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Umweltzerstörung

Landnahme mit Motorsäge

Der Gran Chaco in Argentinien ist der größte subtropische Trockenwald der Erde. Doch er muss zunehmend riesigen Soja-Monokulturen weichen. Die Ureinwohner verlieren ihr Land und ihre Lebensgrundlage.
Ureinwohner des Toba-Volkes in der Provinz Chaco, Nordargentinien. Sheila Mysorekar Ureinwohner des Toba-Volkes in der Provinz Chaco, Nordargentinien.

Es staubt die ganze Zeit. Gelbe, feine, knochentrockene Partikelchen, die der heiße Wind hochwirbelt, setzen sich auf Holz und Blättern ab. Im Sommer hat es 48 Grad im Schatten. Knorrige alte Bäume und dornige Büsche bilden ein hartnäckiges Dickicht. Nur wenige Wege führen durch diesen Urwald. Sie gehören den Giftschlangen und Skorpionen; Menschen kommen nur selten hierher. Dies ist eine der letzten Gegenden der Erde, die die westliche Zivilisation noch nicht erobert hat: El Gran Chaco – der Große Chaco, das Grenzgebiet zwischen Argentinien, Paraguay und Bolivien, die Hälfte davon in Nordargentinien gelegen.

Der Chaco ist nach dem Amazonas das größte zusammenhängende Waldgebiet des südamerikanischen Kontinents, mit unvergleichlicher Biodiversität: Es gibt Kakteen und Johannisbrotbäume, Giftschlangen, Tapire und Yacarés – eine Art Alligatoren –, Ameisenbären, Nandus – die Straußenvögel Südamerikas – und natürlich Pumas.

„Als ich klein war, zogen wir mit der ganzen Familie dahin, wo die Jagdtiere waren. Da fanden wir Nahrung“, erzählt der Wichí-Indianer Valerio Alejo. „Wir jagten mit Boleadoras, Wurfkugeln, oder mit Pfeil und Bogen. Geld gab es nicht.“ Valerio Alejo ist 62 Jahre, doch er erinnert sich an Zeiten, als es hier nicht einmal eine Provinzregierung gab. Auf der argentinischen Landkarte stand damals über der Region Chaco einfach quer das Wort „Indios“ geschrieben – mit anderen Worten: noch nicht erobertes Territorium. Die Besitznahme durch die Weißen ist noch nicht lang her. Auch das hat der Indianer miterlebt: „Damals haben die Weißen uns verfolgt. Die Alten erzählen, wie sie uns mit Hunden gejagt haben, als wären wir wilde Tiere. Aber in den Wald kamen die Weißen nie, denn wenn sie das wagten, wurden sie von unseren Leuten getötet.“

Der Wald war die letzte Zufluchtsstätte für die Ureinwohner. Dreieinhalb Millionen Hektar in der Provinz Chaco, von den Indios El Impenetrable, der Undurchdringliche, genannt. Ein urzeitliches Dickicht aus mächtigen Bäumen und Dornen und die Heimat von vier Indianervölkern: Toba – die sich Qom nennen –, Wichí, Piligá und Moqoit.


Gewaltsames Vorgehen

Der Undurchdringliche ist der größte intakte subtro­pischer Trockenwald der Erde. Doch er ist hart von Soja- und Baumwollpflanzern umkämpft, die die Bäume ­fällen wollen, um Anbauflächen zu gewinnen. Sechsmal schneller als der Amazonasdschungel wird der Chaco-Wald gerodet. Die größten Nutznießer sind Holzfirmen – 500 Sorten wertvolles Hartholz wachsen hier.
 
In jüngster Zeit hat vor allem der Sojaanbau die Abholzung im Chaco beschleunigt. 1996 führte die Firma Monsanto genetisch veränderte Sojabohnen in Argentinien ein; diese werden nun weitflächig für den Export als Tierfutter angebaut. 95 Prozent der argentinischen Sojafelder bestehen aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Das Land produziert die Hälfte des weltweit konsumierten Sojamehls, ebenso wie Sojaöl für Biodiesel. Die Provinzregierung erlässt den Produzenten erhebliche Steuern als „Förderung der Industrialisierung“.

Die Sojaunternehmen verdrängen nicht nur den Wald, sondern auch anderen Ackerbau. „Argentinien hat weltweit die höchste Pro-Kopf-Produktion von Nahrungsmitteln, ungefähr 3500 Kilo pro Jahr“, schreibt die Journalistin Marie-Monique Robin. „Das Agrobusiness arbeitet mit systematischer Gewalt gegen die länd­lichen Gemeinden und Ureinwohner. Zudem vergiftet der intensive Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln die Wasserquellen der angrenzenden Orte.“

Die indigenen Völker werden von ihrem Land verdrängt, so etwa die Toba. Sie sind Waldnomaden, die von Tapir- und Hirschjagd sowie von Waldpflanzen leben. Viele haben erst seit den 1970er Jahren Kontakt mit Weißen; die Frauen sprechen in der Regel kein Spanisch. Das Volk nennt sich ‚Qom‘; etwa 22 000 gibt es noch von ihnen. Da das bisherige Gemeinschaftsland immer mehr in Privatbesitz übergeht, wird es für die Indios immer schwieriger, ihre herkömmliche Lebensweise beizubehalten. Statt Wald ziehen sich endlose Sojafelder bis zum Horizont, auf denen kein Tapir oder Straußenvogel mehr zu finden ist. Jagen ist illegal geworden und wird mit Gefängnis bestraft. Hunger breitet sich unter den Indianern aus.

Nun versuchen die Ureinwohner, ihr Land per Besitztitel als Gemeinschaftsland vor den Holz- und Sojafirmen zu schützen. Ein schwieriges Unterfangen, sagt Victor Gómez, ein 48-jähriger Toba-Indianer: „Die Regierung ist hart, wir müssen immer wieder protestieren und Forderungen stellen, damit wir unser Land auch wirklich bekommen. Es ist ein ständiger Kampf.“

Wie die meisten Toba ist Victor Gómez längst dazu übergegangen, Gemüse und Baumwolle anzubauen und ein paar Hühner und Ziegen zu halten. Aber selbst für den Ackerbau haben die Indios kaum ausreichend Fläche; und wenn sie Land haben, dann wird es wegen fehlender Zäune einfach von den Weißen überrannt.

Die Nichtregierungsorganisation INCUPO (Instituto de Cultura Popular), die von Misereor unterstützt wird, hat verschiedene Projekte im Chaco initiiert. Eines davon besteht darin, Zäune zu bauen, damit die Ureinwohner die wenigen Hektar, die ihnen geblieben sind, ungestört nutzen können.
 
Seit 2007 existiert ein Gesetz, das den Holzschlag in den Urwäldern des Chacos regulieren und kontrollieren soll. Doch es wird weiterhin wild abgeholzt, sogar mehr als früher, sagt die Nichtregierungsor­ganisation REDAF (Red Agroforestal Chaco), ein Zusammenschluss von Umweltschutzgruppen der Provinz. Laut der Stiftung Fundación Avina werden im Durchschnitt 1130 Hektar pro Tag abgeholzt – das entspricht 2300 Fußballfeldern.

Außerdem warnt REDAF vor einem neuen Problem: Die Regierung der Provinz Chaco hat eine Gesetzesvorlage vorbereitet, die die Abholzung für die Suche nach Erdöl erlauben würde. Für ein solches Vorhaben müssten nach nationalen wie auch internationalen Vorgaben die Ureinwohner um Erlaubnis gefragt werden. Gängige Praxis ist es jedoch, dazu keinerlei öffentliche Anhörungen zu gewähren. In der Region sind zudem bis zum Jahr 2015 diverse Infrastruktur-Projekte geplant, wie Straßen oder Gaspipelines bis hin zu Atomkraftwerken.


Unterirdische Wasserreserven

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) protestieren gegen die Zerstörung des Gran Chaco. Laut ENDEPA, der nationalen Ureinwohner-Pastorale, geht es bei der Abholzung jedoch nur in zweiter Linie um das Holz: „Die Indios in Argentinien stehen multinationalen Unternehmen gegenüber, die massiv Land kaufen, sowohl in Patagonien wie auch im Chaco. Viele dieser Unternehmen sind Scheinfirmen, die in Steuerparadiesen eine Briefkastenadresse haben. Soweit wir die Motive dieser Firmen durchschauen können, liegt ihr Interesse an den natürlichen Ressourcen des Landes. Wir sind ernsthaft besorgt, weil große Wasserreser­vate – auf oder unter der Erdoberfläche – von diesen Unternehmen besetzt werden.“

Unter dem trockenen Dornenwald befindet sich nämlich ein riesiger unterirdischer Wasserspeicher: Ein Teil des Gran Chaco gehört zum System des Aquifers Guaraní, das sich auch unter anderen Ländern befindet, wie Brasilien, Paraguay und Bolivien. Man nimmt an, dass das Aquifer Guaraní die zweitgrößte Süßwasserreserve der Welt ist.

 

Das Aquifer Guaraní

Ein Aquifer ist in der Hydro­geologie ein Grundwasserleiter, das heißt, eine unterirdische geologische Formation, die Süßwasser enthält, manchmal sehr tief in der Erde. Die größte Süßwasserreserve des Planeten ist das Ewige Eis der Arktis und Antarktis. Die zweitgrößte Reserve ist vermutlich das Aquifer Guaraní – Wasserreserven, die im Gran Chaco ober- und unterirdisch existieren und sich über mehrere Länder erstrecken.

Das Aquifer Guaraní ist so riesig, dass bisher seine Grenzen noch nicht ermittelt werden konnten. Anscheinend erstreckt es sich vom Gran Chaco nach Osten,
bis zu den Iguazú-Wasserfällen, und weiter unter das südliche Brasilien, wo Mega-Städte wie São Paulo daraus ihr Trinkwasser abpumpen. In Argentinien zieht sich dieses Aquifer Richtung Süden, unter dem weiten Grasland der Pampa, wo sich das Grundwasser mit dem verzweigten Flusssystem des Paraná vereinigt. Doch es reicht noch weiter – bis zu dem Ewigen Eis in Patagonien, der Südspitze Argentiniens. Damit wird das Land für langfristig denkende Wasserspekulanten sehr interessant, nämlich als Trinkwasser­becken. Massive Landkäufe durch ausländische Firmen im Bereich der großen patagonischen Seen und eben auch im Gran Chaco deuten auf derartige Planungen hin.



Widerstand der Ureinwohner

Seit 2008 sind viele Ureinwohner im „Movimiento Nacional Campesino Indígena“ zusammengeschlossen, der nationalen Bewegung der Indigenen und Bauern. Auch Carlos Rubén gehört dazu. Er ist Wichí-Indianer; sein indianischer Name lautet Chupí. Mit Mitte 30 geht er noch in die Abendschule – als Kind verließ er, wie viele Gleichaltrige seines Volkes, nach wenigen Jahren die Schule. Er konnte die nach Rassen getrennten Klassen der Schule nicht ertragen, wo es streng verboten war, Wichí zu sprechen. „Damals herrschte ein totaler Rassismus; es gab sogar getrennte Trinkbecher für indianische und weiße Kinder. Das gibt’s zwar heute nicht mehr. Aber wir wissen immer noch zu wenig über unsere Rechte. Deswegen machen die Weißen mit uns, was sie wollen.“

Einmal im Monat kommt ein Anwalt zu den Wichí. Pedro Fabián Troncoso ist der juristische Berater von ENDEPA. Er löst Territoriumsprobleme für die Wichí und organisiert Workshops über Rechtsfragen. Unter großen Bäumen versammelt sich fast das ganze Dorf. Der Anwalt erklärt beispielsweise, wie man bei der Polizei eine Anzeige macht, wenn Fremde im Reservat wildern, oder wie die Wichí Besitztitel für ihr Land erhalten können. Laut Troncoso wendet die Regierung die Umweltschutzgesetze nicht an: „Die Provinz hat zwar an Computer angeschlossene Radare, wo man sofort sehen kann, wo ein Baum geschlagen wird. Aber niemand kümmert sich darum – weder die Wald-, noch die Transportbehörde, die die Lastwagen mit illegalem Holz konfiszieren könnte.“

Die Politiker versuchen, die Indios zu besänf­tigen. Verschiedene politische Parteien versprechen den Führern der Ureinwohner Zuwendungen und Sozialhilfe. Doch die meisten lassen sich nicht bestechen. 60 000 Familien im nordöstlichen Chaco kämpfen weiterhin um ihr Land. Sie wollen ihr Leben in Harmonie mit der Natur in bisheriger Weise weiterführen.


Julio César Bernio ist Lehrer für zweisprachige und interkulturelle Pädagogik in der Provinz Chaco, Argentinien.
juliobernio@yahoo.com.ar