Pamoja Dance Group
Beeindruckende Vorstellungen
Wie nimmt das Publikum Ihre Gruppe wahr, insbesondere die Tänzer mit Behinderung?
Als wir das erste Mal aufgetreten sind, haben die Zuschauer die ersten fünf oder zehn Minuten geweint. Wir konnten sie von der Bühne aus nicht sehen, aber wir haben die Schluchzer aus dem Publikum gehört. Sie waren tief berührt.
Was hat die Menschen so bewegt?
Normalerweise denkt man, man sollte gegenüber einer Person mit körperlicher Behinderung Mitleid empfinden. Aber die Tänzer in unseren Aufführungen rufen kein derartiges Gefühl hervor. Sie treten auf und zeigen so viel Beeindruckendes. Und so fragten sich die Leute im Publikum vielleicht: Warum bemitleide ich diese Person? Schau, was sie alles kann! Das bewegt sie dann sehr. Aber dieses Gefühl hält nur einen Moment lang an. Wenn die Leute weiter zusehen, hören sie auf, Menschen mit Behinderung zu sehen, die versuchen zu tanzen, sie sehen nur noch Tänzer.
Was macht Ihnen am meisten Spaß an der Arbeit mit dieser Gruppe?
Zwei Sachen: Das Engagement der Tänzer und wie sie sich seit 2006 entwickelt haben. Manche sind wirklich nicht mehr dieselbe Person, die sie waren als sie zum ersten Mal hierher kamen. Sie werden in ihrer Jugend durch so viele Bezeichnungen kategorisiert. Und selbst heute, da sie erwachsen sind, werden sie mit so vielen politisch korrekten Begriffen bezeichnet: behindert, versehrt oder Mensch mit Behinderung. Sie werden immer auf die eine oder andere Weisen kategorisiert und selten einfach als die Personen gesehen, die sie sind. Aber wenn sie in unsere Gruppe kommen, nenne ich sie Tänzer. Und ab diesem Moment sind sie das.
Das klingt nach einer sehr besonderen Zusammenarbeit.
Oh ja, das ist es. Manchmal bitte ich die Tänzer um sehr schwierige Dinge, aber sie verstehen, dass ich sie fordern muss. Und sie erlauben mir das und wissen, dass ich sie verstehe. Wir kommen aus völlig unterschiedlichen Lebensverhältnissen, aber ich lerne immer mehr über sie und sie lernen immer mehr über mich. Dieser Austausch macht die Zusammenarbeit sehr spannend. Ich sehe eine Veränderung sowohl bei meinen Tänzern als auch bei mir selbst. Früher habe ich Dinge anders wahrgenommen – und auch Menschen. Aber diese Tänzer können Bewegungen und Gefühle erzeugen, die dich völlig umhauen. Und manche sind sich dessen nicht mal bewusst. Ich selbst bin auch ein Schauspieler, aber diese Gefühle kann ich nicht hervorrufen. Ich brauche Worte oder ein Lied, um etwas auszudrücken, aber sie brauchen oft gar nichts – ihre Körper sagen so vieles.
Wie wählen Sie die Geschichten für Ihre Inszenierungen aus?
Manchmal entstehen die Geschichten in unseren Proben. Ich sage den Tänzern zum Beispiel: bewegt euch als wäre der Raum klebrig oder rau wie Sand. Dann schauen wir, welche Gefühle dabei entstehen und an was uns das erinnert. Und daraus entsteht dann die Geschichte. Oder ich bringe selbst eine Geschichte mit, die wir dann gemeinsam verändern. Vor einiger Zeit habe ich vorgeschlagen, eine Geschichte aus Uganda zur Zeit des Diktators Idi Amin zu spielen. Zu zeigen, wie er all die Menschen umgebracht hat und sie in den Viktoriasee werfen ließ. Und dann haben alle ihre eigene Geschichte dazu gefunden und gesagt: „Oh, das erinnert mich an Ruanda“ oder „Das ist so, wie die Stadtverwaltung zur Zeit mit den Straßenhändlern umgeht“. Und so hat sich die Geschichte weiter entwickelt. Es ist eine Geschichte über Unterdrückung geblieben, aber jeder hatte seine eigene Version. Am Ende haben wir das Stück „Brüder und Schwestern“ genannt und all die unterschiedlichen Erlebnisse von Unterdrückung gezeigt.
Wer spielt in diesem Stück den Unterdrücker und wer ist unterdrückt?
Die beiden Hauptrollen tanzen Sylvester, ein brillanter Tänzer ohne Beine, und ich. Das überraschende ist dann, dass er der Unterdrücker ist und ich der Unterdrückte. Es ist überzeugend, denn er ist sehr stark und hat einen unglaublichen Ausdruck im Gesicht, wenn er tanzt.
Tanzt ihr auch Stücke, die einen direkten Bezug zu Nairobi haben?
Ja, manchmal finden wir unsere Geschichten hier in Nairobi. „Koncrete City“ haben wir entwickelt während wir durch die Stadt gegangen sind. Denn alle aus der Gruppe haben sich beklagt, wie unzugänglich die Stadt für sie ist und so sind wir herum gegangen und sie haben mir bestimmte Orte gezeigt: „Schau Joseph, das hier soll ein Büro für eine behinderte Person sein. Aber schau mal die Stufen an! Wie soll ich da jemals hoch kommen?“ sagt zum Beispiel eine unserer Tänzerinnen. Sie nennt die Treppe „Stufen zum Himmel“ weil sie so endlos viele sind. Eine andere beschwert sich über die Sammeltaxis, weil der Einstieg zu hoch ist. So hatte jeder seine Herausforderung in dieser unzugänglichen Stadt. Wir haben uns dann entschieden ein lustiges Stück daraus zu machen. Der Tenor ist: Klar haben wir Probleme, Stufen bis zum Himmel zu erklimmen und in Sammeltaxis zu steigen, aber das ist es nicht, was wir euch hier zeigen wollen. Wir wollen euch zeigen, dass wir in dieser Stadt Spaß haben. Und so haben wir sie in einen Fantasieort verwandelt.
Wie sind Sie künstlerischer Leiter der „Pamoja Dance Group“ geworden?
Das Ensemble wurde von Miriam Rother gegründet. Sie hat Nairobi 2008 verlassen und ich habe die Leitung übernommen. Ich bin zu einer Aufführung der Gruppe gegangen, weil ein Freund sagte, das seien tolle Tänzer. Als ich sie dann sah, konnte ich es wirklich kaum glauben. Nach dem Stück hat das Publikum applaudiert und war völlig begeistert. Aber ich konnte mich gar nicht bewegen und bin einfach sitzen geblieben. Irgendwie muss Miriam das mitbekommen haben und ist zu mir gekommen. Wir haben uns kurz unterhalten und dann hat sie gefragt: „Also, kommst du?“ und ich habe Ja gesagt. So bin ich zur ersten Probe gekommen und kurz danach habe ich angefangen, mit der Gruppe zu arbeiten.
Was bedeutet es für dich als professionellen Tänzer mit dieser spezifischen Gruppe zu arbeiten?
Anfangs dachte ich, ich zeige ihnen, wie man tanzt. Ich bin davon ausgegangen, dass ich besser bin als sie. Schließlich sind sie behindert und ich nicht, und außerdem bin ich als Tänzer ausgebildet. Ich tanze viel mit dem Boden, was für viele andere Tänzer schwierig ist. Aber hier habe ich eine ganz neue Erfahrung gemacht. Durch ihre Behinderung sind die meisten Tänzer mit dem Boden sehr gut vertraut. Ich dachte, ich sei ein Experte darin, mich am Boden zu bewegen, aber diese Menschen, die sich ihr ganzes Leben auf dem Boden bewegt haben, waren mir weit überlegen.
Was war die Konsequenz?
Ich musste mehr Bewegungen im Stehen entwickeln, so dass wir komplementäre Bewegungsabläufe haben. Ich bin zwar nichtbehindert, wie man sagt, aber diese Tänzer haben einfach viel weitreichendere Fähigkeiten als ich.
Worin sehen Sie den größten Unterschied zwischen behinderten und nichtbehinderten Tänzern?
Wir halten es für selbstverständlich wie wir sind. Wir denken nicht darüber nach, wie wir gehen oder stehen, wir tun es einfach. Aber sie mussten ihren Körper erforschen und herausfinden, wie sie am besten mit ihren physischen Herausforderungen umgehen. Daher kennen sie sich viel besser und sind sich ihres Körpers viel stärker bewusst. Ich habe viel durch sie gelernt. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich selbst einige Behinderungen habe. Denn sie können so viele Dinge tun, die ich nicht kann.
Was sind die wichtigsten Fähigkeiten eines Tänzers auf der Bühne?
Wahrheit und Überzeug sind das wichtigste. Tänzer müssen wahrhaftig sein, in ihren Bewegungen und in allem. Sie müssen das Publikum mit ihren Bewegungen überzeugen und ihnen zeigen, was sie erzählen wollen. Du kannst alles möglich machen – springen oder wild herumlaufen – das bringt alles nichts, wenn die Überzeugungskraft fehlt.
Joseph Kanyenje ist der künstlerische Leiter der Pamoja Dance Group.
http://www.pamojadance.org/Pamoja_Dance/Pamoja.html