Haiti
Gefährliche Flüchtlingslager
Meist sind es die Frauen, die ihre Familien versorgen. Beim Zugang zu Hilfslieferungen sind sie in Haiti dennoch oft benachteiligt. Gelegentlich werden sie sogar zu sexuellen Handlungen gezwungen, bevor sie Lebensmittel erhalten. Zudem sind Vergewaltigungen in den übervollen Flüchtlingslagern an der Tagesordnung. Bewaffnete Banden terrorisieren die Bewohnerinnen; sie schneiden nachts Zelte auf oder überfallen Frauen und Mädchen in den schlecht beleuchteten Lagern auf dem Weg zur Toilette. In etlichen Fällen vergehen sich gleich mehrere maskierte Täter an ihren Opfern. Wegen mangelnder Bewachung entkommen sie meist unerkannt.
Aber auch wenn die Vergewaltigten einen Täter identifizieren können, werden diese nicht strafrechtlich verfolgt. Es gibt zu wenig Polizisten; und die sind zudem schlecht ausgebildet und oft auch sexistisch. Außerdem fürchten die Opfer Rache, falls ihre Vergewaltiger belangt würden. Diese Straflosigkeit führt zu einer Kultur des Schweigens und zur Normalisierung von Vergewaltigungen und Bandengewalt.
Dazu tragen auch die mangelhaft ausgestatteten staatlichen Krankenhäuser bei. So finden etwa die Gespräche zwischen Krankenhauspersonal und Vergewaltigten in aller Öffentlichkeit statt und Vergewaltigungen werden nicht registriert. Internationale Frauen- und Menschenrechtsorganisationen prangern diese Missstände an und weisen darauf hin, dass die offiziellen Zahlen nur einen minimalen Anteil der Vergewaltigungen erfassen. So registrierte die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen im April 2010 in einer einzigen mobilen Krankenstation 68 Vergewaltigungen. Die Basisorganisation KOFAVIV (Kommission von betroffenen Frauen für betroffene Frauen) dokumentierte in den von ihr betreuten 15 Lagern allein im Februar und März 2010 sogar mehr als 230 Fälle.
US-amerikanische Juristinnen und lokale Frauenorganisationen haben ermittelt, dass die Mehrzahl der vergewaltigten Mädchen unter 18 Jahren sind. Die Menschenrechtsexpertinnen, die in Zusammenarbeit mit der Frauenorganisation MADRE im Mai und Juni 2010 etliche Lager besuchten, schätzen zudem, dass drei Prozent der Lagerbewohnerinnen Opfer von Vergewaltigungen sind. Nach ihrer Einschätzung sind vor allem alleinstehende Frauen und deren Töchter betroffen. Ihr Bericht wurde Ende Juli auf der Website von MADRE veröffentlicht.
Rita Schäfer