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Kultur-Spezial

Auf dem Weg zu sich selbst

In ihrem Debütroman „Adas Raum“ erzählt Sharon Dodua Otoo vom Leben ihrer Protagonistin Ada, die in unterschiedlichen Epochen wiedergeboren wird und verschiedene Rollen einnimmt. Adas vier Leben werden nicht separat und chronologisch erzählt, sondern sind miteinander verwoben. Sie spiegeln die Schicksale der Frauen in den unterschiedlichen Zeiten wider. Dieser Beitrag ist der vierte unseres diesjährigen Kultur-Spezialprogramms mit Rezensionen künstlerischer Werke mit entwicklungspolitischer Relevanz.
Anti-Rassismus-Demo in Düsseldorf picture-alliance/dpa/Marius Becker Anti-Rassismus-Demo in Düsseldorf

Die Geschichte von Adas Reise durch die Jahrhunderte beginnt im Jahre 1459 im westafrikanischen Totope, dem heutigen Ghana. Ada verliert zu diesem Zeitpunkt zum zweiten Mal ein Baby. Im Laufe der Jahrhunderte wird sie noch viele weitere traumatische Ereignisse durchleben müssen, aber auch geliebt und unterstützt werden und – vielleicht am wichtigsten – zu sich selbst finden. Dabei ist ihr Schicksal stark von den historischen und gesellschaftlichen Umständen geprägt.

Steiniger Weg

Im Jahr 1848 ist Ada Computer-Pionierin in Stratford-le-Bow (England), 1945 Prostituierte im Konzentrationslager im nationalsozialistischen Deutschland und 2019 schließlich eine junge werdende Mutter, die in Berlin eine Wohnung sucht. Sie möchte dort Informatik studieren. Auf ihrer Reise durch die Jahrhunderte begleiten sie Menschen, die sie kennenlernt, verliert und wiedertrifft, eine Freundin oder (Halb-)Schwester an ihrer Seite und ein Mann, der in jedem ihrer Leben eine Rolle spielt. Er begegnet ihr als portugiesischer Kaufmann Guilherme Fernandes Zarco; als ihr Ehemann Lord William King; als SS-Obersturmbannführer Helmut Wilhelm und zuletzt als Herr Wilhelm. Eine wichtige Rolle zwischen den beiden spielt ein Perlenarmband.

Alle Handlungsfäden laufen im Jahr 2019 zusammen: Bei der gemeinsamen Wohnungsbesichtigung erhascht Herr Wilhelm ein Bild des Armbands in einem Ausstellungskatalog, den Ada bei sich hat. In einem Flashback kommen die Erinnerungen der vergangenen Jahrhunderte zurück. Er gesteht Ada, was er in der Vergangenheit gemacht und ihr angetan hat. Er versucht, sich zu rechtfertigen. Erkennt sie ihn wieder? Vergibt sie ihm? Bricht er nach all den Jahrhunderten endlich mit seiner Habgier, seiner kolonialen Denkweise, seinem Rassismus?

Jedenfalls setzt Ada ihm (und anderen Menschen) 2019 zum ersten Mal wirkungsvoll etwas entgegen. Zwar hat sie in den Leben zuvor auch das ihr Mögliche versucht, aber oft waren ihr die Hände gebunden. In Berlin 2019 ist die Welt für Ada natürlich eine andere als beispielsweise in England 1848; die gesellschaftlichen Umstände haben sich in mancher Hinsicht zu ihren Gunsten entwickelt. Dennoch ist Adas Verhalten nicht nur den Umständen geschuldet. Es zeigt auch, dass sie nun weiß, wer sie ist, ihre Grenzen kennt und setzt. Ein Stück gefestigte Identität.

In „Adas Raum“ scheint alles miteinander verknüpft zu sein. Das spiegelt sich auch auf sprachlicher Ebene und in der komplexen Struktur des Romans wider. Als Leserin kann man manches Mal die Orientierung verlieren. Zwei Kapitel der Geschichte werden in der Ich-Perspektive von Ada erzählt. Ansonsten fungiert ein Wesen als Erzähler, das in Adas Leben auch eine Rolle spielt, immer wieder verschiedene Gestalten annimmt und mit Gott kommuniziert.

Trotz Adas beschwerlichem Lebensweg liegen in der originellen Erzählperspektive und überhaupt im Ton, den Otoo der Geschichte gegeben hat, ein gewisser Trost und eine unerwartete Leichtigkeit, die auch durch die Sichtweisen des erzählenden Wesens auf die Welt und die Lebenden und seine Dialoge mit Gott entstehen.

Kritischer Blick

Die Autorin thematisiert in ihrem gesellschaftskritischen Roman Kolonialismus und Nationalsozialismus, blickt aber ebenso kritisch auf die Gegenwart in Deutschland. Das Perlenarmband findet sich 2019 in einem Museum wieder, Ada entdeckt es in einem Ausstellungskatalog – ein Verweis auf Raubkunst, die noch immer in den Museen ehemaliger Kolonialmächte ausgestellt und nicht zurückgegeben wird. Ada widerfährt Rassismus von Menschen, die von sich selbst wohl behaupten würden, nicht rassistisch zu denken oder zu handeln.

Natürlich geht es in dem Roman auch ums Frausein in den verschiedenen Jahrhunderten und Umständen. Mutter sein, werden wollen, werden sollen, nicht werden wollen; Besitztum sein; bescheiden sein; Opfer sein; Objekt sein; mutig sein – das sind nur einige der Facetten.

Dabei werden Frauen nicht zu Heiligen erhoben, aber es wird deutlich aufgezeigt, wo gesellschaftliche Umstände sie in Ketten gelegt haben. Von den männlichen Charakteren erfährt man deutlich weniger Nuanciertes und Tiefgründiges, sie bekommen weniger Raum. Wenig verwunderlich, denn es ist Adas Raum.

Sharon Dodua Otoo gelingt eine komplexe, starke Geschichte mit vielen Bedeutungsschichten und Perspektiven, die sicherlich auch beim zweiten und dritten Lesen noch neue Erkenntnisse bringt. Wie jede gute Geschichte transportiert sie eine Botschaft vor allem durch Handlung und Charaktere, der ein oder anderen interpretierenden Stelle hätte es nicht bedurft. Viele der Ideen, Sätze und Charaktere werden in Erinnerung bleiben.

Sharon Dodua Otoo, Jahrgang 1972, ist in London geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern kommen aus Ghana. Seit 2006 lebt Otoo in Berlin. 2016 gewann sie mit ihrem Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis.


Buch
Sharon Dodua Otoo, 2021: Adas Raum, S. Fischer Verlag Frankfurt.


Maren van Treel ist Social-Media-Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu