Editorial

Daueraufgabe

Die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) sind bereits ein Erfolg – egal, in welchem Umfang sie bis 2015 erreicht werden. Nie zuvor hatte eine internationale Agenda im Kampf gegen Armut solch bleibenden Einfluss auf die weltweite Öffentlichkeit. In der UN-Geschichte mangelt es nicht an Versprechen, Menschen mit Wasser, Schulen oder Ärzten zu versorgen. Sie wurden nur nie so ernst genommen, dass sie zehn Jahre später noch in Erinnerung waren.

Die größte Stärke der MDGs ist ihr umfassendes Verständnis von Armut. Sie greifen grundlegende Dinge wie Gesundheit, Bildung, Ernährung, Ökologie und Arbeit auf. Um die breit angelegten Ziele zu erreichen, brauchen die Politiker kohärente Konzepte. Es reicht nicht, Geld in diverse Sektorprogramme zu schütten.

Die größte Schwäche der MDGs hängt eng mit dieser Stärke zusammen. Sie benennen die Symptome der Armut, bieten aber keinen Fahrplan zu florierenden Märkten und prosperierenden Gesellschaften. Keine Frage: Die Entwicklungsländer müssen eigenverantwortlich stimmige Politik betreiben, denn internationale Hilfe kann die Fehlleistungen nationaler Regierungen nicht kompensieren.

Das neue Millennium begann viel versprechend. Spektakuläres Wirtschaftswachstum in Asien ließ die Nachfrage weltweit steigen. Dank höherer Rohstoffpreise begannen die Wirtschaften vieler Entwicklungsländer zu expandieren. Einige Jahre lang sah es rosig aus. Neue Geschäftschancen taten sich auf, Unternehmen machten solide Profite, und – kein Wunder – die Armut ging zurück.

Es blieb nicht so. Anfang 2008 holte uns die Ernährungskrise ein. Die Getreidepreise stiegen, weil reiche Nationen begannen, in Biosprit zu investieren, und weil immer mehr Menschen in Schwellenländern sich teure Lebensmittel leisten können – auch Fleisch, dessen Produktion von Futtermitteln abhängt. Für viele Menschen in Entwicklungsländern wurden Grundnahrungsmittel plötzlich unerschwinglich teuer. Wirtschaftswachstum kann Armutsprobleme auch verschärfen.

Dann kam die Finanzkrise. Zwar gelang es der Gruppe der – mittlerweile 20 – führenden Volkswirtschaften, ihre Politik zu koordinieren und eine globale Depression zu verhindern. Aber die Krise ist noch längst nicht bewältigt. In diesem Jahr loderte sie in Griechenlands und Irlands Schuldenproblemen auf – sowie in einer irritierenden Diskussion mit gefährlichen protektionistischen Untertönen über „Währungskriege“ unter Finanzministern und Zentralbankern. Es bleibt abzuwarten, wie sich die internationale Gemeinschaft von der eklatanten Fehlleistung der Geldinstitute erholt.

Deprimierend bleibt derweil der geringe Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel. Der Treibhauseffekt ist eine physikalische Tatsache. Wissenschaftler warnen vor gewaltigen Folgen, können aber nicht im Detail sagen, wie schlimm es kommen wird. Fluten in Pakistan und russische Waldbrände waren Vorboten – und dabei nur die spektakulärsten Fälle, in denen Extremwetterlagen in diesem Jahr menschliche Lebenschancen vernichtet haben.

Fortschritte bei den MDGs sind willkommen, wären aber im Klima­schutz mindestens genauso wichtig. Sonst werden die Ziele künftig noch schwerer zu erreichen sein. Leider wirkten die Vorbereitungen für den Klima­gipfel in Cancún nicht sonderlich viel versprechend.

Hans Dembowski