Migrantinnen
Höhen und Tiefen eines Einwandererlebens in Deutschland
Mich hat eine verrückte Zufallsgeschichte 1989 nach Deutschland verschlagen. Als ich in Senegals Hauptstadt Dakar studiert habe, traf ich eine Frau, die in Kontakt zur evangelischen Kirche in Deutschland stand. Diese hat mich auf die Idee gebracht, nach Deutschland zu gehen. Sie wollte mir eine Familie vermitteln, die junge Studentinnen aus Entwicklungsländern aufnimmt. Das hat sich dann aber doch zerschlagen, und ich stand kurz vor der geplante Abreise ohne Plan da. Ich entschloss mich, dennoch nach Deutschland zu gehen – mit einem Touristenvisum. Ich hatte zum Glück einen Cousin, der in Frankfurt studierte, und der bot mir an, dass ich zu ihm kommen könne. Also machte ich mich auf in ein unbekanntes Abenteuer.
Ich habe diesen Schritt nie bereut. Ich lernte schnell an einer Sprachschule Deutsch, weil ich studieren wollte. Ich fing dann auch an, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, habe aber bald zu Soziologie, Politik und Pädagogik gewechselt. Ich habe mit verschiedensten Jobs wie Putzen und Babysitting für meinen Lebensunterhalt gesorgt. Mein Cousin und ich haben im Studentenwohnheim in Frankfurt in einem Zimmer gelebt und das studentische Leben genossen.
Aufgewachsen bin ich rund 500 Kilometer von meinen Eltern entfernt bei meiner Tante in Podor an der Grenze zu Mauretanien. Meine Tante war verwitwet und hatte keine Kinder, und so wurde ich ihr versprochen. Bei uns ist es undenkbar, dass jemand alleine leben muss, und so kam ich mit 18 Monaten zu ihr. Das ist bei uns nicht ungewöhnlich. Kinder sind bei uns kein individueller Besitz der Eltern, sondern sie „gehören“ der Gemeinschaft, der Familie. Heute in Dakar in der neuen Generation ist das vielleicht nicht mehr so. Ich trage auch die Vornamen meiner Tante „Mariame Racine“. Meine Tante, die leider schon verstorben ist, war quasi meine Mutter.
In Deutschland ist es immer gut für mich gelaufen. Im Studium fragte mich eine Kommilitonin, ob ich Lust hätte, bei Afrika-Seminaren der Gewerkschaftsjugend Oberursel mitzuwirken. Das habe ich gemacht, und weil ich dann Mitglied im DGB war, habe ich ein Stipendium von der Hans-Böckler-Stiftung bekommen. So konnte ich mein ganzes Studium bis zur Promotion finanzieren.
Ich habe mich nie komisch als schwarze Frau an der Uni gefühlt, da waren immer Studenten aus anderen, auch afrikanischen Ländern. Bei der Gewerkschaftsjugend war ich die einzige schwarze Frau, aber ich habe mich immer gut aufgenommen gefühlt.
Ich glaube, ich habe eine Fähigkeit, die Sachen so anzunehmen, wie sie sind. Es liegt scheinbar eine Offenheit in meiner Natur, die mir das leicht ermöglicht. Ich habe gemerkt, es gibt Deutsche, die wollen mit schwarzen Menschen nichts zu tun haben. Die gehen auf Distanz, und das habe ich akzeptiert. Die, die zu dir kommen, die sind offen, und mit denen bin ich immer gut ausgekommen. Ich mag die deutschen Freundschaften, die sind echt.
Die Integration kam sozusagen aus mir heraus, ich brauchte keinen Kurs. 2018 habe ich sogar den Integrationspreis der Stadt Frankfurt bekommen. Gleichzeitig habe ich immer Kontakt mit dem Senegal gehalten, mit meiner Familie und Freunden. Für mich sind beide Länder meine Heimat. Ich habe immer Heimweh nach Deutschland gehabt, wenn ich im Senegal war.
In Deutschland habe ich meinen Mann, der ursprünglich aus Mali kommt, vor vielen Jahren durch einen Deutschkurs kennengelernt. Meine beiden Söhne sind hier geboren. Wir sprechen drei, vier Sprachen zu Hause – Deutsch und Französisch sowie unsere afrikanischen Muttersprachen.
Ich bin glücklich in Deutschland. Ich habe mich sogar eingebürgert. Ich konnte immer die Arbeit machen, die ich wollte. Nach dem Studium habe ich mich als Fachkraft bei Brot für die Welt beworben und habe eine Stelle im Senegal gekriegt. Dort bin ich mit meiner Familie hin, und nach sechs Jahren sind wir wieder nach Deutschland zurück.
Natürlich gibt es auch weniger schöne Dinge wie Rassismus, aber davon lasse ich mein Leben nicht bestimmen. Ich finde, die Leute sind heute offener. Damals, als ich nach Deutschland kam, gab es noch viel mehr Rassismus wie die Ausschreitungen und Anschläge gegen Ausländer in Rostock oder Solingen. Ich kapiere die Fremdenfeindlichkeit der Ostdeutschen nicht. Sie haben zu DDR-Zeiten Tunnel gegraben, um in den Westen zu kommen und ihre Träume zu leben. Und heute verstehen sie nicht, dass es auch woanders Leute gibt, die Träume haben und weggehen möchten.
Mariame Racine Sow ist Sozialberaterin in einer Flüchtlingsunterkunft des Arbeiter-Samariterbunds in Frankfurt. Sie engagiert sich zudem ehrenamtlich in dem Verein Forward For Women gegen weibliche Genitalbeschneidung.
https://forwardforwomen.org/