Gleichberechtigung

Unaussprechliche Dinge

Das Gaddafi-Regime interessierte sich nicht für Gewalt gegen Frauen – das Thema wurde totgeschwiegen. Aber auch heute nach der Revolution ist häusliche Gewalt noch ein Tabuthema. In den politischenund häufig gewalttätigen Wirren, die das Land derzeit erlebt, wird das häufig übersehen.
Reda Fhelboom Reda Fhelboom Reda Fhelboom

Die 30jährige Hana, die als Lehrerin an einer Schule arbeitet und auch als Koranlehrerin an einer Moschee unterrichtet, ist seit zehn Jahren verheiratet. Sie erzählt: „Vor unserer Heirat hat mein Vater meinem Mann gesagt, dass ich nach der Hochzeit weiterhin unterrichten soll, und mein Mann war damit einverstanden. Aber nach zwei Jahren begann er, mich zu schlagen und zu beschimpfen. Der Grund dafür war, dass er von mir verlangte, einen meiner beiden Jobs aufzugeben – die Schule oder die Moschee.“

Hanas älterer Bruder Khaled ergänzt: „Mein Schwager bot meiner Schwester an, ihr ein monatliches Gehalt zu zahlen, wenn sie aufhört an der Moschee zu lehren. Aber sie lehnte ab. Dann versuchte er, sie vor den Augen ihrer Kinder mit dem Messer niederzustechen. Er schlägt sie, nennt sie Prostituierte und beschimpft sie mit Worten, die in einer konservativen Gesellschaft wie Libyen völlig unakzeptabel sind“, beschreibt Khaled.

Aber Hana hat es satt. Sie hat beschlossen, ihren Mann anzuzeigen, wenn er sie noch einmal schlägt. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt. „Nur wenige libysche Frauen zeigen ihren Mann an oder kommen zur Psychotherapie. Die meisten bleiben zu Hause und leiden“, sagt Salih Alhweij, Ärztin und Psychotherapeutin in der Alrrahma-Klinik in Tripoli.

Laut libyschem Strafrecht wird das Verprügeln einer Person mit bis zu einem Monat Gefängnis und einer Geldstrafe geahndet. Auf das Nichterfüllen der Familienpflichten (das heißt, Frau und Kindern nicht den Lebensunterhalt zu sichern) steht bis zu ein Jahr Gefängnis und eine Geldstrafe, aber – wie der Anwalt Radman Salim erklärt – gebe es „leider keine Statistiken der Gerichte über Verbrechen gegen Frauen.“

Der Alrrahma-Klinik für psychische Krankheiten liegen die Zahlen ihrer Patientinnen vor. Im Zeitraum vom November 2011 bis Dezember 2012 wurden 35 Fälle von physischer Gewalt gegen Frau behandelt, 39 Fälle von Vergewaltigung, 20 Fälle von sexueller Belästigung, 10 Fälle von Beleidigung, 5 Fälle, in denen die Frau gezwungen wurde, Cannabis zu rauchen sowie 30 Fälle, in denen Frauen gezwungen wurden, ihre Arbeit oder ihr Studium aufzugeben.

Menschenrechtsaktivist Omar Almay meint, dass es wegen einem generell falschen Verständnis von Männlichkeit und Ehe zu Gewalt gegen Frauen kommt. Seiner Ansicht nach setzt ein Mann physische Gewalt ein, wenn er das Gefühl hat, seine Frau sei klüger oder verdiene mehr als er.

Männer legitimieren die Gewalt gegen Frauen vielfältig. Manche misinterpretieren den Koran, der das „Schlagen der Frauen“ erlaube. Andere sehen es als „überlieferte Kultur“. Frauenrechtsaktivistin Samiha Mashri ist sich sicher, dass „häusliche Gewalt nicht nur einen negativen Effekt auf die betroffene Frau, sondern auch auf die Kinder hat.“

Die Frauenrechtsaktivistin Najat Almati findet „die Tatsache, dass Libyen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet hat, eine bloße Formsache.“ Es habe sich nichts bezüglich der Rechte der Frauen geändert.

 

Reda Fhelboom ist Journalist, Fernsehmoderator und Menschenrechtsaktivist. Er lebt in Tripolis.
fhelboom@yahoo.com