Klimaschutz

Gras auf dem Dach

Indische Fachleute haben sich auf einer Studienreise im Mai energiesparende Bauweisen in Deutschland angeschaut. Einige Ideen lassen sich schnell auch in der Heimat verwirklichen.

Dachbegrünung ist eine attraktive Sache. „Das werde ich zu Hause auch machen“, meinte eine indische Energieexpertin, deren Familie in ihrer Heimatstadt zur Zeit ein Eigenheim baut. Gras auf dem Dach und Ranken an den Außenfassaden sind dort kaum üblich, werden jedenfalls nicht systematisch genutzt. Dabei trägt solch eine Bepflanzung ohne Energieaufwand zur Kühlung von Gebäuden bei und erfordert im Vergleich zu anderen Klimatisierungstechniken nur wenig Wasser. Die Teilnehmerin der Informationsreise, die InWEnt in Zusammenarbeit mit dem Büro für Energieeffizienz des indischen Energieministeriums (Ministry of Power) im Mai organisierte, hat begeistert, wie Konzepte der Gebäudeisolierung in Deutschland verwirklicht werden.

Eine Hochburg der Berliner Alternativszene machte besonderen Eindruck auf die Fachleute aus Südasien: die UFA-Fabrik in Berlin Tempelhof. Sie beweist, dass Energieerzeugung mit Sonne- und Windkraft funktioniert – und zwar auf Dauer. Auf den Dächern sind Solarpanel und Windräder installiert, dazwischen wachsen Gräser.

Das Areal hat eine bewegte Geschichte. Ende der 70er Jahre sollten die Gebäude abgerissen werden. Doch dann besetzten Mitglieder und Unterstützer einer Kulturinitiative das Gelände. Die Aktion verlief friedlich, und schon bald darauf gab es einen rechtskräftigen Nutzungsvertrag. Heute wohnen auf dem UFA-Gelände rund 40 Menschen, 200 arbeiten dort. Zu den öffentlichkeitswirksamen Attraktionen zählt ein Kulturzentrum und ein Kinderbauernhof.

Die UFA-Website wirbt allerdings auch mit den sparsamen Umweltkonzepten. „Das ist eine kleine Niedrigenergie-Kommune mitten in der Großstadt“, beschreibt Michael Schwartzkopff von InWEnt das fast 18 000 Quadratmeter große Areal. „Unsere Gäste fanden es spannend zu sehen, dass das, was heute als State-of-the-art gilt, im Grunde von einer Gruppe Hippies ausprobiert wurde und schon seit 20 Jahren funktioniert.“
Dezentrale Insellösung

Dezentrale Stromversorgung aus erneuerbaren Quellen wäre in Indien nicht zuletzt in abgelegenen Landstrichen die angemessene Lösung. Es ist zu teuer, alle Dörfer an das Hochspannungsnetz anzuschließen. Heute sieht das auch das Energie­ministerium in Delhi so. Zu sehen, dass sich solch ein Konzept sogar in der deutschen Hauptstadt bewährt, wirkt auf indische Fachleute ermutigend.

Das Energieministerium will in einer Pilotphase für 1000 Dörfer „Insellösungen“ auf der Basis erneuerbarer Quellen schaffen. Das ist ein Zeichen von Umdenken – denn in den 90er Jahren blickten indische Ingenieure zumeist voller Skepsis auf vermeintlich „zweitbeste“ Optionen. Die hohen Kosten des Ölimports, teure Energiesubventionen und der Klimawandel mit seinen gefährlichen Folgen haben zur Neuorientierung beigetragen.

Die indische Gesetzgebung wurde verschärft. Um die Reformpolitik durchzusetzen, kooperiert das zentrale Büro für Energieeffizienz in Delhi mit diversen Institutionen in allen indischen Bundesstaaten. Es berät sowohl staatliche Institutionen wie auch energieintensive Wirtschaftszweige bei der Umsetzung sparsamer Konzepte. Energieeffizientes, klimagerechtes Bauen ist dabei ein wichtiges Anliegen.

Die Aufmerksamkeit richtet sich hier zunächst auf Großverbraucher in Staat, Gewerbe und Industrie. Für Krankenhäuser, Ministerien, Hochschulen und andere energieintensive Gebäude sind Audits vorgeschrieben. Die Betreiber müssen nachweisen, dass sie sich um Einsparungen bemühen.

Die Eindrücke, die sich die 16 Gäste in Deutschland verschafft haben, sind wertvoll. „Die Kollegen haben ein neues Verständnis von Gebäudeisolierung bekommen“, berichtet Schwartzkopff. Es sei klar geworden, dass Isolierung nicht nur die Heizkosten senkt, sondern auch den Kühlungsaufwand reduziert. Selbstverständlich ist diese an sich simple Einsicht nicht – denn auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob andere klimatische Herausforderungen auch andere technische Lösungen erforderten.

Aufschlussreich ist auch der Einblick in die institutionellen Bedingungen für Energiesparen und Klimaschutz in Deutschland. Dass die KfW Bankengruppe mit günstigen Krediten Bauherren bei der Nutzung teurer energiesparender Verfahren bei Wohn- und gewerblichen Gebäuden unterstützt, fanden die indischen Experten gut. So etwas wünschen sie sich auch in ihrer Heimat, wo die KfW Entwicklungsbank zwar Banken bei der Einführung solcher Modelle berät, aber aus rechtlichen, politischen und finanziellen Gründen nicht selbst flächendeckend aktiv werden kann. Vorbildlich finden die indischen Fachleute auch das deutsche Energieeinspeisegesetz, weil es privaten Haushalten, die mit Solarpaneln oder Windrädern Strom gewinnen, Mindesttarife für die Bereitstellung der Energie im Versorgungsnetz garantiert.

Einsichten über sinnvolle strukturpolitische Maßnahmen können die InWEnt-Gäste aus Indien selbstverständlich nicht sofort umsetzen. Dafür müssen politische Mehrheiten gewonnen werden. Das wird aber wahrscheinlicher, wenn Fachleute aus den zuständigen Institutionen solche Konzepte einfordern.

Das gilt umso mehr, wenn Fachleute aus den verschiedenen Bundesstaaten sich untereinander vernetzen – was auch nicht selbstverständlich ist. Im Alltag begegnen sich Beamte und Angestellte aus dem südindischen Kerala und der nordöstlichen Bergregion Arunachal Pradesh praktisch nie – zwei Energieexperten aus diesen Bundesstaaten lernten sich auf der elftägigen InWEnt-Reise aber kennen. (dem)