Globale Krise
Sinnvolle Schuldenumwandlungen
Die Globalisierung hat der Weltbevölkerung steigenden Wohlstand und damit eine höhere Lebenserwartung beschert. Dies lässt sich den Berichten der UN entnehmen, laut denen sich die Lebenserwartung weltweit seit Anfang des 19. Jahrhunderts verdoppelt hat. Selbst in den ärmsten Staaten der Welt näherte sich die Lebenserwartung bis 2019 stetig an den globalen Durchschnitt von 73 Jahren an.
Global betrachtet, hat sich die Schere zwischen den armen und reichen Ländern in Bezug auf die Lebenserwartung weiter geschlossen – ein Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Politik der UN sowie der Gebernationen wie etwa Deutschland und Frankreich haben dazu beigetragen.
In Entwicklungsländern ist das Wachstum der Volkswirtschaft aber nicht die einzige Determinante, um die längeren Lebensdauern zu erklären. Den mit Abstand größten Beitrag zu weltweit höhere Lebenserwartung leisten der Ausbau und die Sicherung der Gesundheitsversorgung. Die Statistiken zeigen für die betreffenden Länder eine besonders enge Korrelation zwischen der Entwicklung der Gesundheitsausgaben und der Lebenserwartung.
Der pandemiebedingte Shutdown der globalen Lieferketten gefährdet diese Erfolge; wenn er sie nicht gar ganz vernichtet. Daraus folgt die zugegebenermaßen provokante These: die derzeitige Weltwirtschaftskrise ist eine noch viel größere Katastrophe, als die unmittelbare Covid-19-Pandemie – mit Millionen Tote am anderen Ende der Kette!
Denn in Ländern wie Indien und Brasilien wird das Prinzip des Social Distancing nur dort möglich sein, wo arbeitsteilig produziert und individualisiert gelebt wird. Unter den Millionen Tagelöhnern im informellen Sektor, in den Slums von Mumbai, den Favelas von Rio de Janeiro oder den Hüttensiedlungen in Afrika ist Abstandhalten nicht möglich. Das Virus wird sich ungebremst exponentiell ausbreiten, Schwache und Kranke tödlich treffen, gleichzeitig fällt Einkommen für den Erwerb von Nahrung weg.
Ohne zeitnahe Liquidität werden die Wirtschafts- und Gesundheitssysteme der Entwicklungs- und Schwellenländer sehr bald zusammenbrechen – mit der Folge von Abertausenden Toten. Diese Länder brauchen umgehend Finanzmittel, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen. Alle Mittel, die jetzt als internationale Unterstützung fließen, sollten verlorene Zuschüsse sein, um den Schuldenstand der schwächsten Länder nicht zusätzlich in die Höhe zu treiben. Ergänzend sollte die Bundesregierung schnell die von den G20 versprochene Aussetzung des Schuldendienstes von Entwicklungsländern umsetzen. So werden in Partnerländern Finanzmittel für die Pandemiebekämpfung und eine nachhaltige Stärkung der Gesundheitssysteme frei.
Die Bundesregierung muss auch künftig verstärkt auf Schuldenumwandlungen zurückgreifen und die dafür vorhandenen Haushaltsmittel vollständig ausnutzen. Bundesminister Gerd Müller hat gesagt: „Jetzt hat die Stunde der Vereinten Nationen geschlagen.“ Diesem Versprechen müssen nun Taten folgen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kann entsprechende Haushaltsposten nutzen und den UN mindestens weitere 500 Millionen Euro zur Stabilisierung der Gesundheitssysteme zur Verfügung zu stellen.
Deutsche Politik kann nicht nur auf Infektions- und Sterbefälle im Heimatland schauen, sondern muss die Auswirkungen eines Shutdowns langfristig und weltweit bedenken. Je länger er anhält und je mehr die Wirtschaftskraft nachlässt, desto stärker wird die Lebenserwartung weltweit, auch bei uns, sinken. Wir müssen alle Möglichkeiten verantwortungsvoll nutzen, um den Wirtschaftsmotor wieder anzuwerfen – und zwar weltweit.
Christoph Hoffmann ist Mitglied des Deutschen Bundestages und entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die im Text gemachten Aussagen spiegeln allein seine persönliche Meinung wider.
christoph.hoffmann@bundestag.de