Europäischer Entwicklungsbericht

Der Knappheit begegnen

Wasser, Energie und Land werden knapper. Im aktuellen Europäischen Entwicklungsbericht gelten diese drei Felder als wichtige Schwerpunkte für Europas Zusammenarbeit mit armen Ländern.

Von Peter Hauff

Kernaussage der Autoren ist, dass Brüssel die internationale Gemeinschaft im Klimaschutz vorantreibe. Gleichzeitig müsse die EU inklusives Wachstum im Auge behalten. Deshalb sollen entwicklungspolitische Aufgaben im Umgang mit Wasser, Energie und Land („WEL-­Nexus“) im Zusammenhang gelöst werden, empfehlen die Verfasser. In diesen drei Bereichen müssten die EU und ihre Mitgliedstaaten nämlich damit rechnen, dass Verteilungskämpfe meist auf Kosten armer Menschen gehen.

Der European Report on Development (ERD) soll zwischen Politik und Forschung vermitteln. Die Zusammenfassung des unabhängigen Berichts erschien dieses Jahr erstmals auch auf Arabisch. Träger sind die Europäische Kommission und sieben EU-Mitgliedstaaten: Finnland, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich. Für den Bericht 2011/2012 haben das Londoner Overseas Development Institute (ODI), das Europäische Zentrum für Entwicklungs­politik-Management (ECDPM) in Maastricht und das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn kooperiert.

Vorbildliche Zusammenarbeit in Kenia

Dass Gesamtschau möglich ist, zeigen entwicklungspolitische Erfolge rund um den Naivasha-See in Kenia. Dort wirken kleine Bauernhöfe, große Gartencenter und ein Geothermie-Kraftwerk vorbildlich zusammen, heißt es im ERD. So ähnlich stellen sich die Experten künftige Kooperation ­lokaler, nationaler und internationaler Akteure auch in anderen Ländern vor.

Der Bericht erschien zu einem doppelt symbolischen Zeitpunkt: Kurz vor dem Rio+20-Gipfel und im Anschluss an einen EU-Gipfel für neue Energien. Dort warb Europa für vorausschauende Energiekonzepte in Entwicklungsländern. Die EU will bis zum Jahr 2030 zusätzlichen 500 Millionen Menschen Zugang zu nachhaltiger Energieversorgung verschaffen.

Wasser, Energie und Land werden immer knapper. Dieser Knappheit müssen Entscheidungsträger auf vier Handlungsfeldern begegnen, steht im ERD:
– Sie müssen wirtschaftliche Nachfrage (Demand) so steuern, dass sich bisherige Lebensstile ändern, zum Beispiel weniger Müll erzeugt wird und keine Lebensmittel verschwendet werden.
– Sie müssen das Angebot (Supply) an Land, Wasser und Energie erhöhen und ändern. Hierzu dienen etwa Partnerschaften für erneuerbare Energie und Wasserreserven durch Einsatz finanzieller Mittel.
– Auch die Effizienz (Efficiency) von Maßnahmen muss sich erhöhen, zum Beispiel durch Weitergabe neuer Techno­logien und staatlichen Anschub von Innovationen.
– Außerdem brauchen gerade die Ärmsten Schutz vor sozialen Umbrüchen, plötz­licher Landnahme oder Naturkatastrophen (Resiliency).

Die vier Säulen „Demand, Supply, ­Efficiency, Resilience“ werden im ERD als geschlossenes DSER-Konzept vorgestellt. Weniger schlüssig ist hingegen die Definition dreier Gruppen von Akteuren, die konkrete Maßnahmen koordinieren sollen: öffentlicher Sektor, privater Sektor und die „Europäische Union“. Die EU ist ein Staatenbund, aber sicherlich keine globale Institution. Zu welcher Akteursgruppe wiederum die UN, Internationaler Währungsfonds oder Weltbank zählen, lässt der Bericht im Dunkeln.

Gerechtigkeit kein Leitmotiv im EU-Bericht

Wo bleibt in der EU-Entwicklungspolitik außerdem die Bekämpfung von Ungleichheit? Das fragen sich Mario Negre und Mark Furness vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in einem zeitgleich mit dem ERD veröffentlichten Online-Aufsatz.

Die Europäische Kommission betone zwar offiziell, ungleiche Einkommen könnten kostbares Wachstum bremsen. „Trotzdem unternimmt sie wenig, um diese Ungleichheit zu überwinden“, schreiben die DIE-Experten. So schlägt die Kommission zum Beispiel gegenwärtig vor, die EU-Entwicklungshilfe für große Länder, die hohe Wachstumsraten haben, zu kappen. Dabei beruft sich Brüssel auf die steigende Wirtschaftsleistung von Schwellenländern. So ignoriere man allerdings soziale Ungleichheiten, warnen Furness und Negre. Mehr als 60 Prozent der Armen weltweit leben heute in großen Ländern mit hohen Wachstumsraten – wie China, Indien, Indonesien, Nigeria und Pakistan.

EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs vertritt zwar die Ansicht, dass ein breites Wachstum winkt, wenn Einkommen nicht zu weit differieren. Aber außerhalb Brüssel, so klagen Negre und Furness, bleibe diese Botschaft an Partnerländer tabu. Dahinter stehe einerseits politische Rücksicht auf innere Angelegenheiten. Andererseits tue sich die EU auch mit Blick auf Mitgliedsre­gierungen schwer, einen starken Staat und die Umverteilung von Einkommen zu fordern.

Zündstoff für Politiker bergen einzelne Vorschläge, die im Brüsseler Bericht vorkommen, um Schlagworte mit Leben zu füllen: Die Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) soll in Zukunft nicht nur Überblick bei Rohstoffen schaffen, sondern auch die Verteilung von Land dokumentieren (siehe auch Interview mit Peter Eigen auf S. 242).

Transparenz bei Landvergabe

Außerdem empfehlen die Autoren, für Ökosystemleistungen generell zu bezahlen – also Naturschutz mit Geld zu messen. So bekämen knappes Land, knappes Wasser und knappe Energieträger wirtschaftliches Gewicht (siehe auch KfW-Beilage in dieser Ausgabe). Vorbild dafür ist der Klimaschutz durch internationale Emissionszertifikate.Fest steht für die Entwicklungspolitiker der EU, dass der globale Druck auf Ressourcen steigt. Die Verfasser des ERD schätzen, dass die Nachfrage nach Wasser und Energie bis 2050 um 40 Prozent wachsen wird, der Bedarf nach Nahrungsmitteln sogar um 50 Prozent.

Peter Hauff