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Medienkritik

„Gaza ist keine Blackbox“

Der Journalist Fabian Goldmann hat untersucht, auf welche Quellen sich deutsche Medien stützen, wenn sie über den Nahen Osten informieren, insbesondere den Krieg in Gaza seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Sein Ergebnis: Offizielle israelische Quellen dominieren. Im Gespräch erklärt er, warum das problematisch ist und wie eine ausgewogenere Berichterstattung gelingen kann.
Die mediale Berichterstattung über Gaza ist Zielscheibe von Kritik. picture alliance/Anadolu/Abed Rahim Khatib
Die mediale Berichterstattung über Gaza ist Zielscheibe von Kritik.

Fabian Goldmann im interview mit Björn Cremer

Sie haben die Quellen deutscher Leitmedien zum Krieg in Gaza ausgewertet. Was hat Sie dazu motiviert?

Ich berichte schon lange über den Nahen Osten, und dabei hat das Thema Medienkritik immer auch eine Rolle gespielt. Richtig drängend wurde es dann nach dem 7. Oktober 2023. Schon vorher lief in deutschen Medien viel schief, nun hatte ich den Eindruck, dass nahezu der gesamte Nahost-Journalismus versagt. 

Wie genau sind Sie vorgegangen?

Ich habe mir die Berichterstattung großer deutscher Medien wie Tagesschau, Spiegel, Zeit, taz und Bild angeschaut und sie auf die Einhaltung journalistischer Standards überprüft – Dinge wie Faktentreue, Ausgewogenheit sowie die Nutzung von Sprache und Bildern. In einer Auswertung wollte ich wissen, auf welche Quellen sich Nachrichtenredaktionen stützen. Dazu habe ich knapp 5000 Schlagzeilen zum Thema Nahost ausgewertet, die zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 19. Januar 2025 auf Tagesschau, Bild, Zeit und Spiegel erschienen sind. 

Ein Ergebnis war die extreme Dominanz staatlicher israelischer Quellen. Angaben der israelischen Regierung und Armee machten bei allen Medien zwischen 33 % und 38 % der Schlagzeilen aus. Insgesamt betrachtet kamen auf Platz zwei US-amerikanische Quellen, auf Platz drei internationale Organisationen wie die UN, dicht gefolgt von der deutschen Bundesregierung. Palästinensische und libanesische Quellen kamen insgesamt nur mit fünf beziehungsweise drei Prozent vor, NGOs wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen mit einem Prozent. 

Warum ist das Ihrer Ansicht nach ein Problem?

Das ist ein Problem, weil Journalismus die Aufgabe hat, faktentreu zu berichten. Da das Nachrichtengeschehen der letzten zwei Jahre vor allem in Gaza stattfand, wären eigentlich zu einem Großteil palästinensische Quellen zu erwarten. Das sind nicht nur sogenannte Hamas-Behörden, sondern auch Augenzeug*innen, Rettungskräfte, Angehörige, Reporter*innen und so weiter. Deren Angaben decken sich zudem häufig mit denen von NGOs und internationalen Organisationen. Trotzdem kommen sie in deutschen Nachrichten kaum vor. In den von mir untersuchten Schlagzeilen wurde sich stattdessen häufig auf die israelische Armee berufen, für deren Angaben es oft keine weitere Bestätigung gibt. Damit übernimmt man nicht nur die oftmals falschen Angaben zu einem konkreten Ereignis, sondern auch die großen Erzählungen der israelischen Armee – wie etwa, dass sich der Kampf ausschließlich gegen die Hamas richtet. Die Internationale Vereinigung von Völkermordforschern, Expert*innen der Vereinten Nationen und große Menschenrechtsorganisationen hingegen sprechen von einem Genozid.

Haben nichtwestliche Quellen generell einen schwereren Stand in westlichen Medien?

Nach meiner Einschätzung ja. Wenn die israelische Armee etwas behauptet, dann wird erst mal angenommen, dass es wahr ist – bis das Gegenteil bewiesen ist. Dasselbe gilt für US-amerikanische Quellen. Gegenüber nahöstlichen Quellen gibt es hingegen eine grundlegende Skepsis. Vor allem Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen stehen unter Verdacht, zumindest von der Hamas beeinflusst zu sein – egal, ob sie Augenzeug*innen sind oder vielleicht selbst zur Fatah-Partei gehören.

Noch stärker war der Unterschied in der Berichterstattung über den Jemen. Wenn etwa ein Frachter angegriffen wird oder die USA Ziele im Jemen bombardieren, bekommt man in Deutschland fast nur die Darstellung aus US-amerikanischen Quellen in den Schlagzeilen zu Gesicht. Von jemenitischen Quellen hört man so gut wie gar nichts.

Ist diese Skepsis nicht bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar? In Gebieten wie Gaza oder Ländern wie Jemen stehen zivile Quellen unter starkem politischem Druck.

Aussagen von palästinensischen Augenzeug*innen beispielsweise über israelische Massaker wurden immer wieder von unabhängigen Quellen wie internationalen Organisationen oder humanitären zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie durch journalistische Recherchen bestätigt. Medien wie der arabische Sender Al-Jazeera, die israelische Zeitung Haaretz oder die britische BBC veröffentlichen regelmäßig aufwendige investigative Untersuchungen, in denen beispielsweise Satellitenbilder und Handy-Aufnahmen ausgewertet oder die Flugbahnen von Geschossen rekonstruiert werden und so die Angaben der israelischen Armee oftmals widerlegt werden. In deutschen Medien sucht man solche Recherchen leider weitgehend vergebens. 

Bitte erklären Sie noch etwas genauer, wie es Medien gelingen kann, in einem abgeriegelten Gebiet wie dem Gazastreifen investigativ zu arbeiten.

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Einerseits gibt es zum Glück noch immer ein paar palästinensische Journalist*innen, die vor Ort recherchieren können. Viele arbeiten für Al-Jazeera, einige aber auch für deutsche Medien. Zweitens kann man auch als Journalist*in, ohne vor Ort zu sein, auf Kontakte im Gazastreifen zurückgreifen. Ich selbst kenne dort Leute, und die meisten, die Nachrichtenberichterstattung zu Gaza machen, sollten natürlich noch viel mehr kennen. Drittens existieren jede Menge öffentlich zugängliche Informationen: Satellitenbilder, Handyaufnahmen, Berichte von NGOs und internationalen Organisationen, die Journalist*innen mit den offiziellen Angaben der Kriegsparteien abgleichen können. Es gibt also viele Möglichkeiten, zu recherchieren.

Viele Medienschaffende entschuldigen ihre mangelhafte Berichterstattung damit, dass es aufgrund der Abriegelung durch Israel so schwer sei, über Gaza zu berichten, und man nicht wissen könne, was stimmt. Sie stellen Gaza als eine Art Blackbox dar. Das Hauptproblem der deutschen Nahost-Berichterstattung sind aber nicht mangelnde Informationen, sondern dass die zur Verfügung stehenden Informationen nicht genutzt werden. 

Fabian Goldmann ist freiberuflicher Journalist mit dem Schwerpunkt Naher Osten.
euz.editor@dandc.eu 

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