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Welthandel

Feigenblatt Menschenrechte

Die EU-Handelspolitik steckt in einer tiefen Legitimitätskrise. Um ihr zu entkommen, ist eine Rückbesinnung auf grundlegende europäische Werte nötig. Bisher schlägt sich das auf die politische Praxis aber nicht nieder.
Exporte aus der EU zu Dumpingpreisen zerstören heimische Märkte: Hühnerfarm im Senegal. Lissac/Lineair Exporte aus der EU zu Dumpingpreisen zerstören heimische Märkte: Hühnerfarm im Senegal.

Gegen die geplanten Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) mit den USA gibt es EU-weit Protest. Darauf reagierte Handelskommissarin Cecilia Malmström Ende 2015 mit einer neuen Strategie „Handel für alle“, die unter anderem eine Rückbesinnung auf europäische Werte wie Menschenrechte und Demokratie betont.

Malmström verspricht nun mehr Effektivität, Transparenz und Werteorientierung. Sie will „das europäische soziale und regulatorische Modell zu Hause bewahren“ und zudem weltweit die Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Korruptionsbekämpfung voranbringen.

Praktische Folgen hat das jedoch bisher kaum. Die neue Strategie ist nicht so innovativ, wie die Kommissarin suggeriert. Die EU bekennt sich bereits seit Anfang der 1990er Jahre zur Förderung der Menschenrechte in der Handelspolitik. Im Vertrag von Lissabon hat sie sich 2009 verpflichtet, die Menschenrechte in ihrer gesamten auswärtigen Politik zu achten und zu fördern. Entscheidend ist allerdings, inwieweit die EU und ihre Mitgliedstaaten das tatsächlich tun.

In der Substanz unterscheiden sich die neuen handelspolitischen Ziele kaum von den alten. Im Wesentlichen geht es darum, die Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnaussichten europäischer Unternehmen zu verbessern. Dazu fordert die EU von anderen Staaten möglichst uneingeschränkten Marktzugang für Güter, Dienstleistungen und Investitionen aus Europa, ungehinderten Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Rohstoffen sowie mehr Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum.

Zur Steigerung von Exporten bleibt die weitgehende Abschaffung von Einfuhrschranken ein wichtiges Anliegen der Kommission. Als besonders vorbildlich preist sie ihr Abkommen mit Südkorea, das innerhalb von fünf Jahren auf beiden Seiten die Abschaffung von 99 Prozent aller Einfuhrzölle vorschrieb und half, EU-Exporte in drei Jahren um 55 Prozent zu steigern. Bemerkenswert ist, dass die Kommission in der neuen Strategie mehrfach die Bedeutung des Agrar- und Ernährungssektors hervorhebt, in dem „die EU weltweit der größte Exporteur ist, aber möglicherweise ihr Potential aufgrund solcher Barrieren nicht voll ausschöpfen kann“.

Anders als im multilateralen Kontext der Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization) pocht die EU bei bilateralen Abkommen auch gegenüber Entwicklungsländern auf das Prinzip der Gegenseitigkeit, das keine oder nur eine geringfügige Vorzugsbehandlung erlaubt. Im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaften (WPA) hat sie sogar gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern wie Burkina Faso eine Abschaffung von 75 Prozent der Zölle durchgesetzt. Jahrzehnte der Kritik an Dumpingexporten, der Verdrängung von Kleinbauern und der fatalen Importabhängigkeit von Entwicklungsländern von Nahrungsmittelimporten schlägt die Kommission damit erneut in den Wind.

Angesichts der heftigen Kritik an den Bestimmungen zum Investitionsschutz in CETA und TTIP betont die Kommission mittlerweile ein grundsätzliches „Recht auf Regulierung“. Den bisherigen Usus, private Panel Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten entscheiden zu lassen, will sie zudem Schritt für Schritt mit einem internationalen Investitionsgerichtssystem ersetzen. An Sonderklagerechten für Konzerne hält sie dabei aber fest. Wenn ausländische Unternehmen „unfaire Behandlung“ oder „indirekte Enteignung“ wittern, können sie Staaten weiterhin auf mitunter milliardenschweren Schadensersatz verklagen. Dadurch werden aber Gesetzesreformen zu Themen wie Grundbesitz, Wasserversorgung oder Gesundheitswesen angreifbar.

Auch das neue Konzept der Kommission enthält keine menschenrechtliche Ausnahmeklausel. Maßnahmen, die dem Schutz der Rechte auf Nahrung, Gesundheit und sozialer Sicherheit dienen, werden somit nicht explizit als „legitime Politikziele“ anerkannt, die das Recht auf Regulierung begründen.


Bedrohte Menschenrechte

In den vergangenen Jahren haben Agrarexporte aus der EU Preise in Entwicklungsländern erheblich gedrückt und Kleinbauernfamilien verarmen lassen oder sogar aus dem Markt gedrängt. Dabei geht es um Milchpulver in Bangladesch und Burkina Faso, Schweinefleisch in der Elfenbeinküste oder auch Tomatenpaste oder Geflügelteile in Ghana. Diese Exportpraxis gefährdet und verletzt das Menschenrecht auf Nahrung und andere soziale Rechte. Die Ankündigung der EU, Agrarexporte weiter handelspolitisch zu unterstützen, klingt deshalb wie eine Drohung (siehe hierzu auch Artikel von Francisco Mari in E+Z/D+C).

Ein zweites Problemfeld ist die Verschärfung geistiger Eigentumsrechte. Das Handelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien sowie Peru schreibt vor, das Sortenschutzabkommen der Union for the Protection of Organic Varieties (UPOV) von 1991 umzusetzen. Dieses verbietet den Bauern die Wiederaussaat, den Austausch und Weiterverkauf einmal erworbenen kommerziellen Saatguts während der 20-jährigen Geltungsdauer des Sortenschutzes. Ein Verbot dieser in den Anden gängigen Praxis kann für Kleinproduzenten zu einer erheblichen Steigerung der Produktionskosten führen und letztlich ihr Recht auf Nahrung bedrohen.

Die EU-Handelspolitik gefährdet Menschenrechte auch in anderen Bereichen. Allzu strikte geistige Eigentumsrechte können den Zugang zu Medikamenten einschränken und deshalb dem Recht auf Gesundheit widersprechen. Privatisierungsdruck im Dienstleistungssektor kann die öffentliche Daseinsvorsorge und das Recht auf Bildung, Gesundheit und Wasser bedrohen. Sonderklagerechte für Investoren können notwendige Schutzmaßnahmen für die Menschenrechte behindern. Das von der EU geforderte Verbot von Exportsteuern kann zur Ausweitung von Bergbauaktivitäten führen, bei denen Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen besonders häufig sind.

Folglich stellt sich die Frage, wie die EU ihre im Lissaboner Vertrag festgeschriebene Pflicht erfüllen will, Menschenrechte im Ausland auch im Rahmen der Handelspolitik zu wahren. Die Kommission verweist in ihrer Strategie auf die Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen (Trade Sustainability Impact Assessments – SIA), welche sie standardmäßig zu Handelsabkommen durchführen lässt. Zu begrüßen ist, dass sie dabei mittlerweile Menschenrechte als Prüfkriterium aufgenommen hat.

Problematisch ist jedoch, dass die Folgenabschätzung erst stattfindet, wenn die Verhandlungen bereits weit fortgeschritten sind und eine Kursänderung schwierig und unwahrscheinlich ist. Damit die Studien tatsächlich wirken, müssten sie bereits vor Verhandlungsbeginn erfolgen und als Grundlage für die Formulierung des Verhandlungsmandats dienen. Sinnvoll wäre auch, das Europäische Parlament und die Zivilgesellschaft in diesen Prozess stärker einzubeziehen. Dann hätten Folgenabschätzungen durchaus das Potenzial, auch eine grundlegende Neuausrichtung der Handelspolitik voranzutreiben.

Klar ist gleichwohl: Nicht alle Auswirkungen auf die Menschenrechte sind vor Inkrafttreten eines Handelsabkommens ohne weiteres vorhersehbar. Notwendig wäre daher eine menschenrechtliche Ausnahmeklausel, welche den Spielraum von Staaten zur Verwirklichung von Menschenrechten auch im Konfliktfall mit Handelsbestimmungen garantiert. Die bestehenden Menschenrechtsklauseln tun das nicht.

Vergeblich versuchten Menschenrechtsgruppen voriges Jahr Malmström von einer neuen Modellklausel zu überzeugen, welche der Jurist Lorand Bartels im Auftrag von Misereor und dem Deutschen Institut für Menschenrechte erarbeitet hatte. Ihr zufolge dürften Bestimmungen eines Handelsabkommens niemals so ausgelegt werden, dass sie die Vertragsstaaten daran hindern, ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen im In- oder Ausland zu erfüllen. Sie würde zudem regelmäßige menschenrechtliche Folgenabschätzungen verlangen, damit mögliche Konfliktfälle systematisch erkannt werden. Schließlich würde sie einen zivilgesellschaftlichen Beschwerdemechanismus schaffen und nachträgliche Änderungen problematischer Handelsbestimmungen ermöglichen. Leider wird all das in der neuen EU-Handelsstrategie mit keinem Wort erwähnt.


Fazit

Die EU ist auch in ihrer Handelspolitik zur Wahrung und Förderung der Menschenrechte rechtsverbindlich verpflichtet. Dazu müssten die vorhandenen Menschenrechtsinstrumente grundlegend reformiert und gestärkt werden. Solch eine Neuausrichtung ist derzeit allerdings weder in Brüssel noch in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten erwünscht. Folglich halten Menschenrechte einstweilen nur als Feigenblatt her. Die gegenwärtige Krise der EU-Handelspolitik bietet eine einzigartige Chance zu grundlegenden Reformen. Ohne solche Reformen ist ein Ende der Krise nicht in Sicht.


Armin Paasch ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR.
armin.paasch@misereor.de

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