Entwicklung und
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Binnenvertriebene

Mehr internationales Engagement gefordert

Laut dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR sind von den weltweit mehr als 70 Millionen Flüchtlingen knapp 60 Prozent sogenannte Binnenvertriebene – also Menschen, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Die internationale Politik nimmt diese Menschen und ihre Probleme aber kaum wahr. Eine neue Studie plädiert dafür, das zu ändern und wieder einen UN-Sonderbeauftragten für das Thema zu ernennen.
Kinder im Al-Karama-Lager für Binnenvertriebene im Norden Syriens. picture-alliance/ZUMA Press Kinder im Al-Karama-Lager für Binnenvertriebene im Norden Syriens.

Binnenvertreibung hat vielfältige Ursachen, wie Kriege und gewaltsame Konflikte, Naturkatastrophen, aber auch schleichende Umweltveränderungen oder die Umsetzung großer Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte. Die meisten Betroffenen gibt es laut dem International Displacement Monitor Centre (IDMC) in Syrien, Kolumbien und in der Demokratischen Republik Kongo.

Binnenvertriebene sind häufig ähnlich schutzlos wie grenzüberschreitende Flüchtlinge, haben aber keinen Anspruch auf internationalen Schutz, erklärt Anne Koch, die die Studie im Auftrag der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) verfasst hat. Da das Phänomen fast nur in ärmeren Weltgegenden auftritt, erreicht es kaum die Aufmerksamkeit der wohlhabenden Staaten.

Zudem leugnen laut Koch viele Staaten die Existenz oder das Ausmaß von Binnenvertreibung, da dies auf eigene poli­tische Versäumnisse und Defizite hindeute. Darüber hinaus gebe es nur wenige und unvollständige Daten zu dem Problem, da die Betroffenen als Bürger des Staates in rechtlicher Hinsicht nicht vom Rest der Bevölkerung zu unterscheiden seien. „Sie bleiben häufig statistisch unsichtbar.“

Obwohl Binnenvertriebene ihren Mitbürgern rechtlich gleichgestellt seien, kämen sie in der Praxis häufig nicht zu ihrem Recht. Vertriebene verfügten oft nicht über die nötigen Dokumente, um ihre Kinder an der Schule anzumelden oder um selbst wählen zu dürfen. Häufig hätten Vertriebene keine guten Einkommensmöglichkeiten und seien traumatisiert.

Das sei alles politischer Sprengstoff, warnt die Autorin: Wenn einer großen Bevölkerungsgruppe über Jahre die Ausübung von Grund- und Bürgerrechten verwehrt werde, entstünden hohe gesellschaftspolitische Kosten und politische Risiken. Entwicklungserfolge einzelner Länder könnten dadurch zunichte gemacht werden.

Viele betroffene Länder fänden keine adäquaten Lösungen für das Problem der Binnenvertreibung, erklärt Koch. Dies wollten die Staaten aber nicht gern zugeben. Entsprechend sensibel sei das Thema häufig für die Regierungen. Sie werteten internationale Unterstützungsangebote deshalb oft als unzulässige Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten.

Dies sollte Geberstaaten aber nicht abschrecken, meint die SWP-Wissenschaftlerin. Das Thema Binnenvertreibung gehöre auf die entwicklungspolitische Agenda.

Akteure könnten sich ihrer Empfehlung nach in folgender Weise einsetzen:

  • Sie sollten durch Maßnahmen wie Armutsbekämpfung, Demokratieförderung oder Klimaanpassungsmaßnahmen die Gründe für Binnenvertreibung reduzieren und so verhindern, dass es überhaupt dazu kommt.
  • Sie sollten lokale Verwaltungen stärken, damit die zuständigen Behörden mehr Kapazitäten für den Ausbau von Infrastruktur und Basisdienstleistungen für Binnenvertriebene bekommen.
  • Sie sollten sich dafür einsetzen, dass die Belange von Binnenvertriebenen systematisch in den nationalen Entwicklungsplänen berücksichtigt werden.

Die Autorin stellt fest, dass sich die rechtliche Stellung von Binnenvertriebenen in den vergangenen 20 Jahren international verbessert habe, die Umsetzung aber nach wie vor unzureichend sei. Es fehle ein zentraler internationaler Akteur, der sich für Binnenflüchtlinge stark macht. Die deutsche Regierung, so die Wissenschaftlerin, sollte dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken und sich für dauerhafte Lösungen einsetzen. Deutschland sollte sich im internationalen Prozess dafür stark machen, das Amt der UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen finanziell und personell besser auszustatten. Politisch wirkungsvoller wäre es jedoch, erneut einen Sonderbeauftragten für Binnenvertriebene zu ernennen, der direkt dem UN-Generalsekretär unterstellt ist.


Quelle
Koch, A., 2020: Auf der Flucht im eigenen Land. SWP-Studie.
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S04_binnenvertreibung.pdf