Kriminalität
Verbrechen ohne Grenzen
Als US-Behörden begannen, radikal gegen Drogenhandel aus Kolumbien vorzugehen, suchten die Kartelle neue Wege in die Vereinigten Staaten. Seit den 70er Jahren nutzen sie Routen über Mexiko – unter jahrelanger Beihilfe der mexikanischen Regierung, wie die Journalistin Anabel Hernández berichtet. Fast jeder zweite Abgeordnete des Parlaments habe den Drogenhandel letztlich gedeckt.
Als Felipe Calderón 2006 Präsident von Mexiko wurde, rief er den Kampf gegen den Drogenhandel aus. Seitdem sind 40 000 Menschen dem Drogenkrieg zum Opfer gefallen, schätzen Experten. In Gegenden, wo die Kartelle besonders mächtig sind, wie zum Beispiel in Ciudad Juárez, gehören Mord und Horror zum Alltag. Wie die Reporterin Luz del Carmen Sosa Carrizoso von der Tageszeitung El Diario aus Ciudad Juárez berichtet, werden jeden Tag sieben Menschen in der Stadt ermordet, auch Kinder auf dem Schulweg. Es gebe für die ganze Stadt nur 35 Mordermittler, so dass nur drei Prozent aller Morde aufgeklärt und die Täter angeklagt werden könnten.
Dass Mörder ohne Strafe davonkommen, betont Carrizoso, stärke die Kartelle und zerstöre Vertrauen in die Demokratie. Korruption grassiere auch in der Polizei. Ihre Kollegin Hernández bestätigt: Das Ministerium für Sicherheit sei von den USA geschult und finanziert, trotzdem verübten Beamte Grausamkeiten – viele von ihnen seien nur Handlanger der Drogenkartelle.
Mexiko ist nicht das einzige Land, das unter grenzüberschreitender Kriminalität leidet. Eines der weltweit korruptesten Länder ist Afghanistan, berichtet Yami Torabi von der Nichtregierungsorganisation Integrity Watch Afghanistan. Seit 2002 verschlimmere sich die Lage. „Jeder zweite Parlamentarier“ ist nach seinen Worten in schmutzige Geschäfte verstrickt – vom Waffen- und Drogen- bis zum Menschenhandel. Mehrere Banden, sagt Torabi, kämpften um Handelswege. Gleichzeitig müsse fast jeder Beamte geschmiert werden. Bestechung gelte aber als völlig normal und alltäglich.
Unsichtbare Handelsware
Unter dem Titel „Grenzenlos Illegal“ veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung im Juli eine Konferenz in Berlin. Schwerpunkt war die Globalisierung von Verbrechen. Wie Carolyn Nordstrom von der University of Notre Dame im US-Staat Indiana berichtete, halten Mafia und Kartelle Schritt mit der allgemeinen Globalisierung. Erobert die legale Wirtschaft neue Märkte, so ebnet sie den Weg auch Schmugglern und Verbrecherbanden, die Absatzgebiete vergrößern und aus neuen Regionen Ressourcen beziehen wollen. Nordstrom erklärt, dass diese Güter „verdeckt“ kursieren und deshalb ohne Kontrolle bleiben.
Manche Akteure, die nicht kriminell scheinen, seien in Wahrheit Verbrecher, sagt Nordstrom. Dazu zählt sie auch Menschen aus Industrienationen, die wissentlich Schwarzgeld akzeptieren. Sie helfen das Geld reinzuwaschen und sind damit Teil der organisierten Kriminalität. Nordstrom betont darüber hinaus, dass es den reichsten und erfolgreichsten Verbrechern gelingt, ihre Weste stets weiß zu halten.
Drogenschmuggler aus Lateinamerika arbeiten eng zusammen mit Militärgruppen in Afrika oder im Nahen Osten, berichtet sie. Dabei existierten mehrere Arten grenzüberschreitender Kriminalität. Auch Nahrungsmittel und lebenswichtige Arzneimittel würden geschmuggelt. Laut Nordstrom sichern diese Güter Herrschaft, denn wer Menschen mit Dingen versorgt, von denen sie abhängen, kann leicht über sie bestimmen. Kriminelle Banden, die so vorgehen, unterminierten damit aber die Regierung fragiler Staaten.
Wo es kein starkes Gemeinwesen gibt, treten private Gruppen an die Stelle des Staates. Das betont auch Edgardo Buscaglia, Berater von Geberorganisationen wie der Weltbank und der GIZ. Länder müssten sich der eigenen Kultur und Geschichte stellen, sagt Buscaglia. Sie müssten sich Institutionen schaffen, die ihnen entsprechen. Nur auf dieser Grundlage könnten sie dazu beitragen, internationale Kriminalität zu bekämpfen. Geberländer dürfen Hilfsgelder nicht dafür einsetzen, interessierte Parteien in Partnerländern zu kaufen, weil sie dann schnell selbst Teil des Problems werden könnten.
In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, unerlaubte Handlungen zu legalisieren. Experten führten früher gerne ins Feld, die Freigabe von Kokain und weicher Drogen könne helfen, die organisierte Kriminalität einzudämmen. Regine Schönenberg von der Freien Universität Berlin sagt, sie habe lange so argumentiert, sie bezweifele aber mittlerweile, dass auf diese Weise die internationalen Kartelle ausgeschaltet werden könnten – denn wenn sie nicht mehr vom Drogenhandel leben könnten, „finden sie etwas Neues“.
Der Globalisierung von Kriminalität zu begegnen ist eine große Herausforderung. Gesetze und Wertvorstellungen sind von Land zu Land verschieden. Wenn ein Staat plötzlich für kriminell erklärt und verbissen bekämpft, was zuvor jahrelang als quasi legitime Einnahmequelle geduldet wurde, wie im Fall Mexikos der Handel mit Kokain, ist es kein Wunder, dass Banden sich mit Waffen wehren. „Es muss Probleme geben, denn eine Menge Geld ist im Spiel“, sagt die Journalistin Hernández.
Joseph Miller