noch ausgefeilte Systeme für das Rechnungswesen, die Produktivitätsüberwachung und den Kontakt zu Geschäftspartnern wie etwa Versicherungen oder Geldtransferdiensten. Der Innendienst muss die Gesetze kennen und beachten. Juristische Kompetenz wird wichtiger, je größer eine MFI wird.
– Das Management steht immer in der Pflicht, wenn eine Organisation wächst. Zugang zu Kapital gehört seit jeher zu seinem Verantwortungsbereich, aber in großen Organisationen muss auch die Organisation selbst geführt werden. Zu den Managementaufgaben in großen MFIs gehören Produktentwicklung, interne Rechnungsprüfungen, Risikomanagement und die Beziehungspflege zu Basisvereinen, Politikern, Aufsichtsbehörden, Medien und Öffentlichkeit.
Mikrofinanz ist ein arbeitsintensives Geschäft. Bis zu einem gewissen Punkt kann Technik (Smartphones, Laptops et cetera) die Produktivität steigern. So ist denn die Quote der Kunden pro Außendienstmitarbeiter tatsächlich von 200 bis 300 vor ein paar Jahren auf 400 bis 600 in jüngerer Zeit gestiegen. Produktivitätszuwächse sind im Außendienst trotzdem nur begrenzt zu erwarten. Das zeigten Fälle von inkompetenter Kundenbetreuung, die in den Medien aufgegriffen wurden.
Im Innendienst kann Technik die Produktivität stärker steigern. Dafür müssen die Arbeitsabläufe genau definiert, klug standardisiert und schließlich computerisiert werden. Für diese Strategie ist eine starke IT-Abteilung unerlässlich. Leider ist IT-Personal aber teuer und schwer zu finden – selbst im für seine IT-Kapazitäten bekannten Indien. Je mehr sich eine MFI auf Informationstechnik verlässt, desto stabiler muss ihre Managementkompetenz sein.
Für die meisten MFIs ist der größte Engpass indessen ein fähiges Management. Innovative, erfolgreiche und produktive MFIs unterscheiden sich von den zahlreichen anderen durch kompetente Manager. Der Mangel an guten Führungskräften ist besonders schmerzhaft für Graswurzel-MFIs, die partizipative und kommunikative Führung besonders bräuchten.
Entscheidende Alternative
Prinzipiell gibt es zwei Wege, Führungspersonal für MFIs zu finden. Entweder stellt man Absolventen von BWL-Studiengängen ein – als Trainees direkt nach dem Abschluss oder nach ein paar Jahren Praxiserfahrung. Oder man bildet Außendienstler und Filialmanager für Führungspositionen fort.
Die Erfahrung zeigt, dass frische Hochschulabsolventen meist nicht die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse haben. Die meisten BWL-Studiengänge lehren nämlich, wie Geschäftsmodelle und Prozesse aussehen sollten – aber nicht, wie sie zustande kommen. Darauf kommt es aber an, denn die meisten MFIs stecken noch in den Kinderschuhen. Erfahrene Manager wiederum wären fähig, MFIs zu führen, sind aber für basisnahe und mittelständische NGOs meist nicht bezahlbar.
Deshalb scheint es viel versprechender, auf Außendienstler zu setzen. Sie haben Praxiserfahrung, Kenntnisse und Fähigkeiten – und sind es gewöhnt, unter schwierigen und wechselnden Bedingungen zu arbeiten. Diese Leute brauchen allerdings eine formale Ausbildung, wenn sie ihr implizites Erfahrungswissen in solide Geschäftsmodelle und standardisierte Abläufe umsetzen sollen.
Bislang haben oft externe Berater diese Personallücke geschlossen. Oft werden Consultants als Ausbilder eingesetzt. Diesen Ansatz wählen etwa Mikrofinanzverbände wie AMFIU in Uganda und Sa-Dhan in Indien. Entwicklungspolitische Durchführungsorganisationen wie GTZ, CIM und DED sind in Beratung und Training ebenfalls aktiv. Zunehmend interessieren sich auch Hochschulen für das Thema.
Hochschulprogramme
Auf internationalem Niveau gehören Boulder Microfinance Training (auch nach dem Umzug 2005 von Colorado nach Italien) und die Mikrofinanzakademien der Frankfurt School of Finance and Management zu den maßgeblichen Summer Schools. Zusammen dürften sie bisher rund 3000 Fachleute aus mehr als 130 Ländern fortgebildet haben. Ihr Modell wird in Kenia, Indien und Sri Lanka nachgeahmt.
Derweil nehmen auch Studiengänge mit Bezug auf Mikrofinanz zu. Das Microfinance Management Institute aus Washington, das mit der Weltbank-geförderten CGAP und George Soros’ Open Society Institute kooperiert, hat 55 Bildungs- und Hochschulstandorte in 32 Entwicklungsländern als Mitglieder. Allein in Indien bieten zehn Universitäten und Colleges entsprechende Kurse an.
Auch in Afrika gibt es bemerkenswerte Beispiele:
– In Uganda unterstützt die Deutsche Entwicklungspolitik Mikrofinanzstudiengänge an der Martyrs University und an der Mountains of the Moon University. Die Kurse an der Martyrs University haben bereits begonnen, an der zweiten Hochschule laufen sie bald an.
– In Südafrika betreibt die Universität von Pretoria ein Mikrofinanzzentrum, das Erst- und Aufbaustudiengänge durchführt.
– In der DR Kongo hat die Protestant University of Congo in Zusammenarbeit mit der Frankfurt School ebenfalls ein Mikrofinanzzentrum aufgebaut. Mit Hilfe des DAAD wird ab diesem Jahr ein Master-Abschluss in Mikrofinanzierung angeboten.
Solche einschlägigen Hochschulkurse ermöglichen es den MFIs, zunehmend Mitarbeiter mit vielen Fähigkeiten und Allgemeinwissen zu rekrutieren, die das Management der Vertiefung und Verbreiterung von Dienstleistungen beherrschen. Außerdem helfen die Hochschulangebote MFIs dabei, vom reichen Erfahrungsschatz ihrer Angestellten zu profitieren, die im Außen-, Innen- und Filialdienst gearbeitet haben. Die MFIs werden attraktivere Karrierechancen bieten und so die Belegschaft stärker an sich binden können.
Letztlich liegt es jedoch an den MFIs selbst, die neuen Chancen zu nutzen. Leider scheinen viele an schlechten Gewohnheiten aus ihrer NGO-Vergangenheit zu kleben. Oft werden Mitarbeiter schlecht bezahlt und anderweitig vernachlässigt. Die meisten MFIs haben es versäumt, moderne Personalabteilungen aufzubauen, um hoch qualifizierte Beschäftigte anzulocken und zu halten.
Bei einer Handvoll großer MFIs, die mehr als 1000 Menschen beschäftigen, sieht das anders aus. Diese MFIs scheuen keine Mühe, Personal auszubilden, Leistung und Lohn zu verbinden, und Außendienstlern Aufstiegschancen zu verschaffen.
Aufsichtsbehörden wären gut beraten, sich mehr auf die Personalentwicklung zu konzentrieren, statt sich bei Zinssätzen und anderen Details im Mikrofinanzwesen einzumischen. Sie sollten den Kompetenzaufbau unterstützen, indem sie ihre nationalen Hochschulen einbeziehen. Selbstverständlich ist dies auch ein vielversprechendes Feld für die Entwicklungszusammenarbeit.