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Kommentar

Das verlorene Recht der Frauen

Chile gehört heute zu den wenigen Ländern, in denen Abtreibung unter allen Umständen verboten ist. Das Gesetz ist ein Erbe aus der Pinochet-Diktatur. Frauenrechtler kämpfen seit Jahrzehnten für eine Reform, doch die Parlamentsentscheidung darüber wurde Anfang des Monats zum wiederholten Male vertagt.
„Es ist meine Gebärmutter, also entscheide ich“: Tausende demonstrierten Anfang Juli in Santiago de Chile für eine Reform des Abtreibungsgesetzes. Demotix/picture-alliance „Es ist meine Gebärmutter, also entscheide ich“: Tausende demonstrierten Anfang Juli in Santiago de Chile für eine Reform des Abtreibungsgesetzes.

Als die Abstimmung über eine Reform des chilenischen Abtreibungsgesetzes am 7. Juli kurzfristig verschoben wurde, lös­te dies einen Aufschrei in Medien und Frauenorganisationen aus. In kaum einem Land der Welt sind Abtreibungen so strikt verboten wie in Chile. Selbst therapeutischer Schwangerschaftsabbruch steht unter Strafe: Sowohl der Frau als auch dem Arzt drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis. Nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums werden in Chile daher jährlich bis zu 150 000 unrechtmäßige und häufig unsachgemäße Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, zum Teil mit fatalen Folgen für die Gesundheit der Frau. Durch den neuen Gesetzentwurf der Regierung von Michelle Bachelet sollten therapeutische Abtreibungen zumindest in drei Fällen straffrei werden: wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, wenn der Fötus nicht überleben kann und wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorging.    

Die Rechtslage in Chile erscheint besonders absurd, weil die chilenischen Frauen das Recht auf therapeutischen Schwangerschaftsabbruch bereits für fast 70 Jahre innehatten. Das Gesetz aus dem Jahr 1931 wurde allerdings unter der Diktatur Augus­to Pinochets wieder abgeschafft. Als eine seiner letzten Amtshandlungen folgte Pinochet damit im Jahr 1989 den Forderungen des Intellektuellen Jaime Guzmán, der äußerte: „Jede Abtreibung ist Mord. Alle negativen oder schmerzhaften Folgen einer Schwangerschaft zu tragen ist, was Gott dem Menschen auferlegt hat.“

Seit der Rückkehr zur Demokratie vor 25 Jahren dringen chilenische Frauen- und Gesundheitsorganisationen sowie einige progressive katholische Gruppen darauf, den therapeutischen Schwangerschaftsabbruch wieder zu legalisieren. Internationale Organisationen weisen darauf hin, dass Chile das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung missachte, und das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen forderte das Land offiziell auf, die Bestrafung von Abtreibungen zu unterlassen. Laut Umfragen besteht auch in der Gesellschaft Konsens darüber, dass therapeutische Abtreibung erlaubt sein sollte. Aber die katholische Kirche, ultrakonservative Gruppierungen und rechtsgerichtete Parlamentarier blockieren alle Reformbemühungen.

Seit 25 Jahren wird somit eine legitime Forderung der Frauen missachtet. Seit einem Vierteljahrhundert wird Frauen in Chile ein Recht abgesprochen, das die meisten anderen Länder ­ihnen gewähren. Unsere Mütter und Großmütter durften aus therapeutischen Gründen eine Schwangerschaft beenden, wir aber dürfen es nicht. Meine Mutter trieb 1985 in einem öffentlichen Krankenhaus ab, als sich herausstellte, dass der Fötus an inneren Fehlbildungen sterben würde. Es war ein schneller und sicherer Eingriff, und niemand machte ihr Vorhaltungen.

Viele Frauen in Chile leiden darunter, dass sie einen Fötus austragen müssen, der bei der Geburt sterben wird. Oder dass sie das Kind eines Vergewaltigers in sich tragen – was umso schlimmer ist, wenn es sich um Minderjährige handelt, die meist von einem engen Verwandten vergewaltigt wurden, oder um benachteiligte Jugend­liche, die keinen Zugang zu sexueller Aufklärung oder Verhütungsmethoden hatten.

Der therapeutische Schwangerschaftsabbruch in den drei genannten Fällen ist für uns daher nur die Minimalregelung. Was wir fordern, ist die freie legale Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche. In drei Fällen soll es auch später noch möglich sein: bei Lebensgefahr der Mutter, bei einem überlebensunfähigen Fötus und bei Vergewaltigung von Mädchen unter 14 Jahren.

Wir Frauen haben das Recht, selbst über unseren Körper zu entscheiden und darüber, ob wir schwanger werden möchten. Wir möchten für diese Entscheidungen nicht verurteilt werden. Der Staat hat die Pflicht, uns Zugang zu Gesundheitsversorgung zu geben und zu garantieren, dass unsere Rechte, vor allem die von armen Frauen und Mädchen, respektiert werden. In einem konservativen Staat wie Chile ist das Recht auf Abtreibung eine große Schuld des Staates gegenüber den Frauen. Wir haben noch einen langen Weg zu gehen und wissen nicht, wo er enden wird.

Tania Cadima ist eine chilenische Aktivistin der Genderfront der Partei Movimiento Revolución Democrática.
tcadima@gmail.com