Zivilgesellschaft
Austausch für Verständigung
Die Beziehungen zwischen Iran und Deutschland könnten durch Austauschprogramme in Wissenschaft, Kultur und Sport gelockert werden, meinen Experten. Dies würde die iranische Zivilgesellschaft stärken und gegenseitiges Verständnis verbessern.
Irans Regierung bestreitet, an der Entwicklung einer Atombombe zu arbeiten, und besteht darauf, dass sein ziviles Atomprogramm eine nationale Angelegenheit sei. Westliche Regierungen fordern eine komplette Offenlegung, um den Bau einer Nuklearwaffe zu verhindern, und versuchen die Gegenseite mit Wirtschaftssanktionen zu Zugeständnissen zu zwingen. Paul Freiherr von Maltzahl von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik aus dem Auswärtigen Amt sagt, es gehe nicht darum, einen Regimewechsel in Teheran zu erzwingen. Das Ziel sei sicherzustellen, dass Iran den Atomwaffensperrvertrag einhalte.
Aus Sicht von Adnan Tabatabai, Politologe an der Humboldt Universität Berlin, treffen diese Sanktionen aber weniger die Regierung als kleine und mittlere Unternehmen. Darunter litten breite Schichten der Gesellschaft. Die Regierung hingegen, die ihr Land als isoliert darstelle und Feindseligkeit gegenüber dem Westen schüre, profitiere vielmehr davon.
Tabatabai schlägt deshalb eine „Policy von unten“ vor. Die Zivilgesellschaft könnte durch Austauschprogramme zwischen Iran und westlichen Staaten in Bereichen wie Wissenschaft, Kultur und Sport gestärkt werden. Man dürfe Bürger nicht über ihre Regierung wahrnehmen, ergänzt Tabatabai. Deshalb solle ein zivilgesellschaftlicher Austausch von „Neugier statt Interesse“ geprägt sein: „Bürger beider Länder müssen sich von den Interessen der eigenen Regierung befreien und sich einander nähern.“
Dazu ist zunächst eine differenzierte Wahrnehmung des Iran in der deutschen Öffentlichkeit notwendig. Zurzeit sei sie vor allem von Begriffen wie „Atombombe, Gottesstaat oder Holocaustleugner“ geprägt, kritisierte der Journalist Kamran Safiarian bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum Mitte April. Die Zivilgesellschaft sei in Iran stärker als in Deutschland wahrgenommen. Die Medien- und Kulturlandschaft stelle sich vielfältig und lebendig dar, und es gebe viele unabhängige Organisationen. An den Hochschulen studierten viele Frauen – über die Hälfte der Studierenden seien weiblich. „Die iranische Gesellschaft besteht zu einem großen Anteil aus jungen Menschen“, sagt Safiarian.
Einen Wissenschaftsaustausch mit Iran gibt es bereits. Es bestehen gemeinschaftliche Projekte deutscher Universitäten mit Partneruniversitäten in Iran. Zudem ermöglichen Programme von Institutionen wie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) iranischen Studierenden beispielsweise eine Promotion in Deutschland.
Der Schwerpunkt liegt bislang hauptsächlich auf naturwissenschaftlichen Fächern. Politikwissenschaftliche Kooperation ist dagegen selten. Der Friedensforscher Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen berichtet aus Erfahrung: „Es ist nicht immer möglich, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen, da auf beiden Seiten eine unterschiedliche Wissensgrundlage besteht. Zudem ist der ideologische Druck bei iranischen Wissenschaftlern oft groß und man merkt, dass kritisches Denken kein Lernziel ist.“ Gerade deshalb sei der Austausch aber für beide Seiten wichtig. Besonders iranische Wissenschaftler schätzten den Gedankenaustausch sehr.
Auch Charles King Malroy vom Berliner Ableger des amerikanischen Think Tanks Aspen Institute betonte in Loccum im Gespräch mit dem iranischen Botschafter Ali Reza Sheikh Attar, Austausch sei wichtig. Er wünsche sich eine Normalisierung der Beziehungen. Allerdings müsse Iran sein Atomprogramm offenlegen und das Existenzrecht Israels anerkennen. Er beanstandete aber auch Menschenrechtsverletzungen in Iran und die Diskriminierung von Frauen. Zum Dialog gehöre auch, dass man einander sage, was einem aneinander nicht gefalle. Der Botschafter dagegen warf den USA Doppelmoral vor und insistierte, sein Land wolle keine Atomwaffen.
Mareike Forchheim