Psychische Krankheiten

Die Ketten abnehmen

Die Hilfsorganisation Yenfaabima bietet psychiatrische Betreuung in Burkina Faso an. Lilith Kugler hat darüber einen Film gedreht, der aufzeigt, wie eine andere Interpretation von psychischen Krankheiten und Epilepsie das Leben von Betroffenen massiv verändert.
Pfarrer Tankpari Guitanga (links) mit einem der psychisch Kranken, die er betreut. Kugler Film Pfarrer Tankpari Guitanga (links) mit einem der psychisch Kranken, die er betreut.

„Wer von Ihnen trägt Ketten?“, fragt Pfarrer Tankpari Guitanga die Menschen, die zu seiner mobilen Sprechstunde in Piéla im Nordosten von Burkina Faso gekommen sind. Einige treten vor oder werden von Angehörigen aus dem Wartebereich geführt. Sie tragen dicke rostige Ketten an den Hand- oder Fußgelenken, mit Vorhängeschlössern verschlossen. Guitanga und seine Helfer sägen die Ketten mit einer Säge auf – ein buchstäblicher Akt der Befreiung, oft nach vielen Jahren der Gefangenschaft. Festgehalten ist er in dem Dokumentarfilm „Die Krankheit der Dämonen“.

Darin zeigt die deutsche Filmemacherin Lilith Kugler, welches Schicksal Menschen mit psychischen Krankheiten oder Epilepsie in Burkina Faso erleiden. In dem westafrikanischen Land kommen neun Psychiater und rund 100 psychiatrisch ausgebildete Krankenpfleger auf 17 Millionen Einwohner. Alle arbeiten in den größeren Städten. Auf dem Land kümmern sich Angehörige selbst um die Betroffenen oder geben sie in Gebetszentren oder traditionellen Zentren für psychisch Kranke ab.

Psychische Leiden und Epilepsie gelten in Burkina Faso als von Dämonen verursacht (siehe auch Samir Abi in E+Z/D+C e-Paper 2019/06, Schwerpunkt), unheilbar und obendrein ansteckend. Daher fürchtet man die Betroffenen – und sperrt sie weg, schlägt sie, kettet sie an und überlässt sie ansonsten sich selbst. Auch in den Zentren. Ein Pfarrer, der ein Gebetszentrum leitet, begründet die menschenverachtenden Maßnahmen im Film mit den Worten: „Ohne Ketten laufen sie weg oder bringen sich um.“ Medikamente werden in der Regel abgelehnt. Der Pfarrer sagt auch: „Man muss nur an Gott glauben, alles andere ist unwichtig.“

Im schlimmsten Fall, sagt Guitanga bei einer Podiumsdiskussion nach der Deutschlandpremiere des Films im September, würden psychisch Kranke sogar umgebracht. Gründe dafür seien Angst und Unkenntnis: „Die falsche Interpretation der Krankheit ist das, was tötet.“ Guitanga hat die Hilfsorganisation Yenfaabima gegründet, um über psychische und neurologische Erkrankungen aufzuklären und Betroffenen zu helfen. Am Anfang gab es monatliche psychiatrische Sprechstunden in Piéla, betreut neben Guitanga von dem psychiatrischen Pfleger Timothée Tindano. Die Termine wurden über das Radio bekanntgegeben, der Zulauf war riesig. Seit 2017 gibt es ein Behandlungsgebäude, seit März dieses Jahres arbeitet Tindano Vollzeit für Yenfaabima. Die Arbeit wird aus Spenden finanziert, die zum großen Teil aus Deutschland kommen.

Die Behandlung basiert auf der Gabe von Medikamenten. Tindano stellt die Diagnosen und verschreibt die Arznei. Yenfaabima-Mitarbeiter sorgen außerdem dafür, dass die Medikamente regelmäßig eingenommen werden, und beraten die Patienten und ihre Familien. Allerdings wird im Film deutlich, dass in den örtlichen Apotheken lediglich zwei Mittel zur Behandlung von Psychosen und zur Therapie epileptischer Anfälle erhältlich sind. Das ist ein Problem, das Guitanga zu beheben versucht: „Wir wollen den Import weiterer Medikamente erreichen und sind dabei auf einem guten Weg.“

Heinz Weiß, Chefarzt der Abteilung psychosomatische Medizin am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, weist bei der Podiumsdiskussion darauf hin, dass es mit der Verordnung von Medikamenten allein nicht getan ist: „Man muss mit den Patienten und ihren Familien ins Gespräch kommen.“ Dieses Gespräch sucht Yenfaabima, und die Reintegration der Kranken in die Gemeinschaft ist eines ihrer wichtigsten Ziele. Weiß zufolge sollte die Arbeit zudem in das örtliche Gesundheitssystem eingebunden werden. Mehr psychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern zu schaffen, sieht er hingegen nicht als Lösung an. Denn: „Die Menschen dort unterzubringen ist wenig besser, als sie in den nächsten Wald zu schicken.“

„Die Krankheit der Dämonen“ wird zur Aufklärungsarbeit in Burkina Faso und der Elfenbeinküste eingesetzt. „Der Film ist dort angekommen, wo er herkommt“, sagt Filmemacherin Kugler. „Er schafft Anlass, über das Thema zu reden, und gibt Hoffnung.“


Links

Freundeskreis Yenfaabima:
http://www.yenfaabima.de/

Dokumentarfilm „Die Krankheit der Dämonen“:
http://la-maladie-du-demon.com/