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Konfliktforschung

Kolumbiens Krieg ­verstehen

In Kolumbien herrscht seit über einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg. Was die Gründe dafür sind, versucht eine Kom­mission in einem Bericht zu klären.
Proteste gegen die Friedensverhandlungen mit der FARC: Die Demonstranten in Bogotá fürchten, dass die Menschenrechtsverletzungen nicht geahndet werden. Demotix/picture-alliance Proteste gegen die Friedensverhandlungen mit der FARC: Die Demonstranten in Bogotá fürchten, dass die Menschenrechtsverletzungen nicht geahndet werden.

Im Februar dieses Jahres veröffent­lichte die „Historische Kommission über den bewaffneten Konflikt und seine Opfer“ (Comisión Histórica del Conflicto Armado y sus Víctimas – CHCV) ihren Bericht mit dem Titel „Beitrag zum Verständnis des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien“. Das Dokument besteht aus zwölf Einzelberichten und zwei Einleitungen.

Die Texte beschäftigen sich mit den „vielfältigen Gründen des Konfliktes, den Hauptfaktoren und Bedingungen, die ihn ermöglicht haben, sowie den schlimmsten Auswirkungen auf die Bevölkerung“. Das Dokument der Historischen Kommission ergänzt verschiedene vorausgegangene Berichte, die versuchten, die Gewaltausbrüche zu erklären. Wichtig war insbesondere die Veröffentlichung ¡Basta Ya! (Es reicht!) des staatlichen Erinnerungszentrums Centro de Memoria Histórica (CMH).

Die CHCV präsentiert einiges Material, das dazu beiträgt, Kolumbiens bewaffneten Konflikt völkerrechtlich zu verstehen. Sie liefert kein grundsätzlich neues Erklärungsmodell, bietet jedoch Untersuchungsansätze für die aufgrund Artikel 66 der Verfassung einzusetzende Wahrheitskommission. Die Regierung und die FARC-Rebellen haben nun in ihren Friedensverhandlungen die Einrichtung einer Wahrheitskommission vereinbart.

Der Kommissionsbericht analysiert die Ursachen und Auswirkungen der Guerillakriminalität und bietet Ansätze zur Durchführung differenzierter strafrechtlicher Ermittlungen, wie sie in dem 2012 geschaffenen „Rechtsrahmen für den Frieden“ (Marco Jurídico para la Paz – MJP)  vorgesehen sind.


Beitrag zu den ­Friedensverhandlungen

Die CHCV ist selbst keine Wahrheitskommission, sie bereitet sie jedoch vor. Ihr Fokus liegt auf der soziopolitischen Analyse des kolumbianischen Konfliktes. Methodisch führt sie Meinungen wichtiger Experten zusammen, funktioniert also eher wie ein runder Tisch und ähnliche Veranstaltungen im Rahmen eines Friedensprozesses. Relevante Fragen für die Kommission sind: Wann begann der Konflikt? Welche Ursachen und Konsequenzen gab es? Und warum dauert er immer noch an?

Seit Ende 2012 führt Kolumbiens Regierung Friedensgespräche mit der FARC in Havanna. Im Grunde ist dieser Bericht – mit Fokus auf die Opfer – ein Beitrag zu diesen Verhandlungen. Der CHCV-Bericht ist nicht das Resultat einer Teamarbeit, wie sie etwa die Wahrheitskommission in Brasilien vorgelegt hat (siehe Ambos und Romero in E+Z/D+C 2015/03, S. 36 ff.). Denn dort gab es eine interdisziplinäre Forschergruppe mit dem ausdrücklichen Mandat, die Menschenrechtsverletzungen während der brasilianischen Militärdiktatur zu untersuchen und die Verantwortlichen zu benennen.


Lesarten des Konfliktes

In Kolumbien gibt es bereits ein Gesetz bezüglich Opfer und Landrückgabe (Gesetz 1448 von 2011); die juristische Aufarbeitung des Konflikts hat also schon begonnen. Der vorliegende Bericht bietet eine Analyse der Gewalt gegen Zivilisten. Auf Basis früherer Berichte des staatlichen Erinnerungszentrums zeigen die neuen Texte des CHCV die Art und Weise, wie die bewaffneten Gruppen die Zivilbevölkerung in Kolumbien zu Opfern des Konflikts machten, etwa durch Vertreibung, Enteignung, Entführung, Erpressung, Rekrutierung von Minderjährigen, Folter, Mord, Massaker, Vergewaltigung, Verschleppung, Antipersonen-Minen, Raub und Attentate.

Trotz der unterschiedlichen Begrifflichkeiten (bewaffneter sozialer Konflikt, Bürgerkrieg, irregulärer Konflikt, Krieg) sind sich die Berichte bezüglich der wesentlichen Charakteristika des Konfliktes einig – hinsichtlich Dauer, Komplexität, Unterbrechungen, regionale Unterschiede und Grausamkeit. Und alle Berichte orientieren sich an den völkerstrafrechtlichen Normen.

In der Diskussion über die Akteure des Konfliktes ist interessant, wie die verschiedenen Autoren die unterschiedlichen (neuen) kriminellen Banden, genannt BACRIM, die zum Teil aus paramilitärischen Gruppen hervorgegangen sind, charakterisieren. Víctor Moncayo verweist auf die Kontinuität des Konfliktes mit neuen Elementen, unter anderem den bestehenden Paramilitarismus in Form der kriminellen Banden. Javier Giraldo spricht von den offensichtlichen Verbindungen zwischen den BACRIM und den Kriegsstrategien des Staates und der Großunternehmen. Für Daniel Pecaut sind die BACRIM schuld an der Verschärfung des Konfliktes. Er sieht sie in der Verantwortung für die andauernden Vertreibungen und Morde an gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten. Pecaut spricht darüber hinaus von der Systematisierung der kriminellen Handlungen mittels institutioneller Unterstützung.

Vicente Torrijos sieht die BACRIM als Erben der privaten Aufstandsbekämpfung. Derselbe Autor unterscheidet zwei Typen der BACRIM, zum einen die aus dem Paramilitarismus hervorgegangenen Gruppen, zum anderen Mutationen aus FARC und BACRIM, die er als FARCRIM bezeichnet und als Weiterführung der FARC mit formalen und dauerhaften Allianzen sieht. Torrijos zeigt, dass die BACRIM eine Art strategische Planung aufweisen.

Diese kriminellen Banden sind also bewaffnete Akteure mit einer Befehlsstruktur, die sie von den Paramilitärs übernommen haben. Mit anderen Worten, sie sind imstande, gewalttätige Aktionen zu planen und mit organisatorischer Disziplin und De-facto-Autorität auszuführen. Das heißt, auch diese neuen Gruppen sind durchaus imstande, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Die BACRIM sind also Teil des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien.


Auswirkungen auf die Übergangsjustiz

Im Bezug auf die Guerilla-Kriminalität weisen viele Beobachter darauf hin, dass die Guerilleros eine altruistische Motiva­tion antreibt. Sie betonen auch die Relevanz des Drogenhandels für das Fortschreiten des Konfliktes. Bei der Analyse der Guerilla-Kriminalität muss man zwischen den soziopolitischen und juristisch-strafrechtlichen Ebenen unterscheiden. Im CHCV-Bericht lassen sich objektive und subjektive Kriterien finden, die für eine strafrechtliche Ermittlung relevant sein könnten.

Die Historische Kommission liefert nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des komplexen bewaffneten Konflikts in Kolumbien, sondern sie macht auch die eingeschränkte und allenfalls unterstützende Rolle des Strafrechts hierbei sichtbar. Mit anderen Worten, die Lösungen in diesem Konflikt sind eher im politischen als im juristischen Bereich zu finden. Es ist nicht möglich, die Gründe der andauernden Gewalt in Kolumbien vollständig zu klären, weil die verschiedenen Sichtweisen zu unterschiedlich sind. Die verschiedenen Texte des Berichts zeigen jedoch anschaulich, welche Faktoren die Gewalt so lange haben andauern lassen. Der Bericht stellt zudem dar, wie die Zivilbevölkerung betroffen ist und welche Grausamkeit der Konflikt mit sich bringt. Er nennt Verantwortliche und gibt Hinweise für die Gestaltung der – noch ausstehenden – Post-Konflikt-Phase und der in Aufbau befindlichen Übergangsjustiz.


Kai Ambos ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen, Direktor des dortigen Centro de Estudios de Derecho Penal y Procesal Penal Latinoamericano (CEDPAL) und Richter am Landgericht Göttingen (derzeit ­abgeordnet an das OLG Braunschweig).
kambos@gwdg.de

John Zuluaga (LL.M.) ist Doktorand der Universität ­Göttingen und wissenschaftlicher Mitarbeiter des CEDPAL.
j.zuluagataborda@stud.uni-goettingen.de


Links:
Comisión Histórica del Conflicto Armado y sus Víctimas:
http://justiciaypazcolombia.com/Informe-Comision-Historica-del
Centro Nacional de Memoria Histórica:
http://www.centrodememoriahistorica.gov.co/
Unidad para la Atención y Reparación Integral a las Víctimas:
http://www.unidadvictimas.gov.co/index.php/en/


 

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