Arbeitsbedingungen

Eingeschränkte ­Gewerkschaftsfreiheit

Marianne Scholte beschreibt in E+Z/D+C 2012/12 die Entwicklung der Textil- und Bekleidungsindustrie in Bangladesch als grundsätzlich positiv. Zudem unterstellt sie, die Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign – CCC) rufe zum Boykott deutscher Unternehmen auf, die in Bangladesch produzieren lassen. Die CCC widerspricht ihrer Darstellung – und fordert von der Bundesregierung entschlossenen Einsatz für Menschen- und Arbeitnehmerrechte in aller Welt.
Nach dem Brand bei Tazreen in Dhaka im November. picture-alliance/dpa Nach dem Brand bei Tazreen in Dhaka im November.

Frau Scholtes Grundthese der positiven Entwicklung der Arbeitsbedingungen entbehrt – mit Ausnahme der Abnahme von ausbeuterischer Kinderarbeit – jeglicher empirischer Grundlage. Brände in mehreren Textilfabriken – zuletzt in der Tazreen Fabrik mit 124 Toten am 24. November 2012 – sprechen für sich. Seit 2005 sind laut der Advocacy Organisation International Labour Rights Forum (ILRF) rund 700 Beschäftigte bei Bränden in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch ums Leben gekommen.

Darüber hinaus hat die CCC in vielen Studien (zum Beispiel Alam et al. 2012, CCC 2012, Burckhardt 2011, CCC 2009, Burckhardt 2008) belegt, dass in Bangladesch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschen. Typisch sind Niedrigstlöhne, Arbeitszeiten von zehn bis 14 Stun­den an sechs bis sieben Tagen pro Woche, erzwungene Überstunden, stark eingeschränkte Gewerkschaftsfreiheit und Diskriminierung von Frauen. Daran hat sich seit den 1980er Jahren leider nichts geändert.

Der Mindestlohn in Bangladesch liegt bei 3000 Taka im Monat (rund 28 Euro) und reicht auch in Bangladesch nicht zur Befriedigung der Grundbedürfnisse aus, wie Frau Scholte korrekt ausführt. Der Mindestlohn wurde zuletzt 2010 nach harten Kämpfen der Beschäftigten angehoben, doch der Anstieg der Nahrungsmittelpreise hat die Erhöhung längst aufgefressen. Daher fordern Gewerkschaften eine weitere Anhebung – wobei anzumerken ist, dass weniger als ein Prozent der Arbeiterinnen organisiert ist. Anstatt darauf einzugehen, zitiert Frau Scholte einen Wissenschaftler von einem gewerkschaftsnahen Institut, der betont, Haushaltshilfen gehe es noch schlechter. Wir empfinden es als eine unzulässige Relativierung von Menschenrechten, das Leid der einen so gegen das Leid der anderen auszuspielen.

Auch wenn es in Einzelfällen, in Vorzeigefabriken direkter Zulieferer, zu Verbesserungen gekommen ist und sich dadurch für Tausende Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert haben, gilt dies keineswegs für die vielen Millionen Menschen in der gesamten Branche. Was besser geworden ist, ist allenfalls das gesellschaftliche Bewusstsein in Europa für Arbeitnehmerrechte (Barrientos/Smith 2006).

Frau Scholte unterstellt, die CCC rufe zum Boykott von Bekleidungswaren aus Bangladesch auf. Das ist falsch. Die CCC weist immer wieder darauf hin, dass Boykott die Probleme nicht löst. Das steht auch ausdrücklich in der von Frau Scholte zitierten, aber anscheinend nicht sorgfältig gelesenen Publikation „Im Visier: Discounter“ (CCC 2012). Auch wir sind der Meinung, dass Boykotte die Näherinnen besonders hart treffen würden, weil ausbleibende Aufträge für sie den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Die CCC ruft deshalb nicht zum Boykott, sondern zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf.


Die CCC teilt die Auffassung, mit der Frau Scholte Uddin Ahmed vom Bangladesh Institute of Labour Studies zitiert: Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen vor Ort sollten unterstützt werden. Deshalb arbeitet die CCC auch seit Jahren mit ihnen zusammen. Die CCC war beispielsweise an der Aushandlung eines Brandschutzabkommens im Frühjahr 2012 beteiligt, mit dem Arbeitnehmerorganisationen und einzelne Firmen das Feuerrisiko endlich angehen wollen.

Das Abkommen tritt allerdings nur in Kraft, wenn vier große multinationale Unternehmen beitreten – diese Bedingung stellte PVH, die Eigentümergesellschaft von Tommy Hilfiger und Calvin Klein. Außer PVH hat bisher aber nur Tchibo unterzeichnet. Die CCC ruft deshalb alle einschlägig aktiven Unternehmen auf, dem Brandschutzabkommen beizutreten. Es wäre gut, wenn auch Unternehmerverbände in Bangladesch mitmachen würden.

Uddin Ahmed fordert Deutsche in Frau Scholtes Beitrag auf, die Gewerkschaften in Bangladesch zu unterstützen. Aus unserer Sicht sollte das auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung tun. Es konzentriert sich aber über seine Durchführungsorganisation GIZ vor allem auf die Kooperation mit den Unternehmensverbänden BGMEA (Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association) und BKMEA (Bang­ladesh Knitwear Manufacturers and Exporters Association).

Viel Geld wird für Exportförderung, Erschließung neuer Märkte und Produktivitätssteigerung ausgegeben. Das dient den Unternehmern, von denen viele auch im Parlament sitzen und darauf achten, dass der Mindestlohn nicht steigt. Die Mittel, die die GIZ an lokale NGOs in Bangladesch vergibt, sind dagegen lächerlich gering (siehe auch Burckhardt 2011).


Frau Scholte zitiert auch Fazil Hoque, einen ehemaligen BKMEA-Vorsitzenden, demzufolge die Unternehmensverbände gegenüber Sozial- und Umweltstandards aufgeschlossen sind, während Fabrikbesitzer angeblich bremsen. Unserer Erfahrung entspricht das nicht. Eine Trainingsinitiative, die Tchibo in Bangladesch gestartet hat, wurde von einzelnen Firmen aufgegriffen, aber nicht von den Unternehmensverbänden unterstützt.


UN-Richtlinien

Der UN-Menschenrechtsrat hat im Juni 2011 Leitprinzipien zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen verabschiedet, welche die EU-Kommis­sion kurz darauf ausdrücklich lobte. Unternehmen müssen demnach vorsorgende Sorgfalt (due diligence) üben, um die Folgen ihres Handelns abzuschätzen und Schäden für Mensch und Natur zu vermeiden.

Staaten müssen derweil für die Einhaltung der Menschenrechte sorgen. Die Schutzpflicht des Staates erfüllt die Regierung Bangladeschs unzureichend. Sie setzt das Arbeitsrecht ebenso wenig durch wie einen notwendigen Brandschutz. Es gibt zu wenig Fabrikinspektoren, und diese Leute sind nicht so ausgestattet, dass sie die Branche wirksam kontrollieren könnten.

Aus unserer Sicht folgt aus Staatsversagen in Bangladesch eine Pflicht der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland, mit Rahmengesetzgebung das Agieren hiesiger Firmen im Ausland zu regulieren. Es ist nicht akzeptabel, dass sie von Missständen in Entwicklungsländern systematisch und in großem Stil profitieren.

Die CCC fordert deshalb zusammen mit dem zivilgesellschaftlichen Netzwerk Unternehmensverantwortung (CorA – Corporate Accountability) Reformen von der EU und dem deutschen Gesetzgeber:

  • In der EU ansässige Unternehmen müssen für die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Menschen haftbar gemacht werden können.
  • Durch europäische Unternehmen Geschädigte müssen Zugang zu Rechtsschutz erhalten.
  • Unternehmen müssen über die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Menschen jährlich berichten und ihre Lieferketten offenlegen.

Was den dritten Punkt angeht, hat die EU-Kommission eine Transparenzrichtlinie vorgeschlagen. Leider stellt sich die Bundesregierung aber gegen diese Initia­tive. Von 42 000 großen Unternehmen in der EU erstellen laut EU-Kommission aber bisher nur 2500 Nachhaltigkeitsberichte. Die Bundesregierung beharrt trotzdem auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und will die Firmen nicht zur Transparenz verpflichten. Sie sollte sich konsequent für Menschenrechte auch in der Modebranche einsetzen, anstatt sich schützend vor die Unternehmen zu stellen.
 

Gisela Burckhardt ist Vorstandsvorsitzende von FEMNET. Der Verein unterstützt die Arbeit der Kampagne für Saubere Kleidung, die von 20 Organisationen in Deutschland getragen wird und zum internationalen Netzwerk Clean Clothes Campaign (CCC) gehört. Burckhardt hat mehrfach in Bangladesch recherchiert. Zur CCC gehören rund 300 Organisationen in 15 europäischen Ländern. Sie arbeiten mit Partnern in Produktionsländern eng zusammen.
gisela.burckhardt@femnet-ev.de
http://www.saubere-kleidung.de
http://www.femnet-ev.de

Dominic Kloos arbeitet beim Ökumenischen Netz Rhein-Mosel-Saar, einem CCC-Mitglied, und ist seit sechs Jahren für die regierungs­unabhängige Organisation MATI in Bangladesch und Deutschland aktiv.
info@oekumenisches-netz.de