Entwicklung und
Zusammenarbeit

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China

„Die Spitzenleute wollen Probleme lösen“

Chinas Aufstieg war in den vergangenen 30 Jahren phänomenal. Das riesige Land, das früher von Hungersnöten geplagt wurde, ist mittlerweile Exportweltmeister. Dennoch steht die Volksrepublik als Entwicklungsland weiterhin vor großen Herausforderungen.
1979 wurde Shenzhen Sonderwirtschaftszone und ist mittlerweile zu einer Megastadt mit 15 Millionen Menschen angewachsen. Liang Jiahe/picture-alliance 1979 wurde Shenzhen Sonderwirtschaftszone und ist mittlerweile zu einer Megastadt mit 15 Millionen Menschen angewachsen.

China ist weltweit die zweitgrößte Volkswirtschaft und vermutlich nach den USA auch das zweitmächtigste Land der Welt. Dennoch besteht die Regierung in Beijing darauf, China sei ein Entwicklungsland. Stimmt das?

Ich denke, das ist in mehreren Hinsichten richtig. Lassen sie mich drei nennen: 

  • Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen ist China noch vergleichsweise arm. Das Bruttonationaleinkommen (BNE) beträgt in Dollar gerechnet nur 12 Prozent des Vergleichswertes der USA und als Kaufkraft nur 22 Prozent. Aufgrund solch eines Einkommenslevels wurden andere asiatische Länder als Entwicklungsländer bewertet und erhielten entsprechende Darlehen von der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). Als Südkorea 1988 seinen letzten ADB-Standardkredit bekam, betrug die Wirtschaftsleistung in Dollar umgerechnet pro Kopf 20 Prozent des US-Niveaus und in Kaufkraft 31 Prozent. Singapur bekam 1980 seinen letzten ADB-Kredit, als das BNE pro Kopf zum Umtauschkurs 37 Prozent des US-Wertes und 56 Prozent der Kaufkraft betrug.
  • China ringt mit Problemen, die im ökonomischen Erfolg wurzeln. Die Staatspitze will sie lösen. Luftverschmutzung ist ein Beispiel. Chinas Städte sind international für Smog bekannt, wie es ihn in Ihrem Land nicht mehr gibt. Die Regierung strebt zudem ökologische Nachhaltigkeit auch in anderen Bereichen an – mit Blick auf Wasser oder Ackerböden etwa.
  • Die Regierung weiß von den großen sozialen Problemen, Binnenmigration zum Beispiel, oder gesellschaftliche Alterung. Die technische und berufliche Bildung muss zudem dringend erneuert werden. Die Spitzenpolitiker wollen soziale Inklusion fördern und Einkommensunterschiede verringern. Sie wollen den Sozialstaat ausbauen. Was derlei angeht, hat China die wohlhabenden Nationen noch nicht eingeholt – und der Abstand ist noch groß. Die Regierung will von anderen Ländern lernen, und deshalb auch weiter mit der ADB und der Weltbank kooperieren. Es ist bemerkenswert, dass sie mit reichen Ländern und multilateralen Institutionen zusammenarbeiten will. Außerdem will sie Süd-Süd-Kooperation in Sachen Wissen vorantreiben, und auch dabei von der ADB unterstützt werden.  

 

Haben Geberinstitutionen Einfluss auf Chinas Entwicklung gehabt?

Ich glaube schon, und sie haben das auch immer noch. Allerdings interessiert sich Chinas Regierung heute mehr für ihr Know-how weniger für Finanzierung. Sie will lernen. Nach wachstumsstarken Jahrzehnten kann sie zudem in großem Umfang heimisches Geld mobilisieren. Aber sie legt auch Wert darauf, dass wir, wenn wir gemeinsame Projekte angehen, auch bei der Finanzierung einen Teil der Verantwortung schultern. Der Finanzanteil der ADB ist aber bei Projekten in China in der Regel niedriger als in anderen Ländern.

 

China will lernen, aber die Staatsspitze teilt westliche Menschenrechtsvorstellungen nicht. Es gibt keine politische Freiheit.  

Ich schätze Ihre Empfindungen, aber chinesische Regierungsvertreter würden Ihnen antworten, dass sie den sozialen und ökonomischen Rechten ihrer Menschen Priorität vor deren politischen Rechten geben …

... indem sie Gesundheitswesen und Grundschulen bereitstellen …

... ja, aber noch in einem grundsätzlicheren Sinne: Sie haben es geschafft, 1,3 Milliarden Menschen mit Nahrung zu versorgen. Dieser riesige Erfolg hat die Menschen von der täglichen Sorge befreit, ob sie morgen wohl genug zu essen haben werden. Es ist noch nicht lange her, dass Hungersnöte China plagten. Seit Jahrzehnten wird es nun aber ständig besser. 1990 hatte der Welthungerindex für China den Wert 13,6 – aber 2014 nur noch 5,4. Das ist großartig. Dieser Index berücksichtigt, wie viele unternährte Menschen ein Land hat, wie viele Kinder Untergewicht haben oder sogar sterben. Außerdem ist der Index zuverlässig, denn er wird vom International Food Policy Research Institute in Zusammenarbeit mit zwei regierungsunabhängigen Organisationen erstellt. Chinesische Politiker würden Ihnen sagen, dass sicherzustellen, dass alle genug Essen bekommen, der erste Schritt zu den Menschenrechten ist. Aber auch darüberhinaus ist Chinas Fortschritt in der Armutsbekämpfung phänomenal und historisch einmalig

 

Der ökonomische Aufstieg begann in den späten 1970ern. Davor war die Volksrepublik noch bettelarm. Unter Mao Zedong gab es Hungersnöte. Besser wurde es erst, als Deng Xiaoping pragmatisch zu testen begann, wie die Volkswirtschaft entwickelt werden könnte.

Ja, er sagte bekanntlich, solange die Katze Mäuse fange, sei es gleich, ob sie schwarz oder weiß sei. Das hieß, er wollte Ergebnisse sehen und betrachtete spezifische Konzepte der Wirtschaftsentwicklung nicht als ideologische Fragen  ...

… und um Ergebnisse zu bekommen, wurde an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Regelsystemen experimentiert. Die Regierung prüfte, was funktionierte, weitete das dann auf andere Orte aus und setzte Erfolgsmodelle dann schließlich auch landesweit um. Die Sonderwirtschaftszonen waren also Entwicklungslaboratorien. War das der Schlüssel zum Erfolg?

Also ich glaube, dass die wichtigste Entscheidung war, den Privatsektor machen zu lassen, ihm sogar in manchen Bereichen die Führungsrolle zu überlassen. Die Regierung wollte Wohlstand schaffen, um in armen Regionen investieren zu können, und sie konzentrierte sich zunächst auf die Gegenden, in denen die Chancen zur Wohlstandsmehrung gut waren: die Küstenprovinzen. Und als das gelungen war, orientierte sie sich im Jahr 2000 neu und begann den neuentstandenen Wohlstand zu nutzen, um Armut in den westlichen Regionen zu bekämpfen.

 

Im Kern bereitete ein starker Staat das Land auf die Weltmarktintegration vor. Hat Chinas Regierung schlicht nachgemacht, was autoritäre Regime in anderen asiatischen Ländern – Südkorea etwa – zuvor getan hatten?

Das Vorgehen war ähnlich, aber es lässt sich nicht einfach kopieren. Länder unterscheiden sich, was  Rohstoffausstattung oder Humankapital angeht. Zudem verändert sich die Weltwirtschaft ständig. Wer Anschluss an den Weltmarkt sucht, muss klug vorgehen. Es ist nötig, Wettbewerbsvorteile zu erkennen, Chancen zu nutzen und Branchen zu entwickeln, die den Stärken des jeweiligen Landes entsprechen.

 

Privatinvestoren brauchen für profitable Betriebe keine Menschenrechte, aber sie brauchen Eigentumsrechte und sie müssen sich darauf verlassen können, dass Verträge und Gesetze gelten. Was sagen die Privatsektor-Experten der ADB über die Entwicklung hinsichtlich der Rechtssicherheit in China?

Bemerkenswerter lautete das Hauptthema bei der diesjährigen Plenarversammlung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas „Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit“.  Es gibt eindeutig den Trend, das Rechtssystem zu verbessern, um weitere ökonomische und soziale Reformen zu unterstützen.

 

Manche Sozialwissenschaftler sagen, dass die Bürger eines Landes, das ein autoritäres Regime im Weltmarkt wettbewerbsfähig gemacht hat, irgendwann politische Freiheiten fordern – wie das beispielsweise in Südkorea der Fall war. Gibt es Anzeichen dafür in China?

Gesellschaften ändern sich nicht über Nacht, und Einstellungen von Menschen tun das auch nicht. China ist da keine Ausnahme. Wir sehen aber, dass heute Chinesen selbst das schnelle Wachstumsmodell und seine Folgen wie Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung in Frage stellen. Vor allem die obere Mittelschicht tut das. Die Regierung modifiziert angesichts solcher Bedenken ihre Entwicklungsvision. In ähnlichem Sinne entspricht es auch den Wünschen der Öffentlichkeit, dass sie mehr gegen Korruption tut. Wir erleben, dass Chinas Regierung mehr und mehr auf die Sorgen der Menschen eingeht. Wie anderswo geht auch in China wirtschaftliches Empowerment mit politischem Empowerment einher.  

 

Verbraucher in westlichen Länder beunruhigen die harten Arbeitsbedingungen in Sonderwirtschaftszonen und die Ausbeutung von Binnenmigranten, die aus ländlichen Regionen stammen und in Städten neue Chancen zu suchen. Sie sind dort aber vom Gesundheitswesen ausgeschlossen und ihre Kinder können nicht zur Schule gehen. Muss die Regierung sich diesen Problemen nicht stellen?

Keine Frage, China steht vor riesigen Herausforderungen. Wie ich eingangs schon sagte, handelt es sich um ein Entwicklungsland mit großen Problemen. Festzuhalten ist aber, dass die Regierung die Probleme erkennt und nach Wegen sucht, sie anzugehen. Um unkontrollierte Landflucht zu verhindern, musste sie Leute davon abschrecken, ihre Dörfer zu verlassen, indem sie ihnen in den Städten keine Registrierung gewährte, die ihnen Anspruch auf soziale Dienstleistungen gegeben hätte. In Vorbereitung des nächsten Fünfjahresplans gibt es aber schon Vorschläge, die soziale Sicherung und das Bildungswesen im Sinne der Migrantenfamilien zu verbessern – und manche Reformen laufen sogar schon an.  

 

Können andere Länder von China lernen?

Sicherlich, und die Spitzenleute der Volksrepublik wollen ihre Erfahrungen auch anderen weitergeben. Sie sind auf Süd-Süd-Wissenskooperation geradezu erpicht. Offensichtlich ist die chinesische Erfahrung aber einmalig, sodass nicht alles kopierbar ist. Jedes Land muss, wie gesagt, seinen eigenen Entwicklungspfad finden.

 

Ist Vietnam von China inspiriert? Auch dort regiert eine kommunistische Partei, die durch Weltmarktöffnung die Armut deutlich verringert hat.

Ja, es gibt Parallelen, aber auch Unterschiede. Die vietnamesische Politik ist sehr interessant – sie ist geprägt von der Herrschaft einer einzigen Partei, aber auch von einer Art traditioneller südostasiatischer Graswurzeldemokratie. Es finden ausführliche Diskussion darüber statt, wie was gemacht wird. In China wird mehr von oben bestimmt.  

Ein autoritäres Entwicklungsregime ist eine Art wohlmeinende Diktatur. Die meisten Diktatoren sind aber nicht wohlmeinend, und sie entwickeln ihre Länder auch nicht. Spielt es eine Rolle, dass sowohl China als auch Vietnam kollektive Parteispitzen haben und nicht eine Einzelperson die Macht ausübt?

Diese interessante Frage sollten sie einem Politikwissenschaftler stellen, nicht einem ADB-Manager. Was ich sagen kann, ist, dass die Vision und die Entwicklungsorientierung einer Regierung wichtig sind. Wenn der Spitzenmann oder die Spitzenleute ihr Land voranbringen wollen, wenn sie die Erfahrungen anderer Länder beherzigen und wenn sie auf die Integration in das globale System hinarbeiten, wird das Folgen haben.

 

Ayumi Konishi ist der Generaldirektor der Ostasienabteilung der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). In der Vergangenheit hat der das ADB-Büro in Hanoi geleitet.
akonishi@adb.org