Rezension

Gleiches Recht auf Teilhabe an Entwicklung

Die Verabschiedung der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) im De­zem­ber 2006 und ihr schnelles Inkrafttreten im Mai 2008 hat der Debatte um Inklusion von Menschen mit Behinde­run­gen in die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) starken Aufwind gegeben. Wie zahlreiche Publi­ka­tio­nen be­legen, sind die Akteure der EZ daran inte­ressiert, ihre Inhalte effektiv und nach­haltig umzusetzen. Einige davon wer­den hier vorgestellt.


[ Von Ingar Düring und Dorothea Rischewski ]

Nach Artikel 32 der Konvention muss die internationale EZ Menschen mit Behinderungen aktiv einbeziehen und für sie zugänglich sein. Die Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren auch aus der Zivilgesellschaft und mit Menschen mit Behinderungen ist dabei entscheidend. Einige Geber – darunter Australien, Deutschland, Großbritannien – haben Behin­derung und Entwicklung zu einem Schwerpunktthema ihrer internationalen Entwicklungszusammenarbeit erklärt.

Ein Strategiepapier des britischen Departments für internationale Entwicklung (DFID: 2000) untersuchte Behinderung erstmals als Schlüsselthema der internationalen EZ; Deutschland verabschiedete 2006 als eine der ersten Regierungen ein Politikpapier zur Stärkung der Belange von Menschen mit Behinderungen in der deutschen EZ (BMZ/
GTZ: 2006), und die australische Regierung stellte kürzlich ihre neue Strategie für inklusive Entwicklung vor (AusAID: 2008).

Richtlinien dieser Papiere sind:
– ein menschenrechtsorientierter Ansatz,
– die aktive Zusammenarbeit mit Men­schen mit Behinderungen und ihren Selbsthilfeorganisationen (DPOs),
– eine auf Kooperation beruhende Vernetzung, sowie
– die Achtung der Bedürfnisse und Poten­ziale von Menschen mit Behinderungen als heterogene Gruppe.

Für die Umsetzung wird neben einem gemeindebasierten Ansatz der so genannte twin-track approach hervorgehoben. Dieser verbindet gezielte Maßnahmen zur Stär­kung von Menschen mit Behinderungen mit Initiativen und anwaltschaftliche Arbeit zu deren Einbeziehung in bereits bestehende Programme.

Einen Schwerpunkt legen die drei Regierungen auf den Bildungssektor und die Zugänglichkeit von Infrastruktur. Die deut­­sche EZ setzt zudem auf soziale Sicherheit, Sozialpolitik, Gesundheit sowie Armutsminderungsstrategien (poverty reduction strategies – PRS).

Australien definiert als Hauptziele bis zum Jahr 2014: Verbesserung von Lebensqualität, Reduzierung vermeidbarer Behinderungen und Stärkung der Führungsrolle von Menschen mit Behinderungen im Bereich inklusive EZ.

Geberengagement

Politisches Engagement der Geber ist für den Erfolg inklusiver EZ entscheidend. Immer wieder stellt sich die Frage, was zu tun ist, um Inklusion gerecht und nachhaltig zu gestalten. In den letzten Jahren sind einige gute Handbücher und Leitfäden für die unter­schiedlichen Zielgruppen erschienen.

Im Rahmen eines von der Euro­pä­ischen Kommission (EC) unterstützten Pro­jekts haben das International Disability and Development Consortium (IDDC) und CBM kürzlich ein Manual herausgegeben (IDDC/CBM, 2008).

Dieses gibt praktische Richtlinien entsprechend der Projekt-Planungsinstrumente der EC vor und nennt Konzepte und Leitprinzipien zu inklu­siver Ent­wick­lung. Zudem findet sich darin eine Fülle von Hinter­grund­in­for­mationen, Fall­bei­­spie­len, prak­ti­schen Links und Literaturhinweisen. Die Online-Version ist besonders handlich, da Informationen und Links schnell aufzurufen sind.

Pragmatische Methoden und Beispiele dafür, wie und wann im PRS-Prozess Menschen mit Behinde­run­gen und ihre Selbsthilfeorganisationen mitbe­stim­men können, gibt ein von Handicap International (HI) und CBM herausgegebenes und von GTZ und Weltbank gefördertes Handbuch (HI/CBM: 2006). PRS-Papiere sind Instrumente, die international zur Re­du­zierung von Armut angewendet werden. Stu­dien im Jahr 2002 zeigten, dass die Zi­vil­gesellschaft am PRS-Prozess nicht genügend beteiligt ist. Dieses Werk – das auch eine umfangreiche Toolbox und weiterführende Literatur enthält – führt nun Trainingsmodule und handliche Infor­ma­tionen für verschiedene Akteure auf, um die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft und besonders der Selbsthilfeorganisationen zu stärken.

World Vision beleuchtet in einer neu­eren Publikation (WV: 2007) Rahmen­be­din­gun­gen und Richtlinien für inklusive Schulbildung. Alle Kinder haben dank der Konvention das Recht auf Bildung innerhalb eines inklusiven Systems – wie Artikel 24 bekräftigt. Es wird geschätzt, dass weltweit nur drei Prozent der Kinder mit besonderem Förderbedarf Zugang zu Schulbildung haben – meist gesondert oder in integrativen statt inklusiven Ein­rich­tun­gen. Wie hier aufgeführt, ist die Inklusion besonders förderbedürftiger Kinder zum Erreichen der Millenniums­ent­wick­lungs­ziele (MDGs) be­deu­tend. Die Experten von World Vision richten sich speziell an Regierungen und die Partnerschaft der fast-track-Initiative (FTI) des globalen Programms Education for All. Sie empfehlen, die Belange von 26 Millionen besonders förderbedürftiger Kinder, die nicht die Grundschule besuchen, mehr zu beachten. Verfügbare Gelder sollten verstärkt in inklusive Bildung fließen.

Sozialer Schutz

Erfahrungsberichte zeigen, was Inklusion bedeutet und wie sie umgesetzt werden kann. In diesem Rahmen sollen Berichte aus den Bereichen der Sozialen Sicherheit sowie Arbeit und Beschäftigung vorgestellt werden.
Sozialer Schutz entsprechend Artikel 28 bedeutet für Menschen mit Behinderungen:
– Zugang zu Programmen der sozialen Siche­rung, etwa Krankenversicherungsschutz,
– Anspruch auf Sozialleistungen, wie Sachleistungen oder Sozialtransfers,
– die Möglichkeit, Mikrofinanzprodukte, etwa Mikrokredite, zu erhalten.

Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat gemeinsam mit Partnern Methoden entwickelt, um Programme der sozialen Sicherung an die Bedürfnisse von Menschen mit Behin­de­rungen anzupassen. Wie die Eva­lu­ierung eines Sozialtransfer-Programms in Sambia zeigt (GTZ: 2006), gehören besonders häufig Familien zu den ärmsten zehn Prozent, die Mitglieder mit Behinderungen haben. Sie können durch gemeindenahe Targeting-Methoden gut erreicht werden. Sozialtransfers bewirken hier, dass Familien Krank­hei­ten und Behinderungen im örtlichen Kran­kenhaus behandeln lassen. Auch werden sie für eine bessere Ernährung eingesetzt, die die Entstehung von Krankheiten und Behinderung verhindern kann.

Die Weltbank (WB) hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Zusam­men­hang zwischen Behinderung und Ar­mut beschäftigt und hat zahlreiche Studien und Publikationen herausge­geben. Ökonomen schätzen den jährlich weltweit durch Nicht-Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und deren Familienangehörigen entstehenden wirtschaftlichen Verlust an produktiver Arbeit auf fünf bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts weltweit (WB:2008). Das Thema Behinderung und Entwicklung war in den letzten Jahren eine der Kernkompetenzen der Weltbank im Sektor Soziale Sicherheit.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit

In einem Sammelband von Leonard Che­shire International (LCI: 2007) unter­sucht Peter Coleridge die wirtschaftliche Stärkung von Menschen mit Behinderungen. Diese wird in Artikel 27 der Konvention hervorgehoben. Coleridge hält den twin-track approach für besonders bedeutsam. Wegen geringer Erwartungen an ihre Arbeit blieben Men­schen mit Behinderungen oft in Kreis­läufen der speziellen Förderung gefangen. Dem könne entgegengewirkt werden, indem man sie in allgemeine Ausbildungszweige und Mikrokredit-Programme einbezieht. Für wirtschaftliche Stärkung sind lokale Unterstütz­ungs­strukturen wesent­lich; wie der Autor beispielhaft zeigt, be­mühen sich erfolgreiche UnternehmerInnen aktiv um ihre sozialen Netzwerke.

Die Förderung von Selbständigkeit und Kleinstunternehmen durch Mikrokredite und Anschubfinanzierungen für Menschen mit Behinderungen untersucht Handicap International eingehend (HI: 2006). Berufliche Selbständigkeit ist für Menschen mit Behinderungen oft die einzige Chance der Erwerbstätigkeit. Allerdings ist dafür der Zugang zu Kapital entscheidend. Dieser wird in Artikel 12 der Konvention berücksichtigt.

Studien zeigen, dass Mikrofinanz­un­ternehmen kaum Klienten mit Behinderungen haben. Dabei können diese – das verdeutlichen auch Fallbeispiele – durch Anschubfinanzierungen und Darlehen er­folgreich gestärkt werden. Die Autoren empfehlen, den gleich­be­rech­tigten Zugang zu Mikrofinanzdienstleistungen für Men­schen mit Behinderungen zu fördern. Kos­tenlose Finanzierung oder subventionierte Kredite hingegen sollten nur als erster Schritt oder für Menschen in extremen Armutssituationen erwogen werden.

Integrative Ansätze, die Finanzdienstleistungen durch Mikrofinanz-Institu­tio­nen mit Strategien zur Kompetenz- und Persönlichkeitsförderung durch EZ-Orga­ni­sationen verbinden, gelten als besonders erfolgreich. Eine solche koordinierte Zusammenarbeit erhöht die Qualität der angebotenen Dienstleistungen und Programme und fördert zugleich eine inklusive Gesellschaft.

Sämtliche Berichte betonen die Hete­rogenität in Herkunft, Bildungsstand, Bedürfnissen und Potenzialen von Men­schen mit Behinderungen. Menschen mit geistiger Behinderung im Besonderen werden in der aktuellen Literatur nur unzureichend berücksichtigt. In einem Bericht von Inclusion International (II: 2006) formulieren Menschen mit geis­tiger Behinderung aus mehr als 80 Ländern eine globale Agenda gegen Armut und Ausgrenzung. Schwerpunkte sind: Recht auf Selbstbestimmung und Bürgerrecht; ein in die Gemeinde integriertes Leben; Zugang zu Bildung, zu lebenslangem Lernen, zu Gesundheitsversorgung, zu sozialer Sicherung und zu Einkommen und Arbeit, sowie angemessene Unterstützung der Familien.

Selbständigkeit von Frauen fördern

Auch Genderaspekte kommen in vielen Publikationen zu kurz. Dabei sind gerade Frauen und Mädchen erheblich benachteiligt. Artikel 6 der Konvention hebt die Mehrfachdiskriminierung, der Frauen und Mädchen mit Behinderungen ausgesetzt sind, hervor. Frühere Weltbank-Studien etwa zeigten, dass gender-stereotypes Verhalten in Berufsbildungsprogrammen Mädchen und Frauen mit Behinderungen dazu zwingt, schlechtere Arbeitsverhältnisse, schlechtere Bezahlung und geringere Aufstiegschancen zu akzeptieren.

Das WEDGE-Förderprogramm für Unternehmerinnen – ein Projekt der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Entwicklungsorganisation der Irischen Regierung, Irish Aid – fördert Frauen mit Behinderungen besonders. Ein Leitfaden (ILO: 2008) für inklusive Unternehmensentwicklung von und für Frauen, baut auf die Erfolge von WEDGE auf. Vorteile inklusiver Unternehmen sind den Autorinnen nach:
– hohe Standards von Unternehmensethik,
– größere Flexibilität, um auf sozioökonomische Veränderungen zu reagieren,
– Beitrag zum wirtschaftlichen Wohl der lokalen Gesellschaft,
– Höheres Ansehen in der Bevölkerung und generell gute Exportchancen.

Um die Bedeutung positiver Vorbilder zu betonen, werden erfolgreiche Unter­neh­me­rinnen mit Behinderungen aus Äthiopien, Uganda und Sambia vorgestellt.

Die Hesperian-Stiftung will Frauen mit Behinderungen gemäß Artikel 25 der Konvention bessere gesundheitliche Voraussetzungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verschaffen. Daher hat sie ein Praxis-Handbuch (Maxwell, Watts Belser, David: 2007) herausgegeben, speziell für Frauen und Mütter mit begrenztem Zugang zu adäquaten und geschlechtsspezifischen Gesund­heits­­diens­ten. Das Handbuch enthält wichtige Infor­mationen, illustriert einfache Maßnahmen und gibt praktische Tipps – beispielsweise, wie Krankheiten und Unfälle vorzubeugen, Erkrankungen zu behandeln und Medi­ka­mente einzusetzen sind.