Afghanistan

Parlamentarierinnen uneins

Mangelnde Geschlossenheit der af­gha­nischen Parlamentarierinnen verhindert eine frauenpolitische Agenda im Land. Dabei wären Vernetzung und Austausch für sie besonders wichtig, um politischen Einfluss zu gewinnen, argumentiert eine neue Studie der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die 91 afghanischen Frauen, die vor vier Jahren erstmals ins Parlament einzogen, sind als Gruppe ähnlich zersplittert wie die afghanische Gesellschaft. Wegen fehlender Geschlossenheit und Erfahrung und zu wenig Sicherheit haben die weiblichen Abgeordneten keine gemeinsame frauenpolitische Agenda. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, für die Andrea Fleschenberg 76 weibliche und 21 männliche Abgeordnete in den Jahren 2007 und 2008 in Afghanistan befragte.

Darin sprechen sich einige Parlamentarierinnen sogar explizit „gegen Geschlossenheit und für ethnische, sprachliche und religiöse Unterscheidungen“ aus. Unterstützung erhielt die Studie „Abgeordnete in Afghanistan – Konflikte, Kompromisse, Kollaboration“ durch UNIFEM, dem „Development Fund for Women“ der Vereinten Nationen. Die weiblichen Abgeordneten aus beiden Kammern des afghanischen Parlaments sind Fleschenbergs Analyse zufolge bereit, sich in themenbezogenen Arbeitsgruppen auszutauschen. Sie finden aber weder beim Scheidungs- und Sorgerecht oder beim Mutterschutz gemeinsame Positionen. Und auch Themen wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung oder die Regelung für eine Frauenquote spalten die Parlamentarierinnen.

Dazu komme die mangelnde Unterstützung von Regierung und Ministerien, aber vor allem der männlichen Abgeordneten. Als Wählerschaft sind sie auf Familienbeziehungen und Patronage angewiesen. Laut Fleschenberg haben die Frauen zu wenige Erfahrungen mit Konsensbildung, Kooperation und islamischen Gesetzen. Weiter schrecke die gefährliche Sicherheitslage viele Kandidatinnen ab: Drohungen, Anschläge, Entführungen und Mordversuche führen nicht nur zum Rückzug aus der öffentlichen Arena, sondern motivieren viele auch zum Auswandern.

Aufgrund dieser Probleme gelangen frauenpolitische Themen gar nicht erst auf die parlamentarische Agenda. Um das zu ändern, rät Fleschenberg den afghanischen Parlamentarierinnen zunächst durch allgemeine, nicht-kontroverse Themen einen politischen Dialog zu initiieren. Das seien Themen, die sich nicht vorrangig auf die Interessen und Bedürfnisse von Frauen konzentrieren: zum Beispiel Bildung, Sicherheit, Wiederaufbau und Gesundheit. Solche Themen sprechen laut Fleschenberg eine größere Wählerschaft an und stärken so die eigene Position. Konzentrierten sich die Parlamentarierinnen zu sehr auf Frauenrechte, könnte das afghanische Volk sie nur als Vertreter der Frauen betrachten. In einem zweiten Schritt aber könnten sie sich mehr mit den Genderaspekten der allgemeinen Themen auseinandersetzen.

Indem die Frauen aus beiden Parlamentskammern besser zusammenarbeiten und sich vernetzen, tauschen sie sich informell über Parteigrenzen aus. Dafür rät Fleschenberg, nationale und lokale Kontakte zu Parlament, Regierung, Ministerien und Zivilgesellschaft, aber auch zu Frauennetzwerken aus anderen islamischen Ländern aufzubauen. Unentbehrlich sei es zudem, männliche Verbündete einzubeziehen. Dies bereite den Weg für Geschlechter übergreifende Allianzen.
(Cathrine Schweikardt)