Grundsicherung

Rechte kennen und einfordern

Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung genießen keine umfassende soziale Sicherung. Dabei ist klar, dass einschlägige Institutionen helfen, Krisen schneller zu überwinden.

Von Floreana Miesen

Sudha Pillai will internationale Unterstützung mobilisieren. Sie ist Mitglied der Social Protection Floor Advisory Group der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die zu den UN gehört. Aus Sicht der Advisory Group gibt es vier Mindestanforderungen für sozialen Basisschutz:
– Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung, einschließlich Mutterschutz,
– Grundsicherheit für Kinder (Ernährung, Bildung, Pflege und andere notwendige Güter und Dienstleistungen),
– Grundeinkommenssicherheit für Personen im erwerbsfähigen Alter in Fällen von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft und Invalidität auch für Menschen, die wenig Geld verdienen, und
– Grundeinkommenssicherheit für ältere Menschen (Rente).

Relevanz des informellen Sektors

Anders als früher betont die ILO heute, dass auch im informellen Sektor sozialer Schutz nötig ist. Traditionell hat sie sich vor allem um reguläre Beschäftigungsverhältnisse gekümmert. Das entspricht auch ihrer Mitgliedschaft, die aus Regierungen, Gewerkschaften und förmlich angemeldeten Unternehmen besteht. Der informelle Sektor wurde lange ignoriert, obwohl er Wirtschaft und Lebenswirklichkeit in vielen Ländern prägt. Pillai drängt deshalb nun darauf, soziale Sicherung so zu konzipieren, dass sie auch für prekär beschäftigte Menschen greift.

Länder mit guten sozialen Sicherungssystemen kommen besser mit Krisen klar als andere, sagt Pillai. Aus ihrer Sicht erkennen Schwellenländer wie China die stabilisierende Wirkung. Entsprechend arbeite das chinesische Arbeitsministerium zurzeit an einer Rentenversicherung für die Landbevölkerung sowie an Projekten im sozialen Gesundheitsschutz. Auch in Indien sei das Bewusstsein und die Akzeptanz für die Dringlichkeit des sozialen Schutzes hoch, urteilt Pillai.

In anderen Ländern stockt der Ausbau der sozialen Sicherung jedoch. Die Regierungen der am wenigsten entwickelten Länder sagen, sie seien überfordert. In Mosambik finanziert der Staat bisher etwa 70 Prozent des sozialen ­Sicherungsprogramms. Den Rest tragen internationale Geber wie die Regierungen von ­Industrieländern und multilaterale Organisationen wie UNICEF. Selbst das läuft nicht problemlos. „Wir brauchen geschultes Personal“, sagt Nelson Rondinho von Ministerium für Frauen und Soziales.

Die internationale Gebergemeinschaft schreckt grundsätzlich davor zurück, Sozialpolitik in armen Ländern zu finanzieren. Die Regierungen reicher Länder wollen mit ihrer Entwicklungshilfe Not nicht lindern, sondern verhindern. Sie wollen kein Umverteilungssystem schaffen, dass ihre Bürger zu Lasten armer Menschen in fremden Ländern zur Kasse bittet, die wohlhabenden und reichen Schichten dort aber verschont.

Nicholas Taylor von der Generaldirektion Entwicklungszusammenarbeit der EU sagt denn auch, dass soziale Sicherung nicht mit Gebergeld finanziert werden sollte. Die Mittel dürften nicht schnell aufgezehrt werden. Wichtig sei, dass auch nach Ablauf der Geberhilfe „die Finanzierung sichergestellt werden muss“. Aus seiner Sicht sollte die ILO beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme technische Unterstützung leisten, damit ein Land sich auf seine eigenen Ressourcen stützen könne.

Eigene Mittel

In dasselbe Horn stößt auch Elliot Harris vom Internationalen Währungsfonds: „Viele Länder setzen ihre Ressourcen in einem viel geringeren Umfang ein, als sie eigentlich könnten.“ Geber müssten den Ländern helfen, Probleme wie Korruption und Ineffizienz zu bekämpfen.

Helmut Schwarzer von der ILO bemängelt zudem, dass viele Menschen soziale Sicherungssysteme nicht in Anspruch nähmen. Als Gründe nannte er bei einer von Friedrich-Ebert-Stiftung und ILO im September in Berlin veranstalteten Konferenz Scham, mangelnde Information oder ungünstige geographische Lage. Laut Christina Behrendt von Social Security Council der ILO ist die Aufklärung deshalb ein unabdingbares Instrument zum Erfolg. Menschen müssten ihre Rechte kennen und diese einfordern können.

Floreana Miesen