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„Race“ und Identität

Die Schwierigkeit, Vielfalt in den USA zu quantifizieren

Die Datenerhebungen zu „Race“ und Ethnizität durch die US-Regierung werden der Vielfalt einer multiethnischen Nation nicht gerecht. Gleichzeitig gilt: Auch wenn das Konzept von „Race“ überholt ist, kann es notwendig sein, es zu verwenden – um den Schaden zu beheben, den es verursacht hat.
Vor 60 Jahren wurde in den USA die Rassentrennung abgeschafft. Doch wer zu welcher „Race“ gehört, spielt noch immer eine Rolle. picture-alliance/dpa/UPI Vor 60 Jahren wurde in den USA die Rassentrennung abgeschafft. Doch wer zu welcher „Race“ gehört, spielt noch immer eine Rolle.

Die Vereinigten Staaten gelten als Nation von Einwanderer*innen. Der ehemalige Präsident John F. Kennedy prägte diesen Begriff 1958. Er bezieht sich auf die Tatsache, dass mit Ausnahme der Ureinwohner*innen fast alle heutigen US-Amerikaner*innen entweder selbst eingewandert sind oder Vorfahren hatten, die Einwanderer*innen, Siedler*innen oder Sklav*innen waren. US-Amerikaner*in ist, wer in den USA geboren oder eingebürgert wurde. „Amerikanisch“ wurde nie als ethnische Zugehörigkeit gelesen.

Die Regierung versucht, diese Vielfalt bei der Volkszählung alle zehn Jahre abzubilden. Die mutmaßliche Zugehörigkeit der Bürger*innen wurde schon immer erfasst, doch die Kategorien veränderten sich im Laufe der Zeit. Die früheste Volkszählung von 1790 enthielt nur „Sklaven“, „freie weiße Männer und Frauen“ und „alle anderen freien Personen“. Bei der jüngsten Volkszählung von 2020 konnten die Befragten eine oder mehrere aus fünf Kategorien wählen. Dennoch werden sie der Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft nicht gerecht und sorgen bei Bürger*innen wie Regierungsbeamt*innen für Verwirrung. Noch schlimmer ist, dass diese Zuordnung ein Verständnis menschlicher Vielfalt aufrechterhält, das seit Jahrhunderten Unterdrückung rechtfertigt.

Wer ist wer in den USA?

Laut der Volkszählung 2020 bezeichnen sich 61,6 % der US-Bevölkerung als Weiße. Diejenigen, die sich als Schwarze oder Afroamerikaner*innen identifizieren, machen 12,4 % aus. Sechs Prozent sind Asiat*innen und 1,1 % indigene Amerikaner*innen oder Alaska Natives. Die letzte offizielle Kategorie in der US-Volkszählung, Native Hawaiian oder Other Pacific Islander, macht 0,2 % aus.

Beim Zensus oder für andere offizielle Zwecke werden ethnische Zugehörigkeit und „Race“ in zwei verschiedenen Fragen abgefragt. Zunächst geben US-Amerikaner*innen an, ob sie sich als Hispanic/Latino identifizieren, und dann können sie eine der fünf oben beschriebenen Kategorien wählen. Hispanics können sich beliebig zuordnen. Die US-Regierung betrachtet hispanische oder lateinamerikanische Herkunft also als ethnische Zugehörigkeit, nicht als „Race“. Im amerikanischen Englisch meint „Race“ eine Gruppe, die sowohl physische Merkmale als auch eine gemeinsame Geschichte teilt. Ethnische Zugehörigkeit bezieht sich auf Ähnlichkeiten, etwa in Bezug auf Sprache und Tradition, die von einer Gemeinschaft übernommen werden. Die Definitionen dieser Begriffe sind so schwammig wie umstritten.

Viele Menschen aus dieser Gemeinschaft betrachten ihren hispanischen Hintergrund jedoch als eigene „Race“. Für den US-Zensus gelten Personen als „Hispanic“ und „Latino“, die aus Spanien oder spanischsprachigen Ländern Mittel- und Südamerikas kommen. So bezeichnen sich etwa 18,7 % der US-Einwohner*innen.

Die Befragten können auch mehrere Kategorien oder „some other race“ auswählen. Die Mehrfachnennungen (etwa Weiß und Schwarz oder Afroamerikaner*in) sind von 9 Millionen im Jahr 2010 auf 33,8 Millionen im Jahr 2020 gestiegen. Die Zahl derjenigen, die „some other race“ angaben, ist im gleichen Zeitraum ebenfalls um fast neun Prozent gestiegen. Beides ist vermutlich auf demografischen Wandel, Änderungen im Erhebungsdesign und in der Datenverarbeitung zurückzuführen.

Rechtfertigung der europäischen Hegemonie

Das U.S. Census Bureau räumt ein, dass sein Fragebogen „eine in diesem Land anerkannte soziale Definition von „Race“ widerspiegelt und keinen Versuch darstellt, diese biologisch, anthropologisch oder genetisch zu definieren“. Menschliche Vielfalt lässt sich nicht auf Kategorien reduzieren, die eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt bevorzugt. Der Begriff „Race“ kommt von jahrhundertealten Bestrebungen, Menschen zu kategorisieren und so die europäische Hegemonie zu rechtfertigen. Er hat nichts mit einem modernen Verständnis des menschlichen Genoms zu tun.

Da es sich bei „Race“ um ein soziales Konstrukt handelt, lässt sich niemand eindeutig einer Kategorie zuordnen. Die US-Regierung betrachtet derzeit diejenigen als Weiße, die von „einem der ursprünglichen Völker Europas, des Nahen Ostens oder Nordafrikas“ abstammen.

Die Situation von Menschen mit Abstammung aus dem Nahen Osten oder Nordafrika (MENA-Region) veranschaulicht viele der Paradoxien, die mit dem Begriff „Race“ in den USA verbunden sind. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts musste man als weiß gelten, um eingebürgert zu werden. Neuankömmlinge, einschließlich Menschen aus der MENA-Region, zogen teils vor Gericht, um zu beweisen, dass sie weiß waren. Heute werden Menschen aus dieser Region ermutigt, sich bei der Volkszählung als Weiße zu identifizieren. Vor allem seit den Anschlägen vom 11. September erfahren viele aus der MENA-Region jedoch Diskriminierung und Schikanen. Da sie jedoch offiziell als weiß gelten, gibt es kaum verlässliche Daten über sie. Für die Regierung ist es so schwieriger, für Gleichberechtigung in Bereichen wie Wohnraum, Bildung und Gesundheit zu sorgen.

Die wohl berüchtigtste US-amerikanische Sichtweise auf den Rassenbegriff ist die sogenannte „One Drop“-Regel. Schwarze Menschen wurden in den USA bis 1865 versklavt. Nach Abschaffung der Sklaverei litten sie jahrzehntelang unter Verfolgung und diskriminierenden Gesetzen, die einschränkten, wo sie leben, zur Schule gehen oder sogar die Toilette benutzen konnten. Die Rassentrennung wurde 1965 verboten, aber Rassismus gegenüber Schwarzen besteht noch immer fort. So beeinflusst die Frage, wer Schwarz und wer Weiß ist, schon seit Langem maßgeblich das tägliche Leben. Über Jahrhunderte hinweg war die rechtliche und gesellschaftliche Definition von Schwarzsein, dass eine Person in irgendeiner Form afrikanische Vorfahren hat. Mit anderen Worten: Ein einziger Tropfen „Schwarzen Blutes“ genügte, um in den USA als Schwarz zu gelten. Dieses Konzept prägt noch immer die Denkweise vieler Amerikaner*innen, obwohl es auf die Zeit der Sklaverei und Segregationsgesetze zurückgeht. Barack Obama wurde als erster Schwarzer Präsident der Nation betrachtet, obwohl seine Mutter weiß war. Tiger Woods gilt als prominenter Schwarzer Golfspieler, obwohl er auch thailändische, chinesische und niederländische Vorfahren hat.

Obamas Vater kam aus Kenia; der ehemalige Präsident ist kein Nachkomme versklavter Menschen. Etwa 21 % der Schwarzen Bevölkerung in den USA sind entweder selbst eingewandert oder Kinder von Einwanderer*innen, vor allem aus Afrika oder Mittel- und Südamerika. Schwarze Einwanderer*innen, die erst in der jüngeren Vergangenheit zugewandert sind, sind im Durchschnitt älter, besser ausgebildet, verdienen mehr und sind häufiger verheiratet als in den USA geborene Schwarze. Obwohl alle Schwarzen in den USA zweifellos Rassismus erleben, unterscheiden sich die Erfahrungen eher kürzlich Eingewanderter und der Nachkommen von Sklav*innen erheblich.

An Unzulänglichkeiten mangelt es in keiner der Zensuskategorien. Die Regierung betrachtet als asiatisch „jede*n, der*die aus dem Fernen Osten, Südostasien oder dem indischen Subkontinent“ stammt – einem Gebiet, das mehr als 20 Länder mit einer ebenfalls enormen Vielfalt umfasst. Außerdem gelten Brasilianer*innen nicht als Hispanics, obwohl sich 2020 mindestens 416 000 von ihnen in dem jährlich vom U.S. Census Bureau erhobenen American Community Survey als hispanisch identifizierten.

Vorgeschlagene Änderungen

Dennoch wirken sich die wahrgenommenen Zugehörigkeiten noch immer stark aus. Menschen, die in den USA als Schwarz angesehen werden, sind nach wie vor gravierender Diskriminierung ausgesetzt. Menschen, die als weiß gelten, nicht. Solange Diskriminierung und gezielter Rassismus verbreitet sind, ist es paradoxerweise sinnvoll, an bestimmten Kategorien festzuhalten. Denn wenn die Regierung Gleichberechtigung fördern will, braucht sie Quoten – und für die Quoten braucht sie Daten, die nur erhoben werden können, wenn es Kategorien gibt. Zurzeit erhebt die Regierung diese Daten aus verschiedenen Gründen, von denen viele Bürger*innenrechte stärken sollen. Dazu gehören:

  • Gewährleistung gleicher Beschäftigungschancen,
  • Bewerten rassistischer Ungleichheiten im Gesundheitswesen,
  • Planung und Finanzierung von Regierungsprogrammen für bestimmte Gruppen und
  • die Überwachung der Einhaltung von Antidiskriminierungsgesetzen.

Kritiker*innen sind jedoch der Meinung, dass die Regierung weiterhin Daten zur Bekämpfung von Rassismus sammeln könnte, ohne Menschen aufzufordern, sich mit künstlichen Kategorien zu identifizieren. Beim Zensus könnte etwa gefragt werden, wie eine Person von der Gesellschaft gesehen wird. Im Gegensatz zur selbst angegebenen Zugehörigkeit würde eine solche Frage erfassen, wie sich Faktoren wie Hautfarbe auf Diskriminierung in Bereichen wie der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt auswirken.

Zu den vorgeschlagenen Änderungen für die Volkszählung 2030 gehört, nicht mehr zwischen „Race“ und ethnischer Zugehörigkeit zu unterscheiden und „Hispanic or Latino“ und „Middle Eastern or North African“ hinzuzufügen. Ein Großteil der Verwirrung wird aber wohl erhalten bleiben.

Claire Davis ist eine freiberufliche Übersetzerin und arbeitet seit 2013 für E+Z/D+C. Sie unterrichtet Deutsch an der Truman State University in Missouri, USA.
clairemdavis1983@gmail.com