Internationaler Handel

Die WTO wirkt angeschlagen

Die Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization) sollte als Motor der Globalisierung dienen. Heute wirkt sie kränklich. Die großen Hoffnungen, die ihr Gipfel in Katars Hauptstadt Doha 2001 weckte, gingen nicht in Erfüllung.
Auch nach aktuellen Verhandlungserfolgen wirkt die WTO noch wackelig: Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala im Juni in Genf. picture-alliance/EPA/Martial Trezzini Auch nach aktuellen Verhandlungserfolgen wirkt die WTO noch wackelig: Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala im Juni in Genf.

Als die WTO 1995 entstand, wurde „Globalisierung“ zu einem in Afrika weitverbreiteten Schlagwort. Es stand für eine neue Ära der Liberalisierung nach dem Kalten Krieg. Fortan sollten für alle auf dem Weltmarkt dieselben Regeln gelten, und Freihandel würde Wachstum schaffen (siehe José Siaba Serrate auf www.dandc.eu).

Zuvor hatten im internationalen Handel die Regeln des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) gegolten. Es war ursprünglich von einem Club von westlichen Ländern mit hohen Einkommen geschlossen worden und entsprach deren Interessen. Die WTO sollte in der Nachfolge dagegen global sein, und mit 160 souveränen Mitgliedsländern ist sie das heute auch.

Das große Versprechen

Das große Globalisierungsversprechen war Wohlstand für alle, und tatsächlich gab es echte Fortschritte für Entwicklungsländer. Die Handelsschranken, welche die Textilindustrie hochentwickelter Volkswirtschaften geschützt hatten, wurden beispielsweise abgeschafft. Die entsprechenden GATT-Bestimmungen wurden 1994 aufgeweicht und 2005 ganz gestrichen.

Neue Regeln über Agrarsubventionen begrenzten zudem den Schaden, den destruktive Praktiken Europas, Nordamerikas und Japans weltweit anrichten. Früher konnten Regierungen in Ländern mit hohen Einkommen hemmungslos mit Fördermitteln Anreize zu exzessiver landwirtschaftlicher Produktion geben und die Überschüsse dann mit weiteren staatlichen Zuschüssen auf dem Weltmarkt verramschen. Derartiges „Dumping“ machte der Agrarkonkurrenz in Afrika, Asien und Lateinamerika das Leben schwer. Graduelle Verbesserungen begannen noch in der GATT-Zeit und setzten sich im WTO-Kontext fort. Das war für Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen zweifellos attraktiv.

Hüterin der Regeln

1995 schien es, die WTO werde den Weltmarkt weiter liberalisieren, wobei Reformen im Konsens aller Mitgliedsländer beschlossen werden würden. Tatsächlich sind in der WTO alle Mitglieder formal gleichrangig, und Entscheidungen erfordern Einstimmigkeit. Im Gegensatz zu typischen UN-Institutionen ist die WTO zugleich auch die Hüterin ihrer Regeln. Ihr Streitschlichtungsverfahren ermöglicht Schiedsgerichten, klagenden Regierungen Strafzölle gegen Partner zu erlauben, wenn diese nicht WTO-konform agieren.

Es kam aber nicht so wie erwartet. 1999 endete der WTO-Gipfel in Seattle im Streit. Delegationen aus Entwicklungsländern empörten sich darüber, dass ihre Gegenüber aus den USA und der EU sie beim Versuch, Agrarfragen zu klären, nicht beteiligten. Straßenkrawalle machten zudem deutlich, das selbst in den USA, die sich immer für liberalen Handel eingesetzt hatten, die Strategie immer weiterer Deregulierung umstritten war.

Der nächste Gipfel fand 2001 in Qatar statt. Er scheiterte nicht auf ähnlich spektakuläre Weise, sondern erzielte wieder ein paar Fortschritte in Hinsicht auf landwirtschaftliche Subventionen. Wichtiger noch: Er lancierte die Doha-Entwicklungsrunde. Diese Verhandlungsrunde sollte im Lauf einiger Jahre und mehrerer Gipfel mit Regeländerungen die Chancen der Entwicklungsländer auf dem Weltmarkt verbessern.

Sackgasse

Auf Hoffnung folgte jedoch abermals Enttäuschung. Vor Doha hatten die Politiker aus Ländern mit hohen Einkommen immer wieder betont, wie nötig ein einheitliches und kohärentes Handelsregime für die ganze Welt sei. Nach Doha starteten aber sowohl die USA als auch EU bilaterale Verhandlungsinitiativen.

Es war ihnen nämlich nicht gelungen, Wettbewerb, Investitionen, staatliche Beschaffung und Handelserleichterungen zu Gegenständen der Verhandlungsrunde zu machen. Im WTO-Jargon heißen sie Singapurthemen. Entwicklungs- und Schwellenländer lehnten Verhandlungen darüber ab, weil sie fürchteten, neue Regeln in diesen Bereichen würden ihre Chancen verschlechtern, nicht verbessern.

Vor 2001 lautete die Devise, eine Spaghettischüssel mit vielen konkurrierenden, sich überschneidenden Regeln sei unbedingt zu verhindern. Später hielten sich Washington und Brüssel nicht mehr daran, sondern konzentrierten sich auf bilaterale Gespräche, in denen die Singapurthemen auf die Tagesordnung kamen.

Entsprechend erwies sich die Doha-Entwicklungsrunde weitgehend als Sackgasse. Allerdings gab es 2013 immerhin ein Abkommen über Handelserleichterungen, das beispielsweise Zollabfertigungsverfahren vereinheitlichte.

Eine andere wichtige Doha-Entscheidung wurde ebenfalls nicht befriedigend umgesetzt. Der Gipfel beschloss, Länder dürften Zwangslizenzen für die Produktion patentgeschützter Pharmaka erteilen, wenn das gesundheitspolitisch erforderlich sei. Seinerzeit brauchten einige große Schwellenländer wegen HIV/Aids dringend innovative antiretrovirale Arzneien. Es wurden jedoch im WTO-Kontext nie entsprechende Verfahren definiert, aber unter dem Druck des möglichen Patentverlusts stellten multinationale Pharmakonzerne die benötigten Pharmaka zu günstigeren Preisen zur Verfügung. Die Debatte über intellektuelles Eigentum entbrannte dann 20 Jahre später wieder – und zwar mit Blick auf Corona-Impfstoffe (siehe Interview with Achal Prabhala auf www.dandc.eu).

Verlorener Biss

Zwar erwies die WTO sich nicht als Globalisierungsmotor, sie war aber dennoch nicht zahnlos. Ihre Schiedsgerichte verliehen ihren Regeln Biss. Das änderte sich unter US-Präsident Donald Trump. Seine Regierung verhängte nicht nur eigenmächtig Strafzölle, sondern lähmte auch das Streitschlichtungssystem, indem sie die Neuberufung von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen blockierte (siehe Hans Dembowski auf www.dandc.eu).

Die klare Botschaft aus Washington war, dass jedes WTO-Mitglied sich über multilaterale Bestimmungen hinwegsetzen kann, wenn es denn stark genug ist. Die Rivalität mit China trieb Trump besonders um, allerdings waren auch andere Streitschlichtungsverfahren aus US-Sicht unbefriedigend ausgegangen.

Für Afrika ist die tendenzielle Erosion der WTO beunruhigend (siehe Kacana Sipangule auf Mwanda Phiri auf www.dandc.eu). In gewissem Maß hilft es, regionale Wirtschaftsgemeinschaften zu bilden. Nach langen zähen Verhandlungen sind auch deren bilaterale Wirtschaftspartnerschaften mit der EU besser ausgefallen, als ursprünglich befürchtet worden war (siehe Monika Hellstern on www.dandc.eu). Weil globale Angelegenheiten aber global geregelt werden müssen, ist die multilaterale WTO letztlich unverzichtbar.

Sie ist nicht kollabiert, und ihr Handelsregime besteht weiter. Beide kränkeln aber – und zwar zu einer Zeit, in der das internationale System mehrere Schocks verkraften muss. Covid-19 hat wichtige Lieferketten zerrissen. Die Klimakrise eskaliert. Viele Länder haben wieder bedrohlich hohe Staatsschulden, und die Inflation greift um sich. Der Angriff Russlands auf die Ukraine erschwert die Lage zusätzlich.

Kleine Erfolge

In diesem schwierigen Umfeld gab es dieses Jahr beim Gipfel in Genf einige geringfügige Ergebnisse:

  • Subventionen für illegalen Fischfang wurden verboten. Das mag absurd klingen, ist aber stimmig, weil Staaten mit der nötigen Finanzkraft sich bislang meist nicht darum scherten, wo in weit entfernten Gewässern die Beute ins Netz ging. Ebenfalls entfallen sollen zudem Subventionen für die Hochseefischerei. Auch das ist ein sinnvoller, aber nicht ausreichender Schritt, um maritime Ressourcen zu schützen.
  • Beschlossen wurde zudem, dass Ausfuhrbeschränkungen für Nahrungsmittel nicht die Beschaffung des World Food Programme betreffen sollen, was die Notversorgung von Gegenden erleichtert, in denen Hungersnot droht.
  • Patente für Coronaimpfstoffe wurden befristet ausgesetzt. Zivilgesellschaftliche Organisationen beanstanden aber, dass anderes medizinisch wichtiges geistiges Eigentum wirksam bleibt, sodass die Patentfreigabe in der Praxis wenig bedeute (siehe Anton Sundberg und Andreas Wulf auf www.dandc.eu).

Konsens besteht, dass die Meinungsunterschiede über das Streitschlichtungsverfahren innerhalb von zwei Jahren beigelegt und auf dieser Basis neue Leute berufen werden sollen.

Das ist besser als nichts. Diese Entscheidungen sind aber für eine vollständige Erholung der kränkelnden multilateralen Organisation zu wenig. Wie Bernd Ludermann in der Zeitschrift Welt-sichten kommentiert hat, zeigen die Gipfelergebnisse, dass viele WTO-Mitglieder den Tod dieser Institution mehr fürchten als ihr weiteres Dahinsiechen.

Bei dem Doha-Gipfel 2001 standen Diplomatinnen und Diplomaten unter dem Eindruck des Afghanistankriegs. Diesmal kann der Ukrainekrieg ähnlich gewirkt haben. Es gibt zwar keinen Konsens für entschlossene Reformen, aber offenbar will auch niemand zum jetzigen Zeitpunkt die Weltordnung zusätzlich destabilisieren.


Alphonce Shiundu lebt als Journalist und Faktenchecker in Nairobi.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit /D+C Development and Cooperation.
euz.editor@dandc.eu

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