Proteste in Ägypten

Hoffnungsträger Erdogan

Jugendliche tragen den Protest, der in der arabischen Welt Freiheit fordert. Die EU hat es aus Furcht vor terroristischem Islamismus und im Blick auf heimische Fremdenfeindlichkeit versäumt, auf moderate islamische Politiker zuzugehen – zum Beispiel in der türkischen AKP. Nun misstrauen ihr die Protestierenden.

Von Hans Dembowski

Zu Redaktionsschluss des Februarhefts von E+Z/D+C war nicht abzusehen, ob die Proteste in Ägypten zur Revolution führen oder der alte Sicherheitsapparat zur brutalen Repression greifen würde. Noch weniger stand fest, welche Kräfte nach Wechseln und Wirren in Kairo an die Macht kommen würden. Klar war nur, dass die Oppositionsbewegungen, welche die arabische Welt von Algerien bis Jemen erschüttern, breiter und vielfältiger sind als das im Westen gefürchtete Klischee radikaler Islamisten – und dass die Menschen, die sie tragen, sehr jung sind.

Dem alternden Europa fällt es schwer, sich in die Lage arabischer Jugendlicher zu versetzen. Sie sind eben nicht bereit, fehlende Perspektiven einer ganzen Generation hinzunehmen, und dass Schulabgänger und selbst Akademiker nur selten anständig bezahlte Jobs mit einer sinnvollen Aufgabe finden.

Anders als im Westen angenommen, verfällt diese junge Generation offenbar auch nicht einfach dem radikalen Islamismus. Nach der virtuellen Freiheit, die sie im Internet mit seinen diversen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten erleben, sehnen sich junge Araber auch in ihrem Alltag. Al Kaidas blutrünstige Mord- und Selbstmordkultur verabscheuen die meisten von ihnen vermutlich ebenso, wie das Europas Bürger tun.

Das bedeutet nicht, dass der politische Islam keine Rolle mehr spielt. Die große Frage ist vielmehr, welche Rolle er jetzt und in Zukunft spielen soll. Derzeit sieht es nicht so aus, als wählten die jungen Demonstranten sich die iranischen Revolutionswächter, die Hisbollah im Libanon oder die Hamas im Gazastreifen als Vorbilder, um autokratische Regimes zum Wanken zu bringen.

Jugendliche Araber fordern westliche Freiheiten – aber sie kennen westliche Regierungen als Bündnispartner ihrer Diktatoren, nicht als Vorkämpfer für ihre Freiheiten. Europäer und Nordamerikaner haben es versäumt, rechtzeitig und öffentlich Koalitionen mit Kräften zu suchen, die einen demokratischen Wandel wollen. Sie haben auf die Ben Alis und Mubaraks gesetzt, die versprachen, den Islamismus klein zu halten.

Die Möglichkeit eines Pluralismus im Nahen Osten war im westlichen Weltbild nicht vorhanden – und völlig ausgeschlossen, dass dieser nicht nur innerhalb des Islams artikuliert wird, sondern sogar in dessen politischer Artikulation. Dabei erlebt die Türkei, ein Nato-Mitglied und EU-Anwärter, seit Jahren unter Recep Tayyip Erdoğan genau die Art von Öffnung, die auch in der arabischen Welt wünschenswert wäre. Dieser koranfeste Regierungschef mit radikaler politischer Vergangenheit brachte sein Land auf dem Weg zum Pluralismus weit voran; Erdoğan zeigte der arroganten kemalistischen Machtelite in Militär, Justiz und Verwaltung die Schranken.

Rachid Ghannouchi ist als islamistische Führungspersönlichkeit Ende Januar aus dem Londoner Exil nach Tunesien zurückgekehrt. Er orientiere sich am Beispiel von Erdogans Partei AKP, sagte er. Ob das ein bloßes Lippenbekenntnis oder ernst gemeint ist, bleibt abzuwarten. Dem 69-jährigen Ghannouchi wird aber klar sein: Wenn er in Tunesien Einfluss ausüben will, muss er die Jugend gewinnen. Erdogans Türkei wird sicherlich ein attraktiveres Vorbild abgeben als Ajmadinedschads Iran.

Leider hat die EU auch Erdoğan in den vergangenen Jahren hingehalten. Sie hätte ihm entschiedener entgegen kommen müssen. Durch diese verpatzte Chance wird es nun noch schwerer, in revolutionären Wirren der arabischen Welt das Vertrauen derjenigen zu gewinnen, die politische Vielfalt in vom Islam geprägten Gesellschaften verkörpern. Hoffentlich strahlt Erdogans Beispiel aus eigener Kraft.

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