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Fachliteratur

Die große Ernüchterung

In der Klimaszene ist eine totale Ernüchterung eingekehrt. Der Weltstaat funktioniert nicht, Weltinnenpolitik ist immer noch lediglich Utopie. Laut Pariser Abkommen verfolgt jedes Land eine eigene, nationalstaatliche Klimapolitik. Aus wissenschaftlicher Sicht reicht das nicht. Die Lösung des Klimaproblems aber kann nicht darauf warten, bis eine echte Weltinnenpolitik den Schritt zur Realpolitik vollzieht.
Hochwasser in Houston: Reichen dezentrale Handlungsoptionen, wenn die nationale Regierung den Klimawandel leugnet? West/picture-alliance/ZUMA Press Hochwasser in Houston: Reichen dezentrale Handlungsoptionen, wenn die nationale Regierung den Klimawandel leugnet?

Auf diese illusionslose Einsicht sind drei Reaktionen vorstellbar. Diese werden hier durch je eine Publikation repräsentiert.

Man pfeift auf die „große Politik“ und versucht sich klarzumachen, wie das Problem ohne staatlichen Multilateralismus und sogar ohne Leitungsrolle der nationalen Regierung gelöst werden könnte. Dafür steht das Buch von Bloomberg und Pope (2017). Ermutigend ist dabei vielleicht der Gedanke, dass die fossil basierte Industriegesellschaft, die es nun zu verlassen gilt, auch nicht nach Masterplan geschaffen wurde.

Man versucht der seelischen kollektiven Verstocktheit auf die Schliche zu kommen, die sich in der Verweigerung einer (angemessenen) kollektiven Reaktion auf die Warnrufe manifestiert. Das Ziel der Analyse reicht dann weit über die Klimapolitik hinaus, aber auch diese Überzeugung ist inzwischen Allgemeingut: Es braucht die große Transformation der gegenwärtigen Form der Industriegesellschaft. Dieser Denkrichtung ist das höchst hellsichtige Buch von Latour (2017) zuzurechnen.

Dessen ungeachtet gilt die historische Erfahrung: Wer Großes erreichen will, ist gut beraten, wenn er dieses Ziel nicht explizit verfolgt. Die Geschichte der Revolutionen, zumindest in den Wissenschaften und den Künsten, zeigt, dass ein großer Umschwung am ehesten erreicht wird, wenn Autoren sich auf einen Wandel in einem (scheinbaren) Detail konzentrieren. Das ist nicht leicht, wenn man einmal erkannt hat, dass ein radikaler Wandel ansteht. Vertreter der nüchternen Naturwissenschaft vom Klimawandel aber sind dazu in der Lage. Das dritte Buch (Berry et al, 2017), das auf der Zusammenarbeit von rund 150 führenden Wissenschaftlern basiert, fragt schlicht: Was werden die Folgen sein, wenn die Menschheit weitermacht wie bisher? Für dieses Versagen steht im Titel der Ausdruck „High-End Climate Change“: ein Blick in die Apokalypse – allerdings nur in Europa.


Bloomberg und Pope

Die Autoren des ersten Buches sind zwei Prominente höchst unterschiedlicher Herkunft: Carl Pope, Umweltschützer und ehemaliger Exekutivdirektor und Chairman des Ökoverbands Sierra Club, sowie Michael Bloomberg, Medien-Unternehmer und ehemaliger Bürgermeister von New York. Konzipiert und weitgehend geschrieben wurde das Buch, als absehbar war, dass Donald Trump ins Amt des Präsidenten gelangen könnte, manche Teile auch erst, als er bereits im Amt war. Also ist das Buch zunächst einmal aus einem US-Fokus heraus geschrieben, etwa mit der Botschaft: Selbst wenn ein Klimaleugner auf den Präsidentensessel gelangt, erreichen wir Klimaziele dennoch, und zwar von unten, aus einem hohen demokratischen Selbstbewusstsein heraus.

Entsprechend ist das Buch geschrieben. Nach zwei einführenden Kapiteln zu Problem und Wissensstand folgen fünf Fachkapitel – von Energie bis Anpassung. Jeder Autor hat dazu je ein Unterkapitel verfasst. Im Energiekapitel zum Beispiel schreibt Bloomberg über die „Kosten der Kohle“  und Pope über „grünen Strom“. Das Buch ist also kein im wörtlichen Sinne gemeinsames Werk der beiden Autoren. Das Abschlusskapitel verantworten sie aber gemeinsam.

Ob der Impetus‚ es gehe auch ohne Führung von oben, in den USA oder gar global funktionieren kann? Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass ihre Überzeugung, dass die Welt den „coolen“ Weg gehen könnte, auf Dingen beruht, die meist keine große öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Sie führen aus: „Jeder Teil des Problems des Klimawandels hat eine Lösung, die unsere Gesellschaft gesünder und stärker macht.“ Der Wandel mit positiven sozialen Folgen soll demnach durch dezentrales politisches Handeln und ökonomische Entscheidungen erfolgen.  Dass insbesondere die USA solchen Wandel brauchen, steht außer Frage. Wieso das aber bislang nicht geschehen ist und nun auf einmal realisiert werden soll, wird nicht recht ersichtlich.


Latour

Das zweite Buch, von dem französischen Soziologen und Wissenschaftsphilosophen Bruno Latour, ist von einem ganz anderen Kaliber. Latour diskutiert die aktuelle ökologische Krise der Weltgesellschaft vor dem Hintergrund der Philosophiegeschichte, der europäischen Aufklärung und der Spannungen zwischen Wissen, Glauben und Macht. 

Latour schaut furchtlos auf den Grund allfälliger Hoffnung – und dekonstruiert sie, wenn sie nicht tragen kann. Seine grundlegende Fragestellung formuliert Latour so: „ bleiben ... angesichts des ökologischen Wandels – statt wie unsere Ahnen angesichts der Entdeckung der neuen Länder außer Fassung zu geraten – ungerührt, gleichgültig, nüchtern, so als könnte uns im Grunde nichts mehr geschehen. Genau das gilt es zu verstehen.“

In einer normalen Situation, so Latour, hätte uns der Zustand der Erde bereits mobilisiert, „wie es Fragen der Identität, der Sicherheit oder des Eigentums immer tun“. Erklärt werden müsse deshalb, weshalb „die ökologischen Fragen unsere Identität, unsere Sicherheit und unser Eigentum nicht unmittelbar berühren“.

Auf diese Fragen gibt Latour in seinen im Februar 2013 gehaltenen „Gifford Lectures on natural religion“ seine Antwort. Des Rätsels Lösung liegt in der Religion und religionsartigen Überzeugungen, die kollektive Identitäten prägen und den Menschen nicht unbedingt bewusst sind. US-Bürger fühlen sich demnach im Jenseits der Geschichte, was der prominente Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit seinem Buch „The end of history“ zwar anders meinte, aber klar erfasste. Wer sich als Schlusspunkt der Geschichte versteht, lässt sich von Bedrohungen historischen Ausmaßes kaum erschüttern. Dagegen kommt auch ein moderner Hiob wie der ehemalige Vizepräsident und Klima-Aktivist Al Gore nicht an.


Berry et al.

Das Büchlein von Berry et al. (2017) ist aus drei getrennten, von der EU geförderten Großprojekten entstanden. Die Förderinstitutionen scheinen zu erkennen, dass die übliche Form der Darstellung von Forschungsresultaten in 20-Seiten-Papieren, die schon sprachlich bedingt nur Fachkollegen verstehen können, nicht hinreicht. Nötig sind vielmehr gelegentliche integrierte Darstellungen, um das Bedürfnis der allgemeinen Öffentlichkeit, an den relevanten Ergebnissen der öffentlich finanzierten Wissenschaft teilzuhaben, zu befriedigen. Das kann nicht als Addition von Texten mit je 20 Seiten gelingen.

Integrativen Darstellungen ist eigen, dass sie von mehreren Personen und fachübergreifend geschrieben werden müssen. Selten sind sie bislang unter anderem deshalb, weil vielbeschäftigte Wissenschaftler sie tendenziell in ihrer Freizeit schreiben müssten. Dieses pionierhafte Buch ist ein wertvoller erster Versuch der EU-Generaldirektion Forschung (DG Research), das zu ändern.

Zur Behandlung ausgesucht wurden die Themen Landwirtschaft, Süßwasser, Küstenschutz, Forstwirtschaft, Umweltschutz, menschliche Gesundheit, Urbanisierung sowie der Zusammenhang von Klimawandel und Globalisierung.  Auffällig ist, dass es überwiegend „naturnahe“ Bereiche sind. Lediglich bei Küstenschutz und Urbanem klingen vom Menschen geschaffene Infrastrukturen an.

Motiv für die Thematisierung ist letztlich die Beratung je sektorspezifischer Politik. Wichtiger ist jedoch die Politik in Bereichen, die behandeln, was langfristig vom Menschen in die Natur verbaut wird. Dazu gehören Infrastrukturen, also Vorhaben mit langer Lebensdauer. Die entsprechende Politik bedarf langfristiger Vorausschau.

Wirklich innovativ ist das Kapitel „Klimafolgen in einer zunehmend globalisierten Welt“. Bislang herrscht (auch) in der Klimawissenschaft ein territoriales Denken vor: Man modelliert den globalen Wandel, zoomt sich in die Region, die einen interessiert, und verkündet dann zumeist die Ergebnisse als „die“ zu gewärtigenden Folgen des Klimawandels.

Dieser Anspruch aber ist offenkundig irrig – in einer vernetzten Welt können Europa etwa Extremereignisse in einer anderen Region viel stärker tangieren, als wenn dieselben in Europa direkt auftreten. Dass die Wissenschaft sich dieses Irrtums endlich entledigt, ist die Voraussetzung dafür, dass auch die regionalen Gesellschaften ihre Klimarisiken erkennen und nicht von einer irrigen Fokussierung der Wissenschaft ihrerseits irregeleitet werden.

Diesem pionierhaften ersten Anlauf einer integrierenden Darstellung von „High-end Scenarios“ haften die Eierschalen noch an, die für erste Versuche typisch sind. Die DG Research sollte dieses Konzept weiterverfolgen und möglichst bald einen Band vorlegen, dessen Aufsätze die politische Relevanz der behandelten Sektoren widerspiegeln sollten.


Hans-Jochen Luhmann ist Emeritus am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
jochen.luhmann@wupperinst.org


Literatur

Bloomberg, M., Pope, C., 2017: Climate of hope. How cities, businesses, and citizens can save the planet. New York, St. Martins Press.
Latour, B., 2017: Kampf um Gaia – Acht Vorträge über das neue Klimaregime. Frankfurt/M, Suhrkamp .
Berry, P., et al. (Eds.), 2017: High-end climate change in Europe. Impacts, vulnerability and adaptation. Sofia, Pensoft Publishers.
http://impressions-project.eu/getatt.php?filename=Highend_brochure_final_14199.pdf

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.