Fleischproduktion
Konkurrenz zwischen Teller und Trog
Während der Fleischkonsum in den Industrieländern nach Jahrzehnten des Anstiegs erstmals leicht rückläufig ist, nimmt die weltweite Nachfrage stetig zu. Treiber dieser Entwicklung sind vor allem die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die zusammen 40 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Dort nahm der Fleischverbrauch von 2003 bis 2012 um 6,3 Prozent pro Jahr zu; von 2013 bis 2022 soll er jährlich um 2,5 Prozent wachsen.
Der gestiegene Fleischkonsum steht in engem Zusammenhang mit der Einkommensentwicklung. In den BRICS-Ländern isst vor allem die neue städtische Mittelschicht mehr Fleisch. Eine Erhebung der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO zeigt, dass in China knapp 80 Prozent des zusätzlichen Fleischkonsums bis 2030 auf veränderte Einkommens- und Konsumstrukturen zurückzuführen sind. Lediglich 11 Prozent gehen auf das Konto des Bevölkerungswachstums. Ähnlich ist die Lage in Indien: 68 Prozent des zusätzlichen Fleischkonsums liegen an veränderten Konsumstrukturen, fünf Prozent am Bevölkerungswachstum.
Dennoch gibt es große Unterschiede zwischen den beiden asiatischen Schwellenländern: Inder essen durchschnittlich pro Kopf weniger als ein Zehntel so viel Fleisch wie Chinesen. In Indien hat die vegetarische Lebensweise tiefe kulturelle, religiöse und soziale Wurzeln. Ein Viertel bis ein Drittel der Inder geben an, Vegetarier zu sein. Die Zahl der Fleischesser nimmt jedoch zu. Seit Beginn des Wirtschaftsbooms Anfang der 1990er Jahre passt die neue Mittelschicht ihre Lebensweise dem westlichen Vorbild an. Dazu gehört auch der Verzehr von Fleisch. „Non-Veg“, wie es in Indien heißt, ist zum Statussymbol geworden.
Falls die globale Nachfrage sich unverändert weiterentwickelt, müssen die Bauern und Agrarbetriebe der Welt die Fleischproduktion bis zum Jahr 2050 von heute 300 auf 470 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen. Diese Steigerung ist nur mit einer grundlegenden Änderung der Produktionsweisen möglich. Die technik- und kapitalintensiven Prozesse, die die Tierproduktion des globalen Nordens dominieren, wachsen in die lukrativen Märkte des globalen Südens hinein. Das heißt, die Produktion in großen Mastanlagen gewinnt rasant an Bedeutung, während kleinbäuerliche Betriebe verdrängt werden.
Mit der industriellen Tierhaltung verändert sich die Art der Fütterung. Theoretisch konkurrieren Menschen und wiederkäuende Nutztiere nicht um Nahrung – hier das Korn fürs Brot, dort Gras und Klee für die Kuh. Doch in der Intensivhaltung wird ein hoher Anteil an eiweißhaltigem Kraftfutter verwendet, um aus den Tieren so viel wie möglich herauszuholen. So wandern jährlich weltweit mehr als 40 Prozent der Weizen-, Roggen-, Hafer- und Maisernte direkt in die Tröge. Das sind fast 800 Millionen Tonnen. Hinzu kommen 250 Millionen Tonnen Ölschrote, vor allem aus Sojabohnen. Je mehr Tiere auf der Basis von Getreide und Ölsaaten gemästet werden, desto größer ist die Konkurrenz zur menschlichen Nahrung.
Soja ist heute der wesentliche Eiweißlieferant im Tierfutter. Nach einer Studie des World Wide Fund for Nature (WWF) hat sich die Produktion von Soja in den vergangenen 50 Jahren von 27 auf 269 Millionen Tonnen verzehnfacht und nutzt heute eine Fläche von mehr als 100 Millionen Hektar. Das entspricht der Größe von Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden zusammen. Die größten Sojaproduzenten sind die USA, Argentinien und Brasilien. In Brasilien ging im Jahr 2012 eine zusätzliche Produktionsfläche von Soja der Größe Mecklenburg-Vorpommerns und in Argentinien der Größe Sachsen-Anhalts in die Bewirtschaftung ein.
Verdoppelte Sojaproduktion
Wie all die Tiere bei einer Steigerung der Fleischproduktion um fast 200 Millionen Tonnen jährlich ernährt werden sollen, ist unklar. Laut FAO müsste sich allein die Produktion von Soja auf 515 Millionen Tonnen fast verdoppeln. Dazu müssten die Erträge pro Hektar steigen oder die Anbauflächen zunehmen – oder beides.
Heute werden drei Viertel des weltweit produzierten Sojas nach China geliefert. Die EU importiert jährlich etwa 35 Millionen Tonnen, die auf einer Fläche von fast 16 Millionen Hektar Ackerland angebaut werden. Das entspricht der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands. Industrielle Tierhaltung vermeidet also nicht den Flächenverbrauch – im Gegenteil. Ernährungsphysiologisch wäre es viel sinnvoller, Feldfrüchte direkt zu essen. Fleisch über den Umweg von Futtermitteln aus Getreide und Ölsaaten herzustellen führt zu gewaltigem Kalorienverlust. Laut Weltagrarbericht liegen die Umwandlungsraten von pflanzlichen in tierische Kalorien im Idealfall bei 2:1 bei Geflügel, 3:1 beim Schwein und 7:1 bei Rindern. Daher bindet eine fleischintensive Ernährung viel Fläche.
Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist der steigende globale Fleischhunger besorgniserregend, denn er verschärft die Konkurrenz zwischen Teller und Trog. Die zunehmende Nachfrage nach Futtermitteln ist einer der Treiber für steigende Preise auf den Agrarmärkten. In den ersten 13 Jahren dieses Jahrtausends sind die Preise immer weiter gestiegen, seit 2014 sind sie laut dem FAO Food Price Index leicht gefallen.
Für all jene Menschen, die schon heute den größten Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, ist die Entwicklung dramatisch. Steigende Nahrungsmittelpreise bedeuten Hunger und Verarmung. Denn obwohl viele der hunderte Millionen Menschen, die heute Hunger leiden, Bauern im globalen Süden sind, bringen die steigenden Weltmarktpreise ihnen kaum zusätzlichen Gewinn, da ihre Produktionskosten durch teureres Land, Saatgut und Dünger ebenfalls steigen.
Hinzu kommt, dass Mensch und Tier nicht nur um landwirtschaftliche Produkte konkurrieren, sondern auch um Anbauflächen. Der Druck auf kleinbäuerliche Produzenten wächst, weil die Nachfrage nach Land stetig zunimmt. Nicht zuletzt aufgrund der steigenden Fleischnachfrage steigt der Wert landwirtschaftlicher Flächen in fast allen Ländern der Welt. Dadurch sind Landinvestitionen sehr attraktiv geworden, was die Gefahr von Vertreibung und Enteignung erhöht. Gerade kleine Betriebe in Ländern mit fragilen Demokratien müssen um ihre Landrechte fürchten. Landgeschäfte sind meist undurchsichtig. Dadurch ist es für die Betroffenen – Indigene, Kleinbauern, Frauen, Nomaden – schwierig, an Informationen zu kommen und sich zu wehren.
Land wechselt Besitzer
Das Projekt Land Matrix Global Observatory geht von mehr als 1000 abgeschlossenen Geschäften seit dem Jahr 2000 aus, in denen insgesamt 39 Millionen Hektar Land verkauft wurden. Diese Fläche ist größer als Deutschland. Zu rund 200 weiteren Projekten im Umfang von insgesamt 16 Millionen Hektar laufen aktuell Verhandlungen. Andere Organisationen wie GRAIN oder Oxfam berichten von Geschäften mit Kauf oder langfristiger Pacht in weit größerem Umfang. Oxfam zufolge wechselten von 2001 bis 2010 rund 230 Millionen Hektar Ackerland in Entwicklungsländern den Besitzer. Diese Fläche entspricht der von Westeuropa. Zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar sollen dafür geflossen sein. Dass die Zahlen so weit auseinander liegen, zeigt, wie schwierig es ist, verlässliche Daten zu bekommen, und wie wichtig mehr Transparenz bei Landkäufen ist.
Mehr als 80 Prozent aller Betriebe weltweit sind kleiner als zwei Hektar. Sie bewirtschaften etwas mehr als zehn Prozent des weltweiten Agrarlands und sind Einkommensquelle für mehr als 500 Millionen bäuerliche Familien. Nur zwei Prozent der Betriebe bewirtschaften eine Fläche, die größer ist als 20 Hektar, nutzen aber knapp 70 Prozent der globalen Agrarflächen. Wenn kleinen Betrieben weiter die wichtigste Produktionsgrundlage, der Boden, entzogen wird und kein alternatives Einkommen im ländlichen Raum erwirtschaftet werden kann, gehen die Menschen in die Städte. Dort leben viele in Hunger und Armut.
Neben den Nahrungsmittel- und Landpreisen gibt es weitere negative Auswirkungen der industriellen Tierhaltung. So ist sie zum Beispiel aufgrund ihrer hohen Emissionen an Treibhausgasen für den Klimawandel mitverantwortlich. Neben den Methanausscheidungen der Tiere werden bei Landnutzungsänderungen für die Futtermittelproduktion riesige Mengen CO2 freigesetzt. Böden sind der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher der Erde; sie speichern mehr Kohlenstoff als alle Wälder der Welt zusammen. Werden aber Wiesen und Steppen in Ackerland umgewandelt, gelangt ein Teil des CO2 in die Atmosphäre.
Entwicklungsländer sind vom Klimawandel besonders betroffen und haben geringe Adaptionsmöglichkeiten. Eine noch direktere Auswirkung der industriellen Tierhaltung auf die Lebenssituation von Menschen im globalen Süden zeigen Francisco Mari und Rudolf Buntzel-Carno in dem Buch „Das globale Huhn“ auf. Die Autoren analysieren, wie sich das Verhalten europäischer Konsumenten auf verschiedene Märkte Afrikas auswirkt. Europäer essen vom Huhn am liebsten Filets. Dafür sind sie bereit, einen relativ hohen Preis zu zahlen. Für das restliche Tier gibt es in Europa kaum noch Abnehmer. Es wird deshalb tiefgekühlt nach Afrika, zum Beispiel Kamerun und Ghana, exportiert.
Weil bereits das teure Filet die Aufzucht in Europa profitabel macht, werden die restlichen Hühnerteile – trotz der Transport- und Kühlkosten – zu so niedrigen Preisen verkauft, dass die afrikanischen Produzenten damit nicht konkurrieren können und aus dem Markt gedrängt werden. Geflügelhaltung ist wegen der geringen Anfangsinvestitionen ein Bereich, in dem vor allem Frauen aktiv sind. Mit der Zerstörung der lokalen Märkte wurden ihnen eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit und bessere Versorgungsmöglichkeiten für ihre Familien genommen.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die Erde 10 Milliarden Menschen ernähren kann. Die Antwort ist ja. Aber nur mit nachhaltiger Landwirtschaft und einer grundlegend veränderten Ernährungsweise. Auch wenn es ungerecht ist: Nicht alle Menschen auf der Welt werden so viel Fleisch essen können wie heute die Menschen in den westlichen Industrieländern.
Christine Chemnitz ist Referentin für internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung.
chemnitz@boell.de
Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
prosinger@boell.de
Literatur:
Mari, F., Buntzel, R., 2006: Das globale Huhn: Hühnerbrust und Chicken Wings – Wer isst den Rest? Frankfurt a. M.. Brandes & Apsel.