Interkultureller Austausch
„Intelligente lebendige Systeme“
[ Interview mit Roland Mangold ]
Entwicklungspolitische Akteure ringen mit der Herausforderung, die Wirkung ihrer Aktivitäten präzise zu messen. Das Problem scheint mir zu sein, dass Eingriffe in komplexe Systeme immer auch ungewollte Nebenwirkungen haben, so dass oft nicht einmal die intendierten Resultate erreicht werden. Wie gehen Evaluierer mit diesem Problem um?
Mir scheint schon Ihre Frage problematisch. Sie ist vom Denken geprägt, das im Management von Industrieunternehmen üblich ist. Betriebswirtschaftlich ist es sinnvoll, zu fragen: Was löse ich mit welchem Handeln aus? Was muss ich bedenken, um ein bestimmtes Resultat zu erzielen? Mit solchen Überlegungen können sie eine Fahrradproduktion organisieren, aber entwicklungsrelevante Wirkung in einer armen Gesellschaft entfalten Sie so nicht. Wir vergessen oft, dass wir es in der Entwicklungspolitik mit lebendigen Systemen zu tun haben, und dass es darum geht, deren – von Natur aus bereits vorhandene - Lernfähigkeit zu nutzen und zu steigern.
Aber die Entwicklungspolitik setzt doch schon immer auf Aus- und Weiterbildung.
Schon, aber bisher mit wechselndem Erfolg. In der Vergangenheit zumindest hat ein verschultes Denken vorgeherrscht, so wir wie das in Europa auch gelehrt bekommen. Die dominierende Vorstellung ist, dass Ausbilder Auszubildende belehren, und die Ausgebildeten dann das machen, was ihnen beigebracht wurde. In der Fahrradproduktion können Sie so Erfolg haben. Aber wenn sie erreichen wollen, dass ein kommunales Wasserwerk in einer afrikanischen Stadt funktioniert, kommen sie so nicht weiter. Das ist, als ob sie mit einem Hammer auf Schrauben einschlagen, und uns dann wundern, dass die Dinger nicht ins Holz kommen. Wenn Sie das falsche Werkzeug verwenden, stimmen die Ergebnisse nicht.
Um im Bild zu bleiben: Was wäre denn der Schraubenzieher, der das kommunale Wasserwerk voranbringt?
Um das richtige Werkzeug zu wählen, müssen Sie zum einen wissen, was erreicht werden soll. Und wenn ein lebendiges System lernen soll, dann müssen Sie auch wissen, wie lebendige Systeme überhaupt lernen. Das läuft nicht über Theorie-Input, sondern über praktisches Tun. Lebendige Systeme agieren und beobachten ihre Umwelt. Wenn sie merken, dass ihr Agieren in der Umwelt etwas ändert, lernen sie daraus. Wenn es gelingt, Menschen, die einem Wasserwerk arbeiten, dazu zu bringen, die Folgen ihres Handelns zu beobachten und zu interpretieren, wird diese Organisation lernen – und zwar ziemlich effizient und nachhaltig. Da kommen wir aber kaum hin, wenn wir von vornherein alle Lernziele vorgeben. Intelligente lebendige Systeme verarbeiten selbst ihre Erfahrungen zu Wissen.
Das heißt, entwicklungspolitische Praxis ist immer auch ein Stück Entdeckungsreise?
Unbedingt. Die Vorstellung, dass ein Profi immer genau weiß, was er tut, passt in die Fließbandproduktion, wo ein Betrieb linear, rational und hierarchisch organisiert werden kann. In der Entwicklungszusammenarbeit geht es aber anders zu, sie lässt sich nicht handhaben wie die Personalentwicklung in einem Unternehmen. Entwicklungshelfer haben mit Individuen aus völlig verschiedenen Kulturen zu tun, mit Gemeinschaften, politischen Organisationen und Systemen, Weltanschauungen und Traditionen. Sie bewegen sich grundsätzlich in einer fremden Welt. Das muss auch so sein. Denn wenn die Gesellschaften in den Entwicklungsländern nicht fremd wären, sondern so funktionieren würden, wie das die Heimatländer der Entwicklungshelfer tun, gäbe es gar keine Entwicklungshelfer. Das ganze Politikfeld wäre nie erfunden worden. Professionalitätsvorstellungen aus der Wirtschaft lassen sich nicht einfach auf die Entwicklungspolitik übertragen.
Was wäre dann richtig verstandene Professionalität?
Wesentlich ist zu verstehen, dass es nicht darum geht zu zeigen, was wir alles wissen und können. Es kommt stattdessen darauf an, andere bei der Wahrnehmung zu unterstützen, sie dazu zu bringen, selbst zu beobachten, welches Handeln welche Wirkung hat. Und wenn es Ihnen dann auch noch gelingt, gemeinsame Zielvorstellungen und Absichten mit den Partnern vorort zu entwickeln, dann gibt es schnell nachhaltige Ergebnisse.
Wie beurteilen Sie das Engagement von InWEnt in dieser Hinsicht?
Mich beeindruckt, dass InWEnt – wie auch einige andere entwicklungspolitische Institutionen und Initiativen – sich auf das Thema eingelassen hat. Das Unternehmen hat verstanden, dass es selbst eine lernende Organisation sein muss, um die Wirkungsorientierung tatsächlich leben zu können. Daraus folgt auch, dass es sich von relativ statischen, schwerfälligen Strukturen lösen muss. Ich finde, InWEnt ist da auf einem guten Weg. Dazu hat sicherlich die internationale Debatte über die Wirkung der Entwicklungspolitik beigetragen.