Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Reformbedarf

Geber in der Pflicht

Entwicklungspolitik soll die Situation der Menschen in den Entwicklungsländern verbessern. Wenn den Bürgern Schaden entsteht, haben sie jedoch kaum Rechte gegenüber Geberinstitutionen. Rechtsstaatlichkeit muss aber alle Akteure binden.

Von Jacqueline Neumann
Der äthiopische Staat wird von Gebern unterstützt: Polizist in Addis Abeba. Ton Koene/Lineair Der äthiopische Staat wird von Gebern unterstützt: Polizist in Addis Abeba.

Rechtsstaatlichkeit beziehungsweise Rule of Law (siehe Kasten rechts) hat einen hohen entwicklungspolitischen Stellenwert. Deutschland und die im Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vertretenen Länder haben ihre Fördermittel für „Legal and Judicial Development“ in den letzten Jahren vervielfacht. Gleiches gilt für die Weltbank.

Rule of Law ist aber keine Einbahnstraße, die den Nehmern von den Gebern auferlegt wird. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gilt als völkerrechtliche Verfassungsnorm grundsätzlich auch für Geberinstitutionen. Das ist jedenfalls der aktuelle Forschungsstand am Exzellenzcluster „Normative Orders“ der Universität Frankfurt. In diesem Forschungsverband arbeiten Geistes- und Sozialwissenschaftler interdisziplinär zusammen, um zu ergründen, wie sich neue normative Ordnungen herausbilden.

Bei den High-Level-Foren on Aid Effectiveness in Rom (2003), Paris (2005), Accra (2008) und Busan (2011) haben die Bundesregierung und andere Akteure sich grundsätzlich der Rule of Law verpflichtet. Sie gestanden den Partnerländern zugleich eine effektive Führungsrolle bei ihrer Entwicklung zu („Ownership“), an der alle Maßnahmen auszurichten sind (siehe Vera Dicke in E+Z/D+C 2012/02, S. 60 f.).

Die High-Level-Foren blieben jedoch hinter einer völkerrechtlich klaren Definition von Rule of Law zurück. Sie machen den Gebern keine Vorgaben darüber, wie sie ihr Recht für Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ausgestalten sollen. Und dies, obwohl sich Geber und Partner auf gemeinsame Inhalte von Rechtsstaatlichkeit verständigt haben, die hundert- und tausendfach in Abkommen, Verträgen und Verhandlungsprotokollen angewendet werden. Diese Entwicklung hat zu einer völkerrechtlichen Rechtssetzung beigetragen, die für die Geber juristisch relevant ist und der sich klare Standards für ihre eigene Arbeit entnehmen lassen.


Rechtliche Defizite

Maßgebliche Geberinstitutionen beachten die rechtlichen Anforderungen für Planung, Durchführung und Kontrolle von EZ-Maßnahmen nur unzureichend. Dies belegt eine Untersuchung des Rechts auf der nationalen, supranationalen und internationalen Handlungsebene der Entwicklungszusammenarbeit. Es reicht aber nicht, dass die Geber Rule of Law fördern – sie müssen sich selbst daran halten.

Derzeit werden deutsche staatliche Entwicklungsvorhaben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) oder anderen Ressorts und damit ausschließlich von der Exekutive gesteuert und kontrolliert. Der Deutsche Bundestag wird im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit nur gering beteiligt und hat keine systematischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Als zuständiger Fachausschuss ist der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) mit Fragen der bi- und multilateralen EZ befasst. In der entwicklungspolitischen Umsetzung, insbesondere bei der Erarbeitung der Länderkonzepte, ist er jedoch in keiner Phase zwingend beteiligt.


Die Judikative mit dem deutschen Gerichtswesen ist im Politikfeld der Entwicklungszusammenarbeit de facto nicht existent. Insgesamt mangelt es folglich an einem institutionellen Gleichgewicht, an einer von der Rule of Law geforderten Gewaltenteilung und -kontrolle. Eine unmittelbare Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern in den Empfängerländern gibt es ebenfalls nicht.

Die große Frage ist, welche Rechte Einwohner von Entwicklungsländern gegenüber reichen Ländern haben, wenn eine Agency Fehler macht. Was ist, wenn EZ-Maßnahmen Rechte verletzen? Das kann beispielsweise geschehen, wenn im Zuge von großen Infrastrukturvorhaben Land- und Eigentumsrechte von Bürgern missachtet werden.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch benannte im Juli 2013 in ihrem Bericht „Abuse-Free Development: How the World Bank Should Safeguard Against Human Rights Violations“ Handlungsbedarf. Beispielsweise wurden in Äthiopien regierungskritische Aktivisten und Journalisten eingeschüchtert und politisch verfolgt. Die Regierung nutzte dazu ein Gesetz, das zivilgesellschaftliches Engagement einschränkte, und begründete das mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Obendrein wurden im „Villagization“-Programm seit 2010 rund 1,5 Millionen Äthiopier umgesiedelt, was zu einer Reihe von Rechtsverletzungen führte. Geber sind für diese Politik mitverantwortlich, weil sie äthiopische Institutionen und Funktionäre finanziell unterstützen. Die völkerrechtliche Verantwortung der Geber ist nicht allein damit erfüllt, die Partnerregierung zu ermahnen, die Menschenrechte einzuhalten.

Bi- und multilaterale Geber sollten sich stärker am völkerrechtlichen Prinzip der Rule of Law orientieren. Dafür müssen sie Interventionen auf allen Ebenen empirisch und systematisch analysieren – und zwar für den vollständigen Projekt- und Kooperationszyklus. Das gilt für sämtliche Formen der Zusammenarbeit – vom kleinen Projekt bis hin zu Multi-Geber-Treuhandfonds. Auch die steuerfinanzierte Förderung der Maßnahmen nicht-staatlicher Akteure wie kirchlicher Hilfswerke oder karitativer Stiftungen müssen erfasst werden. Dies gilt besonders für Vorhaben in Ländern, die tendenziell als autokratisch regiert und unfrei eingestuft werden.

Das BMZ prüft seit 2011 alle Vorhaben der staatlichen bilateralen Ent¬wick¬lungspolitik auf menschen¬recht¬liche Wirkungen und Risiken mit dem sogenannten „Menschenrechts-TÜV“. Offen zugänglich und überprüfbar ist dieser interne Kontrollmechanismus jedoch nicht. Die Kooperationsländer und auch Zielgruppen dort sind internen BMZ-Leitlinien zufolge bei der Planung von Maßnahmen zu beteiligen, es gibt aber dafür kein gleichberechtigtes, strukturiertes und verbindliches Verfahren. Eine unabhängige Kontrollinstanz, die die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Partnerländern im Bezug auf rechtsstaatliche Prinzipen überprüft, sieht das deutsche Entwicklungsrecht bislang nicht vor.

Es ist gut, dass die Bundesregierung mit dem „Menschenrechts-TÜV“ zwar die Selbstkontrolle verstärkt hat. Sie gewährleistet damit aber nicht, dass Bürger in den Kooperationsländern gegen Rechtsverletzungen vorgehen können. Ähnlich sieht es in anderen Geberinstitutionen aus. Sie haben in den vergangenen Jahren zwar interne Verfahren reformiert, gewähren aber betroffenen Individuen oder Gruppen keine Möglichkeit, sich rechtlich zu wehren.

Das Entwicklungsrecht ist praktisch noch auf dem staatstheoretischen Stand der Zeit, als Autoritäten über die Wahrung der Rechte der Bevölkerung wachten und Betroffene keine Abwehrrechte gegenüber dem Staat hatten. Betroffene haben paradoxerweise nicht einmal dann Rechtsansprüche gegenüber den Gebern, wenn deren Intervention den Rechtszugang verbessern soll.

Die entwickelten Länder sehen in den Menschenrechten den Schlüssel zu nach¬haltiger Armuts¬bekämpfung und inklusiver Ent¬wick¬lung. Wenn sie dies ernst meinen, müssen künftig sowohl Geber- als auch Nehmerstaaten Pflichten erfüllen, die aus dem völkerrechtlichen Prinzip der Rule of Law und den Menschenrechten folgen.


Einforderbares Recht

Die Gewährung von Recht liegt nicht im internen Ermessen der Geberinstitutionen. Betroffene müssen Ansprüche gegebenenfalls auch auf dem Rechtsweg gegenüber Staat und Behörden einfordern können. Die Weltbank ist auf dem Weg, dies anzuerkennen. Auch Deutschland sollte rechtliche Grauzonen in der Entwicklungskooperation beseitigen. Bislang wird die rechtliche Relevanz des entwicklungspolitischen Staats- und Verwaltungshandels ausgeblendet oder an die Partnerseite delegiert.

In der Entwicklungspolitik übernehmen die Regierung und ihre Verwaltung als Exekutive bislang die Kontrollfunktion. Dieses Politikfeld bleibt damit für die betroffenen Bürger intransparent und unzugänglich. In anderen Politik- und Verwaltungsfeldern haben betroffene Bürger Abwehrrechte gegen den Staat: Sie können Widerspruch einlegen und den Rechtsweg beschreiten. Besonders wichtig ist dabei die gerichtliche Kontrolle. Ein allen Bürgern zugängliches Rechtsschutzsystem ist das wichtigste Prinzip der Rule of Law.

Für die Entwicklungspolitik bedeutet das: Die Geber müssen für Institutionen und Verfahren sorgen, die es Individuen oder Gruppen aus den Entwicklungsländern ermöglichen, ihre Rechte einzuklagen, wenn diese im Rahmen der ODA (Official Development Assistance) verletzt werden. Das ist eine völkerrechtliche Pflicht.

Die vom UN-Menschenrechtsrat angenommenen Leitlinien „Wirtschaft und Menschenrechte“ halten fest, dass Entschädigungsansprüche gegen Unternehmen auch in deren Heimatstaat durchgesetzt werden können. Grundsätzlich haftet die Privatwirtschaft also auch in der Heimat für Auslandsaktivitäten, wobei auch auf Mutterunternehmen zurückgegriffen werden kann. Darauf müssen sich auch staatliche Entwicklungsinstitutionen einstellen.

Deutschland und andere Geber brauchen einen klaren, rechtlichen Rahmen für die staatliche Entwicklungspolitik. Derzeit ist es den Betroffenen rechtlich und vor allem faktisch kaum möglich, Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Dazu müsste die entsprechende Gesetzeslage geklärt und an das Völkerrecht des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Hier besteht Handlungsbedarf für Regierung, Verwaltung und Gesetzgeber.
 

Jacqueline Neumann arbeitet in einer Rechtsanwaltskanzlei in Köln und hat am DFG-Exzellenzcluster „Normative Orders“ der Universität Frankfurt promoviert.  
jacqueline.neumann@normativeorders.net
 

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.